[rohrpost] Use = Sue (Kunst im Zeitalter des 'geistigen
Eigentums')
jimmy hawthorn
redaktion at kunstzeitung.net
Son Jul 27 19:11:28 CEST 2008
finden, die liesten hat auch die langfassung verdienst. kannsten nochmal
schicken?
Inke Arns schrieb:
> Hallo,
>
> letztes Wochenende wurde die Ausstellung "Anna Kournikova Deleted By
> Memeright Trusted System - Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums"
> in der PHOENIX Halle Dortmund eröffnet. Sie läuft bis zum 19. Oktober
> 2008. Die Ausstellung ist Teil des Projektes "Arbeit 2.0 -
> Urheberrecht und kreatives Schaffen in der digitalen Welt", das der
> HMKV gemeinsam mit iRights.info durchführt.
>
> In der von Inke Arns und Francis Hunger kuratierten Ausstellung sind
> 26 Arbeiten zu sehen, u.a. von AGENTUR (BE), Daniel Garcia Andújar
> (ES), Walter Benjamin (US), Pierre Bismuth (FR), Christian von Borries
> (DE), Christophe Bruno (FR), Claire Chanel & Scary Sherman (US), Lloyd
> Dunn (US/CZ), Fred Froehlich (DE), Nate Harrison (US), John Heartfield
> (DE), Michael Iber (DE), Laibach/Novi kolektivizem (SI), Kembrew
> McLeod (US), Sebastian Lütgert (DE), Monochrom (AT), Negativland and
> Tim Maloney (US), Der Plan (DE), Ramon & Pedro (CH), David Rice (US),
> Ines Schaber (DE), Alexei Shulgin & Aristarkh Chernyshev
> (Electroboutique, RU), Cornelia Sollfrank (DE), Stay Free (US), Jason
> Torchinsky (US), UBERMORGEN.COM & Alessandro Ludovico & Paolo Cirio
> (CH/AT/IT).
>
> Der folgende Text erscheint Anfang September 2008 im
> Ausstellungskatalog, der die gesamte Ausstellung in der PHOENIX Halle
> in Text und Bild dokumentieren wird. Der Katalog enthält außerdem
> Texte von Martin Conrads, Florian Cramer, Francis Hunger sowie ein
> Vorwort von Susanne Ackers und Volker Grassmuck.
>
> Viele Grüße,
> Inke
>
> www.hmkv.de
> www.iRights.info
>
>
> -----------------------
>
>
> Inke Arns
>
> Use = Sue1
> Von der Freiheit der Kunst im Zeitalter des ’geistigen Eigentums'
>
>
> “You can't use it without my permission ...
> I'm gonna sue your ass!"
>
> Negativland & Tim Maloney, Gimme the Mermaid,
> Musikvideo, 4:45 min., 2000
>
>
> Diese Sätze schreit die kleine Meerjungfrau von Disney mit der
> wütenden Stimme eines Urheberrechts-Anwaltes in dem Musikvideo Gimme
> the Mermaid2 der Band Negativland und des Disney-Animationsfilmers Tim
> Maloney zum Black Flags Song Gimme Gimme Gimme. Das Video ist im Stil
> der Video-Ästhetik der frühen 1980er Jahre gehalten und ist bewusst -
> als quasi politisches wie quer zum Zeitgeist liegendes ästhetisches
> Statement - an den Anfang der Ausstellung Anna Kournikova Deleted By
> Memeright Trusted System - Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums
> gesetzt.
>
> 1970er/1990er: Plunderphonics
>
> Negativland ist eine kalifornische “Plunderphonics"-Band, die in den
> späten 1970er Jahren gegründet wurde und mit Collage- und
> Samplingtechniken arbeitet. 1991 erschien die nicht-kommerzielle
> Single U2, die unter anderem Samples aus dem U2-Song I Still Haven't
> Found What I'm Looking For verwendete. Diese Veröffentlichung brachte
> der Band eine Klage des Labels Island Records im Namen der Rockband U2
> wegen Verletzung des Urheber- und Markenrechtes ein. Negativland
> versuchte zwar, die Verwendung der Samples als “Fair Use" zu
> bezeichnen, kam damit aber nicht durch und musste die gesamte Auflage
> zurückrufen und vernichten. Die Prozesskosten brachten die Band an den
> Rand des finanziellen Ruins.
