[rohrpost] Medienkunst gibt es nicht

wechselstrom - christoph theiler christoph at wechsel-strom.net
Die Jan 29 09:28:27 CET 2008


einen artikel zu publizieren um sich unbeliebt zu machen ? - es geht 
nicht nur um journalismus und recherche.
es geht um die modernistische idee der kontrollfunktion der printmedien, 
um werbeseitenverkauf und wertschöpfung, um groschenheft und schundroman.
sind journalisten  medienkünstler?

spaß beiseite: sie bauen ihr argumantationsgebäude auf der behauptung 
auf, medienkunst und kunst seien sich gegenseitig ausschließende begriffe.

im vergleich zum begriff des "new journalism", der im verständnis vieler 
seiner protagonisten in der tat ein gegensatz zum journalismus 
darstellte, ist medienkunst ein teilgebiet bzw auch eine erweiterung der 
kunst.
es geht bei medienkunst nicht, wie unterstellt, um eine "modernistische 
idee der avantgarde" oder um ein hinterherlaufen hinter das neue 
(letzteres ist traditionell der job von journalisten), sondern um die 
darstellung des flüchtigen. medienkunst meint medium nicht als mittel 
(so wie malerfarbe oder druckerswärze) oder als "in der mitte liegend" ( 
wie z.b. "medium steak": zwischen durchgebraten und blutig), sondern als 
die mitte, der mittelpunkt selbst.
insofern ein paradoxon, weil daraus zwingend folgt, dass medienkunst 
selbst kein medium zur entfaltung benötigt.

