[rohrpost] Use = Sue (Kunst im Zeitalter des 'geistigen Eigentums')

Inke Arns inke.arns at hmkv.de
Son Jul 27 15:31:23 CEST 2008


Hallo,

letztes Wochenende wurde die Ausstellung "Anna 
Kournikova Deleted By Memeright Trusted System - 
Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums" in 
der PHOENIX Halle Dortmund eröffnet. Sie läuft 
bis zum 19. Oktober 2008. Die Ausstellung ist 
Teil des Projektes "Arbeit 2.0 - Urheberrecht und 
kreatives Schaffen in der digitalen Welt", das 
der HMKV gemeinsam mit iRights.info durchführt.

In der von Inke Arns und Francis Hunger 
kuratierten Ausstellung sind 26 Arbeiten zu 
sehen, u.a. von AGENTUR (BE), Daniel Garcia 
Andújar (ES), Walter Benjamin (US), Pierre 
Bismuth (FR), Christian von Borries (DE), 
Christophe Bruno (FR), Claire Chanel & Scary 
Sherman (US), Lloyd Dunn (US/CZ), Fred Froehlich 
(DE), Nate Harrison (US), John Heartfield (DE), 
Michael Iber (DE), Laibach/Novi kolektivizem 
(SI), Kembrew McLeod (US), Sebastian Lütgert 
(DE), Monochrom (AT), Negativland and Tim Maloney 
(US), Der Plan (DE), Ramon & Pedro (CH), David 
Rice (US), Ines Schaber (DE), Alexei Shulgin & 
Aristarkh Chernyshev (Electroboutique, RU), 
Cornelia Sollfrank (DE), Stay Free (US), Jason 
Torchinsky (US), UBERMORGEN.COM & Alessandro 
Ludovico & Paolo Cirio (CH/AT/IT).

Der folgende Text erscheint Anfang September 2008 
im Ausstellungskatalog, der die gesamte 
Ausstellung in der PHOENIX Halle in Text und Bild 
dokumentieren wird. Der Katalog enthält außerdem 
Texte von Martin Conrads, Florian Cramer, Francis 
Hunger sowie ein Vorwort von Susanne Ackers und 
Volker Grassmuck.

Viele Grüße,
Inke

www.hmkv.de
www.iRights.info


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Inke Arns

Use = Sue1
Von der Freiheit der Kunst im Zeitalter des ’geistigen Eigentums'


“You can't use it without my permission ...
I'm gonna sue your ass!"

Negativland & Tim Maloney, Gimme the Mermaid,
Musikvideo, 4:45 min., 2000


Diese Sätze schreit die kleine Meerjungfrau von 
Disney mit der wütenden Stimme eines 
Urheberrechts-Anwaltes in dem Musikvideo Gimme 
the Mermaid2 der Band Negativland und des 
Disney-Animationsfilmers Tim Maloney zum Black 
Flags Song Gimme Gimme Gimme. Das Video ist im 
Stil der Video-Ästhetik der frühen 1980er Jahre 
gehalten und ist bewusst - als quasi politisches 
wie quer zum Zeitgeist liegendes ästhetisches 
Statement - an den Anfang der Ausstellung Anna 
Kournikova Deleted By Memeright Trusted System - 
Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums 
gesetzt.

1970er/1990er: Plunderphonics

Negativland ist eine kalifornische 
“Plunderphonics"-Band, die in den späten 1970er 
Jahren gegründet wurde und mit Collage- und 
Samplingtechniken arbeitet. 1991 erschien die 
nicht-kommerzielle Single U2, die unter anderem 
Samples aus dem U2-Song I Still Haven't Found 
What I'm Looking For verwendete. Diese 
Veröffentlichung brachte der Band eine Klage des 
Labels Island Records im Namen der Rockband U2 
wegen Verletzung des Urheber- und Markenrechtes 
ein. Negativland versuchte zwar, die Verwendung 
der Samples als “Fair Use" zu bezeichnen, kam 
damit aber nicht durch und musste die gesamte 
Auflage zurückrufen und vernichten. Die 
Prozesskosten brachten die Band an den Rand des 
finanziellen Ruins.