>
> “Plunderphonics" (dt. etwa “Plünderphonik") bezeichnet Musik, die
> ausschließlich aus Samples anderer Musik besteht. Der kanadische
> Musiker Jon Oswald prägte den Begriff 1985 auf einer Konferenz in
> Toronto.3 “Plunderphonics" sind konzeptuelle Musikstücke, die für
> Oswald - im Gegensatz zur heutigen Verwendung des Sampling-Begriffs -
> ausschließlich aus Samples eines einzigen Künstlers bestehen - zum
> Beispiel nur aus musikalischem Material (typischen Gesangsparts oder
> Rhythmen) von James Brown. Oswalds 1989 erschienenes,
> nicht-kommerzielles Album Plunderphonics enthielt 25 solchermaßen
> ’verdichteter' Stücke, für die er jeweils Material eines einzigen
> Künstlers gesampelt hatte. So hatte er unter anderem den Song Bad von
> Michael Jackson in kleinste musikalische Einheiten zerschnitten und
> unter dem Titel Dab wieder neu zusammengesetzt. Oswald führte jedes
> Sample auf dem Cover minutiös auf. Das Dab-Albumcover bestand aus
> einer ’entblößenden' Montage des Covers von Michael Jacksons Album
> Bad. Nachdem die Canadian Recording Industry Association Jon Oswald
> wegen Verstoßes gegen das Copyright mit harten juristischen (und
> daraus folgend: finanziellen) Konsequenzen drohte, musste er alle noch
> nicht in den Umlauf gelangten Platten vernichten.4
>
> 1960er: Cut-Up
>
> Eine wichtige Inspiration für Oswalds Konzept der Plunderphonics war
> die Technik des “Cut-Up". Am 1. Oktober 1959 erfanden Brion Gysin und
> William Burroughs, dessen Buch Naked Lunch gerade erschienen war, im
> Beat Hotel in Paris den Cut-up. Diese Technik besteht darin,
> vorgefundenes Text- und Audiomaterial willkürlich auseinander zu
> schneiden und nach dem Zufallsprinzip wieder zusammenzufügen.5 Dabei
> kommen durchaus vollständige Sätze zustande, die teils erheiternden
> Nonsens enthalten, teils aber auch einen verschlüsselten Sinn zu haben
> scheinen. Gysin und Burroughs setzten auch Tonbandgeräte ein, deren
> Bänder von Hand über die Tonköpfe gezogen wurden, so dass auf einmal
> ganz neue Laute und Wörter zu hören waren. »Es war, als würde ein
> Virus das Wortmaterial von Mutation zu Mutation treiben«,6 und
> Burroughs fand es durchaus nahe liegend, in seinen ersten Textmontagen
> einen Bericht über den Stand der Virusforschung zu verwenden.
>
> 1950er/1980er: Détournement, Plagiarism
>
> Ein weiterer historischer Strang - der des situationistischen
> Détournement (Entwendung) und des neoistischen Plagiarism - geht auf
> den französischen Dichter Comte de Lautréamont
> (Isidore Ducasse, 1846-1870) zurück. In seinen Poésies (1870) schreibt
> er: “Das Plagiat ist notwendig. Es ist im Fortschritt inbegriffen. Es
> geht dem Satz eines Autors zu Leibe, bedient sich seiner Ausdrücke,
> streicht eine falsche Idee, ersetzt sie durch die richtige Idee."7
> Florian Cramer weist darauf hin, dass Lautréamonts Konzept des
> Plagiats in den 1950er Jahren zum situationistischen Détournement
> wurde und wiederum 30 Jahre später die Anticopyright-Subkulturen8 es
> zurück übersetzten in “plagiarism". Die “Festivals of Plagiarism"
> 1988-89 definieren “Plagiarismus" als “conscious manipulation of
> pre-existing elements in the creation of 'aesthetic' works. Plagiarism
> is inherent in all 'artistic' activity, since both pictorial and
> literary 'arts' function with an inherited language (...) Plagiarism
> enriches human language."9 Die in den Festivals of Plagiarism (die