viele grüße

christoph theiler




Stefan Heidenreich schrieb:
> Auf die Gefahr hin, mich einmal mehr unbeliebt zu machen -
> hier die unredigierte Version eines Artikels, der in der
> Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 27.1. erschien.
>
> Viele Grüsse,
> Stefan Heidenreich
>
> _________________________
>
> Medienkunst gibt es nicht
>
> Mit der Transmediale beginnt morgen eines der größten Festivals für 
> 'Kunst und digitale Kultur', nach wie vor als 'kultureller Leuchtturm' 
> gefördert. Die Leitung hat gewechselt, ebenso die Bezeichnung - von 
> Medienkunst keine Rede mehr. Denn kaum ein Künstler will sich noch 
> Medienkünstler nennen. Was ist geschehen?
> Ist die Medienkunst am Ende? Die Schwierigkeiten beginnen schon beim 
> Begriff 'Medien'. Über die Jahre ist er so unscharf geworden, dass nur 
> noch wenige Dinge das Privileg besitzen, kein Medium zu sein. Und 
> Medienkunst? Es gibt viele Künstler, die mit vielerlei Medien 
> arbeiten. Wenn man Malerei als ein Medium ansieht, findet sich kein 
> Künstler, der nicht in einem Medium tätig sein würde.
>
> Rückblickend stellt sich die Frage, wann und warum von Medienkunst 
> geredet wurde. Die  Sach- und Interessenlage ist etwas kompliziert. 
> Denn es geht nicht nur um Kunst und Kunstwerke. Es geht um die 
> modernistische Idee der Avantgarde, um Fördermittel und 
> Innovationstöpfe, um Popkultur und Hochkultur.
> Wie kommt es also dazu, dass niemand mehr Medienkünstler sein will? 
> Medienkunst ist kein einschließender, sondern ein ausschließender 
> Begriff. Wer sich nicht einfach als Künstler, sondern als 
> Medienkünstler bezeichnet, ordnet sich einer exklusiven Gruppe zu. Das 
> lohnt sich nur, solange diese kleine Exklusion einen Mehrwert abwirft. 
> Seit geraumer Zeit aber machen die sogenannten Medienkünstler die 
> traurige Erfahrung, in mehr oder weniger unattraktiven Nischen der 
> Kunstwelt zu enden. Anstatt auf den großen Messen und im 
> internationalen Zirkus der Biennalen zu reüssieren, versacken sie auf 
> Professorenstellen in der Provinz oder in der Obhut halbindustrieller 
> oder halbstaatlicher Institutionen.
>
> Springen wir an den Anfang der Geschichte. Die meisten Dinge und 
> Geräte, die man als  Medien bezeichnet, brachte das 19. Jahrhundert 
> hervor. Der Beginn der Moderne fällt in dieselbe Zeit wie die 
> Erfindung der Fotografie. Und zwar nicht ohne Grund. Denn damit 
> verbindet sich ein Ausschluss, der sich als wegweisend herausstellt 
> und für das eigenartige Verhältnis von Medien und Kunst verantwortlich 
> ist. Um 1860 gelingt es den Malern, das Museum als ihren angestammten 
> Ort zu verteidigen. Fotografie findet dort vorerst keinen Platz und 
> damit auch keinen Platz in der Kunst. Seitdem steht Kunst zu allen 
> Techniken der Reproduktion auf dem Kriegsfuß und kann deren 
> Erzeugnisse nur in limitierten Auflagen ertragen. Das führt dazu, dass 
> Preis für Kunst sich nicht auf einem Markt reproduzierbarer 
> kommerzieller Massenprodukte bildet, sondern in einem sehr diffizilen 
> Geflecht von Kennerschaft und Kunsthandel. Kunst ist damit weitgehend 
> unabhängig von neuen Technologien der Reproduktion und Distribution, 
> sprich von neuen Medien.
>
> Warum und wann also kamen die Medien zur Kunst zurück, nachdem sie 
> einmal ausgeschlossen waren? Hier gibt es zwei verschiedene 
> Geschichten, eine der Sache und eine des Wortes. Einerseits kam es 
> immer wieder zu Einbrüchen neuer Technologien in die Kunst. 
> Andererseits geriet, und zwar verhältnismäßig spät, der Begriff Medien 
> in Gebrauch.
> Dass die technischen Neuerungen der jüngeren Zeit die Kunst nicht im 
> Kern verändern, zeigt der fortgesetzte Erfolg der alten Medien 
> Malerei, Zeichnung oder Skulptur. Es gibt keine technischen Zwänge, 
> wie man sie aus anderen kulturellen Feldern wie Musik oder Film kennt. 
> Dort treten neue Medien an die Stelle der alten, 
> Reproduktionsverfahren und Distributionswege müssen vollkommen neu 
> erfunden werden. Nicht so in der Kunst. Neue Medien sind ihr gegenüber 
> akzidentell. Man kann mit ihnen arbeiten, muss aber nicht. Der Grund 
> für den Einbruch neuer Technologien in die Kunst liegt also nicht im 
> Technischen. Wo dann?
>
> Kurz gesagt: im Neuen. Für die Kunst war das Neue als eigenständiger 
> Wert nicht immer so wichtig wie im Zeitalter der modernen Avantgarden. 
> Doch in jüngster Zeit ist der avantgardistische Impuls weitgehend 
> versiegt. Die Medienkunst war in gewisser Weise ein ebenso verspäteter 