“Plunderphonics" (dt. etwa “Plünderphonik") 
bezeichnet Musik, die ausschließlich aus Samples 
anderer Musik besteht. Der kanadische Musiker Jon 
Oswald prägte den Begriff 1985 auf einer 
Konferenz in Toronto.3 “Plunderphonics" sind 
konzeptuelle Musikstücke, die für Oswald - im 
Gegensatz zur heutigen Verwendung des 
Sampling-Begriffs - ausschließlich aus Samples 
eines einzigen Künstlers bestehen - zum Beispiel 
nur aus musikalischem Material (typischen 
Gesangsparts oder Rhythmen) von James Brown. 
Oswalds 1989 erschienenes, nicht-kommerzielles 
Album Plunderphonics enthielt 25 solchermaßen 
’verdichteter' Stücke, für die er jeweils 
Material eines einzigen Künstlers gesampelt 
hatte. So hatte er unter anderem den Song Bad von 
Michael Jackson in kleinste musikalische 
Einheiten zerschnitten und unter dem Titel Dab 
wieder neu zusammengesetzt. Oswald führte jedes 
Sample auf dem Cover minutiös auf. Das 
Dab-Albumcover bestand aus einer ’entblößenden' 
Montage des Covers von Michael Jacksons Album 
Bad. Nachdem die Canadian Recording Industry 
Association Jon Oswald wegen Verstoßes gegen das 
Copyright mit harten juristischen (und daraus 
folgend: finanziellen) Konsequenzen drohte, 
musste er alle noch nicht in den Umlauf gelangten 
Platten vernichten.4

1960er: Cut-Up

Eine wichtige Inspiration für Oswalds Konzept der 
Plunderphonics war die Technik des “Cut-Up". Am 
1. Oktober 1959 erfanden Brion Gysin und William 
Burroughs, dessen Buch Naked Lunch gerade 
erschienen war, im Beat Hotel in Paris den 
Cut-up. Diese Technik besteht darin, 
vorgefundenes Text- und Audiomaterial willkürlich 
auseinander zu schneiden und nach dem 
Zufallsprinzip wieder zusammenzufügen.5 Dabei 
kommen durchaus vollständige Sätze zustande, die 
teils erheiternden Nonsens enthalten, teils aber 
auch einen verschlüsselten Sinn zu haben 
scheinen. Gysin und Burroughs setzten auch 
Tonbandgeräte ein, deren Bänder von Hand über die 
Tonköpfe gezogen wurden, so dass auf einmal ganz 
neue Laute und Wörter zu hören waren. »Es war, 
als würde ein Virus das Wortmaterial von Mutation 
zu Mutation treiben«,6 und Burroughs fand es 
durchaus nahe liegend, in seinen ersten 
Textmontagen einen Bericht über den Stand der 
Virusforschung zu verwenden.

1950er/1980er: Détournement, Plagiarism

Ein weiterer historischer Strang - der des 
situationistischen Détournement (Entwendung) und 
des neoistischen Plagiarism - geht auf den 
französischen Dichter Comte de Lautréamont
(Isidore Ducasse, 1846-1870) zurück. In seinen 
Poésies (1870) schreibt er: “Das Plagiat ist 
notwendig. Es ist im Fortschritt inbegriffen. Es 
geht dem Satz eines Autors zu Leibe, bedient sich 
seiner Ausdrücke, streicht eine falsche Idee, 
ersetzt sie durch die richtige Idee."7 Florian 
Cramer weist darauf hin, dass Lautréamonts 
Konzept des Plagiats in den 1950er Jahren zum 
situationistischen Détournement wurde und 
wiederum 30 Jahre später die 
Anticopyright-Subkulturen8 es zurück übersetzten 
in “plagiarism". Die “Festivals of Plagiarism" 
1988-89 definieren “Plagiarismus" als “conscious 
manipulation of pre-existing elements in the 
creation of 'aesthetic' works. Plagiarism is 
inherent in all 'artistic' activity, since both 
pictorial and literary 'arts' function with an 
inherited language (...) Plagiarism enriches 
human language."9 Die in den Festivals of 
Plagiarism (die ihrerseits die Fluxus-Festivals 
und die neoistischen Apartment-Festivals 
plagiierten) verwendeten analogen Medien wie 
Fotokopierer, bedruckte T-Shirts, VHS- und 
Audiocassetten ähneln denen der Mail Art, die mit 
Collagen und Fotokopien arbeitete. Diese 
Bewegung, in der sich an Dada und Fluxus 
orientierte Amateurkünstler vernetzten, ging in 
den 1960er Jahren aus Ray Johnsons New York 
Correspondence School hervor. Während die Mail 
Art und insbesondere der Neoismus das Konzept der 
Originalität durch den Akt des bewussten 
Wiederholens zu unterlaufen versuchten, wurde 
jedoch erstaunlicherweise die “unbegrenzte 
Kopier- und Plagiierbarkeit von digitaler 
Information (...) von keinem der Beteiligten 
reflektiert."10