> ihrerseits die Fluxus-Festivals und die neoistischen
> Apartment-Festivals plagiierten) verwendeten analogen Medien wie
> Fotokopierer, bedruckte T-Shirts, VHS- und Audiocassetten ähneln denen
> der Mail Art, die mit Collagen und Fotokopien arbeitete. Diese
> Bewegung, in der sich an Dada und Fluxus orientierte Amateurkünstler
> vernetzten, ging in den 1960er Jahren aus Ray Johnsons New York
> Correspondence School hervor. Während die Mail Art und insbesondere
> der Neoismus das Konzept der Originalität durch den Akt des bewussten
> Wiederholens zu unterlaufen versuchten, wurde jedoch
> erstaunlicherweise die “unbegrenzte Kopier- und Plagiierbarkeit von
> digitaler Information (...) von keinem der Beteiligten reflektiert."10
>
> Eine breite Kultur der Aneignung
>
> Dafür war es womöglich Ende der 1980er Jahre noch zu früh. Die oben
> geschilderten - für eine größere Öffentlichkeit zugegebenermaßen
> obskuren - Beispiele sind Vertreter einer breiten Kultur der Aneignung
> des 20. Jahrhunderts, die unter Verwendung von Bildern, Texten,
> Aufnahmen und anderen Fragmenten der Kultur über eben diese Kultur
> spricht - fast im Sinne eines “close reading". Bekanntester Vertreter
> dieser Kultur der Aneignung ist die Pop Art, die in den späten 1950er
> Jahren in Großbritannien von Richard Hamilton und in den USA unter
> anderem von Andy Warhol begründet wurde. Diese Kunstrichtung, die als
> einer der Vorläufer der Postmoderne gilt, verwendet Bilder aus der
> westlichen Konsum- und Warenwelt und eignet sich diese an. Analog dazu
> entwickelte sich in der Sowjetunion in den 1970er Jahren die so
> genannte “Soz Art", die sich des Bildarsenals der sozialistischen
> Waren- und Propagandawelt bediente. Die VertreterInnen der
> US-amerikanischen “Appropriation Art" (dt.: “Aneignungskunst") der
> 1970er und 1980er Jahre kopieren bewusst und mit strategischer
> Überlegung die Werke anderer Künstler (so z.B. Sherrie Levine, After
> Walker Evans, 1971), um damit Begriffe wie Originalität und
> Authentizität zu unterlaufen. “Found Footage" wiederum bezeichnet
> filmische Arbeiten, die vorgefundenes Filmmaterial übernehmen und
> manipulieren (zum Beispiel Martin Arnold, Douglas Gordon, Oliver
> Pietsch). Radikale Konzepte der Appropriation formulieren die frühen
> Erzählungen von Jorge Luis Borges wie auch die
> Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva in ihrer 1966 publizierten
> poststrukturalistischen Intertextualitäts-Theorie: “[T]out texte se
> construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et
> transformation d'un autre texte."11 Sowohl die explizite (d.h. als
> bewusste Strategie gewählte) als auch die implizite Intertextualität
> (dass “jeder Text aus einem Mosaik von Zitaten besteht und Übernahme
> und Transformation eines anderen Textes ist"12) unterlaufen das
> romantische Konzept des autonom aus sich selbst heraus schaffenden
> Künstler-Genies des 19. Jahrhunderts und ersetzen es durch ein
> zeitgemäßeres, für das die Rezeption (und Verarbeitung des
> Vorhandenen) wichtiger als Produktion von genuin Neuem ist.
>
> Geistiges Eigentum als “Öl des 21. Jahrhunderts"
>
> materiellen Gütern - ’gGetty, Gründer von Getty Images, der - neben
> Corbis - weltweit größten Bildagentur mit über 70 Millionen
> digitalisierten Bildern, hat ’geistiges Eigentum' daher treffend als
> “Öl des 21. Jahrhunderts" bezeichnet.