> wie vergeblicher Weg, das Phantom der Avantgarde zu reaktivieren. Den 
> ersten und durchaus erfolgreichen Versuch, neue Techniken in der Kunst 
> zu übernehmen, machen die italienischen Futuristen. Vieles davon 
> findet Widerhall in den Avantgarden der 20er Jahre, vom 
> Konstruktivismus zum Bauhaus. Doch die neuen Technologien fassen in 
> der Kunst nicht wirklich Fuß. Nach dem Weltkrieg dominiert wie eh und 
> je Malerei.
> Ein zweite Welle technischer Neuerungen kommt parallel zu den 
> sogenannten Massenmedien. Das Verhältnis von Konzeptkunst zu 
> Technologien hat Sabeth Buchmann jüngst in ihrem Buch "Denken gegen 
> das Denken" detailreich untersucht. Fotografie erreicht die 
> Galerieräume als Mittel, Performances oder Land-Art außerhalb der 
> Ausstellungsräume zu dokumentieren. Die Kombination verschiedenster 
> Medien macht der Fluxus-Künstler David Higgins 1966 in seinem Essay 
> 'Intermedia' zum Thema. 1967 kommt unter dem Namen Portapak die erste 
> portable Videokamera auf den Markt. Gerry Shums Fernsehgalerie aus dem 
> Jahr 1968 gibt der Videokunst Raum. Einige Jahre zuvor lenkt Marshall 
> McLuhan mit seinem Buch 'Understanding Media' eine größere öffentliche 
> Aufmerksamkeit auf die Medien.
>
> Aber noch erlangt der Begriff keine Macht im Umfeld der Kunst. Statt 
> dessen spricht man von Video, Technologie, Information oder dem 
> Elektronischen, das 1979 der Ars Electronica ihren Namen verleiht. 
> Erst Mitte der 80er Jahre tritt der Begriff Medien in den Vordergrund.
> Digitale Medien ersetzen die alten analogen Technologien, allerorten 
> ist von der Ankunft der Neuen Medien der Rede. Mit dem Attribut neu 
> verbindet sich eine alte Hoffnung. Es birgt das Versprechen einer 
> Avantgarde. Neu sind nicht länger nur die Wilden Maler der 80er, 
> sondern auch die Technologien. Aber im Gegensatz zu den gut überlegten 
> Positionen der Konzeptkunst führt das neuerliche Vertrauen in die 
> Technologien zu einer Inflation von Banalitäten. Medienkünstler 
> plappern technophile Slogans von der Simulation bis zum Virtuellen 
> nach und verlieren sich in haltlosen Experimenten an Schnittstellen 
> und Computer-Kitsch.
> Früchte trägt der dritte Einbruch des Medialen auf institutioneller 
> Ebene. 1990 wird die Kunsthochschule für Medien in Köln gegründet, 
> 1999 folgt das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. 
> Damit gehen akademische Versuche einher, einen Kanon zu formulieren 
> und Medienkunst als Genre zu etablieren. An den scheinbaren Erfolg der 
> Medienkunst will wenig später die Netzkunst anknüpfen. Aber spätestens 
> hier wird das Dilemma offensichtlich. Den entscheidenden 
> technisch-kulturellen Innovationen hinkt die Kunst hinterher. Das 
> Internet wächst an Forschungseinrichtungen und Universitäten, durch 
> Standardisierungen und Programmiersprachen und nicht zuletzt mit dem 
> kalifornischen Schulterschluss von Investoren und Entrepreneuren. So 
> verliert die Medienkunst an beiden Seiten. Weder prägt sie die Kultur 
> der Medien und noch erlangt sie innerhalb der Kunstwelt eine Position 
> von Bedeutung. Um es drastisch zu sagen: viel kreative Energie wurde 
> dafür verschwendet,  Kunst mit den Medien zu versöhnen, während man 
> anderswo das Netz als Programm und Ökonomie real verwirklichte.
>
> Heute ändert sich die Lage der Medien dramatisch. Was sich im Verlauf 
> des letzten Jahrhunderts als Foto, Film, Video, Fernsehen, 
> Schallplatte, Radio und so weiter nebeneinander entwickelt hat, wird 
> von einer übergreifenden digitalen Kultur vereinheitlicht. Man 
> unterscheidet noch zwischen Formaten und Schnittstellen, aber die 
> Grenzen zwischen einzelnen Medien verschwinden. Im Netz konvergiert, 
> was zuvor getrennt war. Jedes Handy ist ein kleiner Computer mit 
> Online-Anschluss, der sämtliche Sinne bedient. Medien sind passé.
>
> Was bleibt zu sagen? Medienkunst war eine Episode. Da ihre 
> Institutionen nicht vergehen, lebt sie als Dinosaurier der 80er und 
> 90er Jahre weiter. Auf der anderen Seite hat Kunst technologisch 
> längst die meisten Grenzen überwunden. Künstler arbeiten mit 
> beliebigen  Medien, von der Zeichnung bis zum Internet. Als 
> Gegenkultur zu den kommerziellen Produkten der Netze und Medien nimmt 
> Kunst nach wie vor eine wichtige Position ein. Aber allein technisch 
> lässt sie sich auf den Begriff bringen. Es gibt genug gute Kunst, die 
> ganz selbstverständlich Medien einsetzt. Aber es gibt keine Medienkunst.
>