Eine breite Kultur der Aneignung

Dafür war es womöglich Ende der 1980er Jahre noch 
zu früh. Die oben geschilderten - für eine 
größere Öffentlichkeit zugegebenermaßen obskuren 
- Beispiele sind Vertreter einer breiten Kultur 
der Aneignung des 20. Jahrhunderts, die unter 
Verwendung von Bildern, Texten, Aufnahmen und 
anderen Fragmenten der Kultur über eben diese 
Kultur spricht - fast im Sinne eines “close 
reading". Bekanntester Vertreter dieser Kultur 
der Aneignung ist die Pop Art, die in den späten 
1950er Jahren in Großbritannien von Richard 
Hamilton und in den USA unter anderem von Andy 
Warhol begründet wurde. Diese Kunstrichtung, die 
als einer der Vorläufer der Postmoderne gilt, 
verwendet Bilder aus der westlichen Konsum- und 
Warenwelt und eignet sich diese an. Analog dazu 
entwickelte sich in der Sowjetunion in den 1970er 
Jahren die so genannte “Soz Art", die sich des 
Bildarsenals der sozialistischen Waren- und 
Propagandawelt bediente. Die VertreterInnen der 
US-amerikanischen “Appropriation Art" (dt.: 
“Aneignungskunst") der 1970er und 1980er Jahre 
kopieren bewusst und mit strategischer Überlegung 
die Werke anderer Künstler (so z.B. Sherrie 
Levine, After Walker Evans, 1971), um damit 
Begriffe wie Originalität und Authentizität zu 
unterlaufen. “Found Footage" wiederum bezeichnet 
filmische Arbeiten, die vorgefundenes 
Filmmaterial übernehmen und manipulieren (zum 
Beispiel Martin Arnold, Douglas Gordon, Oliver 
Pietsch). Radikale Konzepte der Appropriation 
formulieren die frühen Erzählungen von Jorge Luis 
Borges wie auch die Literaturwissenschaftlerin 
Julia Kristeva in ihrer 1966 publizierten 
poststrukturalistischen 
Intertextualitäts-Theorie: “[T]out texte se 
construit comme mosaïque de citations, tout texte 
est absorption et transformation d'un autre 
texte."11 Sowohl die explizite (d.h. als bewusste 
Strategie gewählte) als auch die implizite 
Intertextualität (dass “jeder Text aus einem 
Mosaik von Zitaten besteht und Übernahme und 
Transformation eines anderen Textes ist"12) 
unterlaufen das romantische Konzept des autonom 
aus sich selbst heraus schaffenden 
Künstler-Genies des 19. Jahrhunderts und ersetzen 
es durch ein zeitgemäßeres, für das die Rezeption 
(und Verarbeitung des Vorhandenen) wichtiger als 
Produktion von genuin Neuem ist.

