[rohrpost] Alle Kunst ist Medienkunst!
-g-
mail at georgklein.de
Mit Jan 30 11:48:47 CET 2008
Hier möchte ich doch einmal quer einsteigen mit einem Statement aus
klangkünstlerischer Perspektive (Klangkunst taucht ja seltsamerweise in
der Medienkunstdebatte überhaupt nicht auf, dabei ist hier der Gebrauch
technischer Medien geradezu gattungsprägend).
"Alle Kunst ist Medienkunst", stimmt zwar, ist aber letztlich
aussagelos, wenn Medienkunst noch irgendetwas bedeuten soll. Für mich
kann jede Kunst- und Musikform Medienkunst sein, wenn sie
zum einen - und das wäre die weitere Bestimmung - reflexiv mit dem
Medium umgeht, also das Medium bzw. dessen Gebrauch, selbst
thematisiert.
und dazu - und das wäre die eingrenzendere Bestimmung - ein technisches
Übertragungs-, Speicher oder Wiedergabemedium nutzt, das die
unmittelbaren Zeit- und Raumbedingungen der Wahrnehmungssituation
bricht.
Wenn ich ein Bild ansehe, ist das Bild zwar ein Medium, aber die
Situation der Wahrnehmung ist unmittelbar. Da steht kein weiteres
Medium dazwischen. Würde ich das Bild ansehen und diese
Wahrnehmungssituation würde im Bild selbst auftauchen, wäre es
Medienkunst (wenn man die zweite, technische Bestimmung erst mal
wegließe). Velazquez "Las Meninas" ist da ein schönes Beispiel, in dem
eine sogar doppelte Reflexion im Bild enthalten ist, s.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Velazquez-Meninas.jpg . Also
Velazques machte sich schon 1656 medientheoretische Gedanken und hat
eine mediale Reflexion gemalt. Vielleicht würde er heutzutage
zusätzlich eine Videokamera benutzen, die das Bild des Betrachters in
den (gemalten) Spiegel im Hintergrund seines Gemäldes hineinprojiziert
(dort ist nämlich das Königselternpaar zu sehen, das offensichtlich die
gesamte Malsituation aus der Perspektive des äußeren Betrachters
beobachtet.)
Für mich wäre Fotografie per se keine Medienkunst, ausser sie
thematisiert das Fotografieren selbst, Videoinstallationen per se keine
Medienkunst, ausser sie reflektieren das Wahrnehmen der Situation
selbst (interessanterweise sind es diese closed circuits der 60er
Jahre, worin die Videokunst ihren Anfang nahm), Netzkunst keine
Medienkunst, ausser sie thematisiert die Funktionsweise des Internets
bzw. spielt mit seinen Wahrnehmungsformen.
In der Konzertmusik wie in der Klangkunst wird vielfach mit medialen
Spiegelungen gearbeitet, die die unmittelbaren Zeit- und
Raumbedingungen der Wahrnehmung z.B. durch Zeitschleifen bricht, so
dass das unmittelbar Vergangene im Gegenwärtigen auftaucht. In einer
meiner eigenen Installationen (TRASA warszawa-berlin, eine simultane
Klang-Videoinstallation an zwei öffentlichen Orten) war es eine
geringfügige Zeitverzögerung im Spiegelbild, was gegenüber der
unmittelbaren Spiegelung eine mediale Differenz ergab und so ein
enormes selbstreflexives Potential erzeugte.
Na ja, da gäbe es nun unzählige weitere Beispiele - ich möchte hier nur
soviel in die Diskussion hineinwerfen.
-g-
-- georg klein --
-- composer | sound and media artist --
-- atelier klangquadrat | büro für klang- und medienkunst --
-- manteuffelstr. 77 | 10999 berlin --
-- ++49-30-69567896 | http://www.georgklein.de --
Am 29.01.2008 um 18:43 schrieb Tilman Baumgärtel:
> Lieber Stefan,
>
> schön, dass mal wieder jemand die Rohrpost als Plattform für
> Diskussionen benutzt.
>
> Zu dem, was Du da schreibst. gibt es viel zu sagen, ich möchte nur
> einen Satz herausgreifen:
>> Künstler arbeiten mit beliebigen Medien, von der Zeichnung bis zum
>> Internet.
>
> Wenn es so wäre, dass die "richtigen" Künstler (also die vom
> Kunstbetrieb anerkannten und als verkäuflich eingestuften Künstler,die
> Du wohl meinst) gelegentlich tolle Arbeiten mit Internet, Computer,
> Handy, Second Life etc schaffen würden, könnte man die Transmedialen,
> Ars Electronicas, Medienkunstschulen etc. vielleicht wirklich
> abschaffen. Leider kenne ich solche Beispiele nicht.
>
> Im "richtigen" Kunstbetrieb treibt ja gerade Regressionskunst a la
> Jonathan Meese und das Malerfürstentum neue Sumpfblüten. Aber auch die
> konzeptueller arbeitenden Künstler haben neue Medien meist nur für
> Dokumentationen aller Art benutzt, und nicht ihre anderen,
> wesentlichen Qualitäten herausgekitztelt. Das ist aber für meine
> Begriffe auch eine Aufgabe von Kunst: sich ihre Medien selbst
> vorzunehmen - ob das nun Ölfarbe oder html ist. Jede Kunst kann
> "Medienkunst" sein, wenn man mit Medien nicht nur technische Medien
> meint, sondern Medien als Kommunikationsmittel aller Art versteht, was
> auch die traditionellen Kunstmedien wie Stein, Holz, Farbe,
> Holzschnitt, Lithographie etc einschliesst.
>
> Der Vorwurf, dass die Netzkunst nicht das Netz geprägt hat, heisst
> weiter gedacht, dass Kunst nur dann ihrer Aufgabe gerecht wird, wenn
> sie die Gesellschaft verändert, und das ist nun wirklich eine
> Avantgarde-Utopie reinsten Wassers. Was haben denn Picasso, Warhol,
> Beuys, Polke, Richter, Dan Graham, Sol Lewitt (bitte anderen
> Grosskünstlernamen hier einfügen) zur Verbesserung oder Veränderung
> der Gesellschaft beigetragen? Im übrigen könnte man durchaus
> argumentieren, dass Kunst-Projekte wie The Thing, Digitale Stad oder
> die Internationale Stadt Facebook und MySpace vorweg genommen haben,
> oder dass OrangOrang YouTube hätte werden können, Jodi in dem meisten
> Webdesign-Coffeetable-Books der 90er Jahre vertreten waren etc.
>
> Das soll nicht heissen, dass ich mit der Mehrzahl der Arbeiten, die
> bei den einschlägigen Festivals (oder bei einer Ausstellung wie "Vom
> Funken zum Pixel") gezeigt werden, besonders glücklich wäre. Aber das
> gilt auch für die Mehrzahl der Arbeiten, die bei documenta et al
> gezeigt werden...
>
> Gruesse,
> Tilman
>
> --
> Dr. Tilman Baumgärtel Film Institute, College of Mass Communication,
> University of the Philippines
> www.tilmanbaumgaertel.net
>
> --
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