>
> Das Urheberrecht ist als “hart umkämpfte(r) Faktor unserer
> Volkswirtschaft"13 dabei, zum Marktordnungsinstrument der
> postindustriellen Gesellschaft zu werden. Die Konsequenzen dieser
> Entwicklung sind erheblich: “Die Ausweitung der Urheberrechte führt zu
> einer beispiellosen Konzentration von Ressourcen bei global agierenden
> Quasi-Monopolisten in den Medien- und IT-Märkten."14 Der Philosoph
> Eberhard Ortland vergleicht daher die Frage nach dem zukünftigen
> Zugang zu ’geistigem Eigentum' mit der Frage nach dem Zugang zum
> lebenswichtigen Rohstoff Wasser: “Die Frage, wer den Zugang zu den
> immateriellen Gütern und Datenströmen kontrollieren kann - und an
> welche Bedingungen der Zugang jeweils gebunden ist - , wird zu einer
> der zentralen Machtfragen des 21. Jahrhunderts. Es geht nicht nur um
> viel Geld; auch elementare bürgerliche Freiheiten stehen auf dem Spiel
> - wie das Recht, sich im Rahmen des verfügbaren Wissens ungehindert zu
> informieren, und das Recht, sich anderen mitzuteilen."15 Einen
> Ausblick auf die beispiellose Privatisierung von Geistesgütern gibt in
> der Ausstellung Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System -
> Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums Kembrew McLeods Projekt
> Freedom of Expression(tm), für das sich der amerikanische
> Hochschulprofessor 1998 den englischen Begriff für “Meinungsfreiheit"
> als Markenzeichen16 schützen ließ und jedem, der sein Markenzeichen
> ohne ausdrückliche Erlaubnis des Rechteinhabers verwendete, mit
> juristischen Konsequenzen drohte. Bereits 1997 hatte der spanische
> Künstler Daniel García Andújar für sein Projekt Language (Property)
> (gezeigt in der Ausstellung The Wonderful World of irational.org,
> 2006) Unmengen von Sätzen gesammelt, die heute eingetragene
> Warenzeichen und damit Eigentum ihrer jeweiligen Besitzer sind, wie
> z.B. “Where do you want to go today?TM" (Microsoft) oder “What you
> never thought possibleTM" (Motorola). Konsequenterweise lautete das
> Motto der Arbeit: “Remember, language is not free(tm)".
>
> Asymmetrische Ausweitung der Urheberrechte zugunsten der Verwerter
>
> In den letzten zehn Jahren fand ein fortlaufender Ausbau des
> Urheberrechts statt - “jedoch keineswegs im Interesse kreativen
> Werkschaffens, und schon gar nicht unter Berücksichtigung der
> Interessenlage der Allgemeinheit."17 Der Jurist Reto Hilty, Direktor
> des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und
> Steuerrecht, spricht von einer “gefährlichen Fiktion, der wir uns fast
> leidenschaftlich - aber unreflektiert - hingeben, nämlich die
> Vorstellung, dass wir mit dem Urheberrecht den Urheber schützen."18
> Vielmehr muss man zwischen drei Akteuren unterscheiden, deren
> Interessen das Urheberrecht zu berücksichtigen hat: Urheber
> (Kreative), Konsumenten und die “Urheberrechtsindustrien" (Hilty),
> sprich: die Verwerter. Hilty weist darauf hin, dass es die
> letztgenannte Gruppe in “unglaublich geschickter Art und Weise
> versteht, unter der Bezeichnung ’Urheber' wahrgenommen zu werden"19,
> indem sie nämlich den Sammelbegriff “ Rechteinhaber" verwendet, der
> jedoch die Tatsache verdecke, dass Urheber und Verwerter “keineswegs
> stets übereinstimmende Interessen haben".20 Es ist verständlich, dass
> die Verwerter die Schutzrechte ausdehnen wollen. “Die übliche Formel
> ’Mehr Schutz = mehr Kreativität' ist eben in hohem Maße salonfähig,
> ist sie doch ungemein einfach zu verstehen."21 Dass genau damit aber
> den Urhebern - den eigentlichen Kreativen - die Hände gebunden werden,