Geistiges Eigentum als “Öl des 21. Jahrhunderts"

 I n   e i n e r  
 p o s t i n d u s t r i e l l e n  
 G e s e l l s c h a f t   w e r d e n  
 n i c h t   m e h r   a l l e i n  
 m a t e r i e l l e   G ü t e r   ( w i e  
 S t a h l ,   K o h l e   e t c . )  
 p r o d u z i e r t ,   s o n d e r n  
 z u n e h m e n d   i m m a t e r i e l l e  
 G ü t e r .   Zwischen diesen   g i b t  
 j e d o c h   e i n e n  
 s i g n i f i k a n t e n  
 U n t e r s c h i e d :  
 I m m a t e r i a l g ü t e r   w i e  
 W i s s e n   u n d   I n f o r m a t i o n e n  
 l a s s e n   s i c h - im Gegensatz zu 
materiellen Gütern -  v e r l u s t f r e i  
 r e p r o d u z i e r e n .   U m  jedoch  i n  
 e i n e r  
 W e r t s c h ö p f u n g s k e t t e  
 f u n k t i o n i e r e n   z u   k ö n n e n ,  
 m ü s s e n   d i e s e  
 I m m a t e r i a l g ü t e r    i n  
 i h r e r   V e r b r e i t u n g  
 e i n g e s c h r ä n k t   w e r d e n - u n d  
 z w a r   m i t   H i l f e   d e s  
 P a t e n t - ,   d e s   U r h e b e r -  
 u n d   d e s  
 M a r k e n s c h u t z r e c h t s .   A l l  
 d i e s   s i n d   F o r m e n    
’g e i s t i g e n   E i g e n t u m s '. Mark 
Getty, Gründer von Getty Images, der - neben 
Corbis - weltweit größten Bildagentur mit über 70 
Millionen digitalisierten Bildern, hat ’geistiges 
Eigentum' daher treffend als “Öl des 21. 
Jahrhunderts" bezeichnet.

Das Urheberrecht ist als “hart umkämpfte(r) 
Faktor unserer Volkswirtschaft"13 dabei, zum 
Marktordnungsinstrument der postindustriellen 
Gesellschaft zu werden. Die Konsequenzen dieser 
Entwicklung sind erheblich: “Die Ausweitung der 
Urheberrechte führt zu einer beispiellosen 
Konzentration von Ressourcen bei global 
agierenden Quasi-Monopolisten in den Medien- und 
IT-Märkten."14 Der Philosoph Eberhard Ortland 
vergleicht daher die Frage nach dem zukünftigen 
Zugang zu ’geistigem Eigentum' mit der Frage nach 
dem Zugang zum lebenswichtigen Rohstoff Wasser: 
“Die Frage, wer den Zugang zu den immateriellen 
Gütern und Datenströmen kontrollieren kann - und 
an welche Bedingungen der Zugang jeweils gebunden 
ist - , wird zu einer der zentralen Machtfragen 
des 21. Jahrhunderts. Es geht nicht nur um viel 
Geld; auch elementare bürgerliche Freiheiten 
stehen auf dem Spiel - wie das Recht, sich im 
Rahmen des verfügbaren Wissens ungehindert zu 
informieren, und das Recht, sich anderen 
mitzuteilen."15 Einen Ausblick auf die 
beispiellose Privatisierung von Geistesgütern 
gibt in der Ausstellung Anna Kournikova Deleted 
By Memeright Trusted System - Kunst im Zeitalter 
des Geistigen Eigentums Kembrew McLeods Projekt 
Freedom of Expression(tm), für das sich der 
amerikanische Hochschulprofessor 1998 den 
englischen Begriff für “Meinungsfreiheit" als 
Markenzeichen16 schützen ließ und jedem, der sein 
Markenzeichen ohne ausdrückliche Erlaubnis des 
Rechteinhabers verwendete, mit juristischen 
Konsequenzen drohte. Bereits 1997 hatte der 
spanische Künstler Daniel García Andújar für sein 
Projekt Language (Property) (gezeigt in der 
Ausstellung The Wonderful World of irational.org, 
2006) Unmengen von Sätzen gesammelt, die heute 
eingetragene Warenzeichen und damit Eigentum 
ihrer jeweiligen Besitzer sind, wie z.B. “Where 
do you want to go today?TM" (Microsoft) oder 
“What you never thought possibleTM" (Motorola). 
Konsequenterweise lautete das Motto der Arbeit: 
“Remember, language  is not free(tm)".

Asymmetrische Ausweitung der Urheberrechte zugunsten der Verwerter

In den letzten zehn Jahren fand ein fortlaufender 
Ausbau des Urheberrechts statt - “jedoch 
keineswegs im Interesse kreativen Werkschaffens, 
und schon gar nicht unter Berücksichtigung der 
Interessenlage der Allgemeinheit."17 Der Jurist 
Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für 
Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, 
spricht von einer “gefährlichen Fiktion, der wir 
uns fast leidenschaftlich - aber unreflektiert - 
hingeben, nämlich die Vorstellung, dass wir mit 
dem Urheberrecht den Urheber schützen."18 
Vielmehr muss man zwischen drei Akteuren 
unterscheiden, deren Interessen das Urheberrecht 
zu berücksichtigen hat: Urheber (Kreative), 
Konsumenten und die “Urheberrechtsindustrien" 
(Hilty), sprich: die Verwerter. Hilty weist 
darauf hin, dass es die letztgenannte Gruppe in 
“unglaublich geschickter Art und Weise versteht, 
unter der Bezeichnung ’Urheber' wahrgenommen zu 
werden"19, indem sie nämlich den Sammelbegriff “ 
Rechteinhaber" verwendet, der jedoch die Tatsache 
verdecke, dass Urheber und Verwerter “keineswegs 
stets übereinstimmende Interessen haben".20 Es 
ist verständlich, dass die Verwerter die 
Schutzrechte ausdehnen wollen. “Die übliche 
Formel ’Mehr Schutz = mehr Kreativität' ist eben 
in hohem Maße salonfähig, ist sie doch ungemein 
einfach zu verstehen."21 Dass genau damit aber 
den Urhebern - den eigentlichen Kreativen - die 
Hände gebunden werden, fällt dabei meist unter 
den Tisch. Kreativität ist nicht erst seit Beginn 
des 20. Jahrhunderts - wie oben geschildert - 
eben oft ’Re-Kreativität', deren Urheber auf 
einen offenen Zugang zu Wissen und kulturellen 
Artefakten angewiesen sind. Dies bestätigt auch 
Hilty: “(B)ekanntlich ist niemand in der Lage, 
ohne Rückgriff auf Vorbestehendes Neues zu 
kreieren. Folglich darf es nicht sein, dass wir 
den Rechtsschutz soweit treiben, dass die 
Entstehung von neuen Werken ausgerechnet durch 
das Urheberrecht behindert wird. Wir sind aber 
(...) auf dem besten Wege, genau dies zu tun."22