> fällt dabei meist unter den Tisch. Kreativität ist nicht erst seit
> Beginn des 20. Jahrhunderts - wie oben geschildert - eben oft
> ’Re-Kreativität', deren Urheber auf einen offenen Zugang zu Wissen und
> kulturellen Artefakten angewiesen sind. Dies bestätigt auch Hilty:
> “(B)ekanntlich ist niemand in der Lage, ohne Rückgriff auf
> Vorbestehendes Neues zu kreieren. Folglich darf es nicht sein, dass
> wir den Rechtsschutz soweit treiben, dass die Entstehung von neuen
> Werken ausgerechnet durch das Urheberrecht behindert wird. Wir sind
> aber (...) auf dem besten Wege, genau dies zu tun."22
>
> “Digitales Dilemma": Spannung zwischen Teilhabe und Verwertung
>
> Verschärft wird diese Situation durch das so genannte “digitale
> Dilemma". In dem Moment, da sich die Digitalisierung und die
> Möglichkeit des weltweiten Zugriffs auf Wissen positiv auf die
> Verfügbarkeit von Inhalten auswirken könnte, wird paradoxerweise der
> Zugang in erheblichem Maße eingeschränkt, so dass Digitalisierung
> regelrecht zu einer Verknappung führt. Der Grund hierfür ist in der
> scharfen Reaktion der Rechteindustrie auf die verlustfreie Kopier- und
> Verbreitbarkeit digitaler Werke zu finden. Seit 1990 setzen sich die
> Verwerter für die Einführung von Kopierschutzsystemen (Digital Rights
> Management, DRM) ein. Diese technischen Schranken verhindern jedoch
> nicht nur das massenhafte Kopieren digitaler Daten z.B. in
> Internet-Tauschbörsen, sondern verunmöglichen darüber hinaus auch
> Handlungen, die durch das bestehende Urheberrecht garantiert sind -
> z.B. das Recht auf die Erstellung einer Privatkopie.23 1996
> verabschiedete die Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) zwei
> Internetverträge, die ein 'Knacken' dieses Schutzes unter Strafe
> stellen.24 Darüber hinaus wurde für digitale Werke das
> Weiterverkaufsrecht abgeschafft.25 Nachdem sich heute jedoch
> herausgestellt hat, dass DRM nicht funktioniert, zielt die
> Rechteindustrie (v.a. der internationale Dachverband der
> Musikindustrie IFPI) derzeit auf die Infrastrukturebene der
> Internet-Service-Provider (ISPs) ab - und zwar mit Forderungen nach
> Internetfilterung und endgültigem Ausschluß von der Internetnutzung
> für wiederholte Urheberrechtsverstöße. Diese und weitere Maßnahmen
> versucht die US-amerikanische, europäische und japanische
> Rechteindustrie aktuell mittels des mulilateralen Anti Counterfeiting
> Trade Agreement (ACTA) weltweit durchzusetzen, und das in
> Geheimverhandlungen vorbei an den nationalen Parlamenten und den
> zuständigen UNO-Agenturen, der WIPO und der Welthandelsorganisation
> (WTO). Eine Diskussion in diesen Gremien würde Öffentlichkeit bedeuten
> - die den Anliegen der Verwerter jedoch nicht förderlich wäre.
>
> Kehren wir jedoch zu der paradoxen Situation des “digitalen Dilemmas"
> zurück, die auch Hilty als höchst problematisch beschreibt: “Je mehr
> Werke online verfügbar sind, desto mehr Nutzungsmöglichkeiten hätten
> wir theoretisch; doch erweist sich die Nutzung praktisch als immer
> schwieriger, je weniger traditionelle, d.h. physische Werkexemplare
> produziert werden."26 Denn wenn Werke nur noch online genutzt werden
> können, ist man den Bedingungen der Rechteinhaber ausgeliefert - und
> diese sind, wie bereits oben erwähnt, meistens nicht die Urheber,
> sondern die Verwerter, die die Ausdehnung von Schutzrechten, digitale
> Rechtekontrollsysteme (DRM) und Zugangskontrolle zum Internet - also
> ein faktisches Kopierverbot (und mehr als das) - favorisieren. Daher
> berührt das gegenwärtig geltende Urheberrecht, das dem digitalen
> Zeitalter noch nicht adäquat angepasst wurde, den “Zugang zum Wissen
> im Netz in viel weitreichenderer und fundamentalerer Art und Weise",
> so Jeanette Hofmann, “als dies in der analogen Welt der Fall ist."27
> Hofmann beschreibt das digitale Dilemma wie folgt:“In der viel
> zitierten Informationsgesellschaft entwickeln sich der Besitz an und
> die Zugangsrechte für Wissen aller Art gleichermaßen zur
> Sollbruchstelle der Demokratie wie auch zur wachstumsintensiven
> Wertschöpfungsquelle. In dem Spannungsverhältnis zwischen
> demokratischen Teilhabeansprüchen und ökonomischen
> Verwertungsinteressen liegt (...) der Kern des digitalen Dilemmas. Wie
> exklusive Verwertungs- und öffentliche Nutzungsansprüche an Wissen
> bzw. Wissenswaren künftig ausbalanciert werden, ist ein Politikum, das
> sich zu einer der zentralen Verteilungsfragen der neuen Ökonomie
> entwickeln dürfte."28
>
> Über die Zukunft der Kunst im Zeitalter des ’geistigen Eigentums'
>
> “Das Urheberrecht hat zum Ziel, die Erzeugung von Wissen
> sicherzustellen, indem es den Produzenten die Kontrolle über die
> Nutzung und Verbreitung ihrer Werke einräumt. Gleichzeitig verfolgt es
> jedoch die Absicht, den öffentlichen Zugang zu diesem Wissen
> sicherzustellen - nicht nur, weil die Erzeugung von Wissen
> anerkanntermaßen ein arbeitsteiliger Prozeß ist, sondern natürlich
> auch, weil alle, die Wissen erzeugen oder verbreiten, notwendigerweise
> auf bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen."29
>
> Mit der Ausweitung der Urheberrechte, die derzeit faktisch auf eine
> Ausweitung der Verwerteransprüche hinausläuft, “nehmen die
> Gelegenheiten zu, bewusst oder fahrlässig fremde Urheberrechte zu
> verletzen, wie auch das Risiko, fälschlich der Verletzung fremder
> Urheberrechte bezichtigt zu werden (...): insbesondere, wo Collage-
> oder Samplingtechniken eingesetzt werden, oder in der konzeptuellen
> Kunst."30 Daher mehren sich die Stimmen, die der Ausweitung der
> geistigen Eigentumsrechte kritisch gegenüber stehen - insbesondere
> dort, wo sich ’geistiges Eigentum' in seiner heutigen Form “gegen die
> Freiheit der Kunst (und der Wissenschaft) wendet und der Produktion
> neuer Werke im Wege zu stehen droht."31
>
> Die Ausstellung Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System -
> Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums in der 2.200 qm großen
> PHOENIX Halle in Dortmund-Hörde auf dem Gelände des ehemaligen
> Stahlwerks Phoenix-West fragt angesichts dieser Entwicklungen, was mit
> Kunst und Musik, die appropriierend, sampelnd und zitierend mit
> Vorbestehendem verfährt, im Zeitalter eines Urheber- bzw.
> Immaterialgüterrechts passiert, das immer stärker exklusiven
> Verwertungs- denn öffentlichen Nutzungsansprüchen verpflichtet ist.
> Entgegen der Behauptung der Urheberrechtsindustrie, die besagt, dass
> die Ausweitung der Schutzrechte (für wen?) mehr Kreativität bedeutet,
> stellt die Ausstellung die These auf, dass Kreativität nur dann
> möglich ist und bleibt, wenn Künstlerinnen und Künstler in der Lage
> sind, mit Rückgriff auf Vorbestehendes Neues zu schaffen. Aneignende
> Kunst, die über Kultur spricht, indem sie sich auf kulturelle
> Artefakte bezieht und vorgefundenes ästhetisches Material verwendet,
> wird weiterhin nur dann entstehen können, wenn auch in Zukunft
> gewährleistet ist, dass neben den gerechtfertigten ökonomischen
> Interessen der Urheber und der Verwerter die demokratischen
> Teilhabeansprüche (von Konsumenten - und Urhebern!) ausreichend
> berücksichtigt werden.
>
> Sollte die Entwicklung des Urheberrechts und der anderen geistigen
> Eigentumsrechte so weiter betrieben werden, wie es derzeit der Fall
> ist, wird dies durchaus in Frage gestellt. Ein solchermaßen im Sinne
> der Verwerter verschärftes Urheberrecht würde sich gegen die Freiheit
> der Kunst wenden und zu einem effektiven Instrument der Unterbindung
> von Neuem mutieren. Es würde immer schwieriger, über Kultur unter
> Verwendung von Bildern, Logos oder Soundschnipseln eben dieser Kultur
> zu sprechen. Einen Vorgeschmack auf diese Entwicklung gibt bereits die
> Tatsache, dass Sampling im Hip Hop stark abgenommen hat, seitdem
> Rechtsabteilungen von Majors aggressiv gegen unlizenzierte Samples von
> Musikern anderer Labels vorgehen. In diesem Sinne ließe sich im
> Hinblick auf die in der Ausstellung vertretenen Arbeiten fragen: Was
> passiert z.B. mit Fred Fröhlichs digitaler Animation Volume 1, die
> eine verschärfte Form von “plunderphonics" oder found footage
> darstellt - die nämlich aus über zehntausend so genannten “stock
> photographs" besteht? Diese Arbeit spricht, wie auch das
> Karaoke-Musikvideo von Der Plan, Hohe Kante (2004), explizit und
> kritisch über unsere Zeit - unter Verwendung von Bildern ihrer
> Alltagskultur.
>
> Happy Birthday To You
>
> Die fiktive Zeitungsmeldung über den Tod des Ex-Tennisprofis und
> Models Anna Kournikova im Jahr 2067, auf die sich der
> Ausstellungstitel Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System
> bezieht, beschreibt nicht eine ferne Zukunft, sondern ansatzweise
> bereits unsere Gegenwart. Die perfide formulierte Meldung berichtet in
> knappen Worten, dass Kournikova, die ihr Aussehen bzw. ihre ’Marke'
> gegen illegale Lookalikes hat schützen lassen, auf einer nicht
> angemeldeten Reise in den asien-pazifischen Raum als unerlaubte Kopie
> ihrer selbst identifiziert wird und von dem starken Laserstrahl eines
> Satelliten des Memeright Trusted System ausgelöscht wird.
>
> Dieses Szenario könnte sich nach erfolgreicher Einrichtung eines
> solchen Systems allerdings auch auf Ihrer nächsten Geburtstagsparty
> ereignen. Wussten Sie, dass das Lied Happy Birthday To You32 Time
> Warner gehört, dem weltweit größten Unternehmen im Bereich der
> Unterhaltungsindustrie? Jedes Mal, wenn Sie diesen schönen Song ohne
> Erlaubnis des Rechteinhabers singen, begehen Sie eine
> Urheberrechtsverletzung. Insofern ist der Cut-up im Titel dieses
> Textes nicht nur ein Wortspiel. Denken Sie bei der nächsten Party dran
> und bezahlen Sie die Lizenzgebühren. Die Alternative? Singen Sie das
> Lied einfach nicht mehr.
>
>
>
>
> 1 Eigentlich “to use" = “to get sued"; “benutzen" = “verklagt werden".
> 2 Musikvideo des gleichnamigen Songs, publiziert auf der
> Negativland-CD Fair Use: The Story of the Letter U and the Numeral 2,
> 4:49 min., 2000.
> 3 Oswald, Jon: Plunderphonics, or Audio Piracy as a Compositional
> Prerogative. In: Wired Society Electro-Acoustic Conference, Toronto
> 1985, http://www.plunderphonics.com/xhtml/xplunder.html.
> 4 Anlässlich der Gerichtsverfahren gegen Oswald und Negativland
> erschien 1993 der CVS Bulletin (“Copyright Violation Squad Bulletin").
> Er stellt eine Art Manifest der Plunderphonics dar. Vgl.
> http://cvs.detritus.net/.
> 5 Als rein poetisches Verfahren zur Erzeugung ungewöhnlicher Bilder
> haben “Cut-up" und “Fold-in" zahlreiche Vorläufer: bei den Dadaisten
> und Surrealisten, bei den Lettristen und in der Konkreten Poesie der
> 1950er Jahre, im Gesellschaftsspiel der ðCrosscolumn readingsÐ, das um
> 1770 in England aufkam, sowie in der ðars combinatoriaÐ der
> europäischen Manieristen, die im 16. und 17. Jahrhundert mit
> Kombinationstabellen so genannte ðOppositionsmetaphernÐ erzeugten.
> 6 Weissner, Carl: Das Burroughs-Experiment. In: Burroughs, eine
> Bild-Biografie, Berlin 1994, S. 62.
> 7 "Le plagiat est nécessaire. Le progrès l'implique. Il serre de près
> la phrase d'un auteur, se sert de ses expressions, efface une idée
> fausse, la remplace par l'idée juste." (Isidore Ducasse, Poésies,
> 1870, http://www.gutenberg.org/etext/16989).
> 8 Vgl. dazu das Panel zu Art as Anticopyright Activism, Wizards of OS
> 3, Berlin 2004,
> http://www.wizards-of-os.org/archiv/wos_3/programm/panels/freier_content/art_as_anticopright_activism.html
>
> 9 “Plagiarism", Festival of Plagiarism - London, January/February 1988
> 10 Cramer, Florian: Anti-Copyright in künstlerischen Subkulturen,
> Vortrag, 22.9.2000,
> http://plaintext.cc:70/all/anticopyright_in_kuenstlerischen_subkulturen/anticopyright_in_kuenstlerischen_subkulturen.html
>
> 11 Kristeva, Julia: Le mot, le Dialogue et le Roman. In: Dies.
> Sémeiotikè. Recherches pour une Sémanalyse. Paris 1969, S. 146.
> 12 Von der Verfasserin übersetztes Zitat von Julia Kristeva.
> 13 Hilty, Reto M.: Sündenbock Urheberrecht?. In: Geistiges Eigentum
> und Gemeinfreiheit. Ansgar Ohly und Diethelm Klippel (Hg.), Tübingen:
> Mohr Siebeck 2007, S. 107-144. Hier: S. 111.
> 14 Ortland, Eberhard: Die Schlüsselrolle der Kunst für das
> Urheberrecht. In: Urheberrecht im Alltag. Kopieren, bearbeiten, selber
> machen / iRights.info, Valie Djordjevic, Robert Gehring, Volker
> Grassmuck, Till Kreuzer, Matthias Spielkamp (Hg.), Bonn:
> Bundeszentrale für politische Bildung 2008, S. 311-315. Hier: S. 311.
> Vgl. auch iRights.info, 16.6.2006,
> http://www.irights.info/index.php?id=530.
> 15 Ortland 2008, S. 312.
> 16 Wörter können durch das Markenrecht geschützt werden, nicht aber
> durch das Urheberrecht.
> 17 Hilty 2007, S.144.
> 18 Hilty 2007, S.113.
> 19 Hilty 2007, S.113.
> 20 Hilty 2007, S.114.
> 21 Hilty 2007, S.137. Genau das behauptet auch der Offene Brief an die
> Bundeskanzlerin zum Tag des Geistigen Eigentums, V.i.S.d.P.:
> Bundesverband Musikindustrie e.V., In: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
> 25. April 2008.
> 22 Hilty 2007, S.118-119.
> 23 Vgl. http://www.privatkopie.net.
> 24 Sie wurden in den USA mit dem Digital Millenium Copyright Act
> (DMCA), 1998, und der EU Richtlinie zum Urheberrecht in der
> Informationsgesellschaft, 2001, umgesetzt.
> 25 Im Unterschied zu digitalen Daten können materielle Tonträger wie
> Schallplatten, CDs oder DVDs z.B. in Second Hand Läden weiterverkauft
> werden.
> 26 Hilty 2007, S.110.
> 27 Hofmann, Jeanette: Das ’Digitale Dilemma' und der Schutz des
> Geistigen Eigentums. Beitrag zur Tagung Wem gehört das Wissen?,
> Heinrich-Böll-Stiftung, 10/2000
> http://www.wissensgesellschaft.org/themen/publicdomain/dilemma.html
> 28 Hofmann 2000.
> 29 Hofmann 2000.
> 30 Ortland 2008, S. 312.
> 31 Ortland 2008, S. 314.
> 32 Die Melodie wurde von den Lehrerinnen Mildred und Patty Hill 1893
> unter dem Titel Good Morning to All in ihrem Buch Song Stories for the
> Kindergarten veröffentlicht. Kinder fingen an, das Lied bei
> Geburtstagsfeiern mit eigenen Texten zu singen. Vgl. dazu in der
> Ausstellung: Illegal Art, CD. Vgl. hierzu auch: McLeod, Kembrew:
> Copyright and the Folk Music Tradition. In: Ders.: Owning Culture.
> Authorship, Ownership & Intellectual Property Law, New York: Peter
> Lang 2001, S. 39-69.
>
>
>
>