“Digitales Dilemma": Spannung zwischen Teilhabe und Verwertung

Verschärft wird diese Situation durch das so 
genannte “digitale Dilemma". In dem Moment, da 
sich die Digitalisierung und die Möglichkeit des 
weltweiten Zugriffs auf Wissen positiv auf die 
Verfügbarkeit von Inhalten auswirken könnte, wird 
paradoxerweise der Zugang in erheblichem Maße 
eingeschränkt, so dass Digitalisierung regelrecht 
zu einer Verknappung führt. Der Grund hierfür ist 
in der scharfen Reaktion der Rechteindustrie auf 
die verlustfreie Kopier- und Verbreitbarkeit 
digitaler Werke zu finden. Seit 1990 setzen sich 
die Verwerter für die Einführung von 
Kopierschutzsystemen (Digital Rights Management, 
DRM) ein. Diese technischen Schranken verhindern 
jedoch nicht nur das massenhafte Kopieren 
digitaler Daten z.B. in Internet-Tauschbörsen, 
sondern verunmöglichen darüber hinaus auch 
Handlungen, die durch das bestehende Urheberrecht 
garantiert sind - z.B. das Recht auf die 
Erstellung einer Privatkopie.23 1996 
verabschiedete die Weltorganisation für Geistiges 
Eigentum (WIPO) zwei Internetverträge, die ein 
'Knacken' dieses Schutzes unter Strafe stellen.24 
Darüber hinaus wurde für digitale Werke das 
Weiterverkaufsrecht abgeschafft.25 Nachdem sich 
heute jedoch herausgestellt hat, dass DRM nicht 
funktioniert, zielt die Rechteindustrie (v.a. der 
internationale Dachverband der Musikindustrie 
IFPI) derzeit auf die Infrastrukturebene der 
Internet-Service-Provider (ISPs) ab - und zwar 
mit Forderungen nach Internetfilterung und 
endgültigem Ausschluß von der Internetnutzung für 
wiederholte Urheberrechtsverstöße. Diese und 
weitere Maßnahmen versucht die US-amerikanische, 
europäische und japanische Rechteindustrie 
aktuell mittels des mulilateralen Anti 
Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) weltweit 
durchzusetzen, und das in Geheimverhandlungen 
vorbei an den nationalen Parlamenten und den 
zuständigen UNO-Agenturen, der WIPO und der 
Welthandelsorganisation (WTO). Eine Diskussion in 
diesen Gremien würde Öffentlichkeit bedeuten - 
die den Anliegen der Verwerter jedoch nicht 
förderlich wäre.

Kehren wir jedoch zu der paradoxen Situation des 
“digitalen Dilemmas" zurück, die auch Hilty als 
höchst problematisch beschreibt: “Je mehr Werke 
online verfügbar sind, desto mehr 
Nutzungsmöglichkeiten hätten wir theoretisch; 
doch erweist sich die Nutzung praktisch als immer 
schwieriger, je weniger traditionelle, d.h. 
physische Werkexemplare produziert werden."26 
Denn wenn Werke nur noch online genutzt werden 
können, ist man den Bedingungen der Rechteinhaber 
ausgeliefert  - und diese sind, wie bereits oben 
erwähnt, meistens nicht die Urheber, sondern die 
Verwerter, die die Ausdehnung von Schutzrechten, 
digitale Rechtekontrollsysteme (DRM) und 
Zugangskontrolle zum Internet - also ein 
faktisches Kopierverbot (und mehr als das) - 
favorisieren. Daher berührt das gegenwärtig 
geltende Urheberrecht, das dem digitalen 
Zeitalter noch nicht adäquat angepasst wurde, den 
“Zugang zum Wissen im Netz in viel 
weitreichenderer und fundamentalerer Art und 
Weise", so Jeanette Hofmann, “als dies in der 
analogen Welt der Fall ist."27 Hofmann beschreibt 
das digitale Dilemma wie folgt:“In der viel 
zitierten Informationsgesellschaft entwickeln 
sich der Besitz an und die Zugangsrechte für 
Wissen aller Art gleichermaßen zur 
Sollbruchstelle der Demokratie wie auch zur 
wachstumsintensiven Wertschöpfungsquelle. In dem 
Spannungsverhältnis zwischen demokratischen 
Teilhabeansprüchen und ökonomischen 
Verwertungsinteressen liegt (...) der Kern des 
digitalen Dilemmas. Wie exklusive Verwertungs- 
und öffentliche Nutzungsansprüche an Wissen bzw. 
Wissenswaren künftig ausbalanciert werden, ist 
ein Politikum, das sich zu einer der zentralen 
Verteilungsfragen der neuen Ökonomie entwickeln 
dürfte."28

Über die Zukunft der Kunst im Zeitalter des ’geistigen Eigentums'

“Das Urheberrecht hat zum Ziel, die Erzeugung von 
Wissen sicherzustellen, indem es den Produzenten 
die Kontrolle über die Nutzung und Verbreitung 
ihrer Werke einräumt. Gleichzeitig verfolgt es 
jedoch die Absicht, den öffentlichen Zugang zu 
diesem Wissen sicherzustellen - nicht nur, weil 
die Erzeugung von Wissen anerkanntermaßen ein 
arbeitsteiliger Prozeß ist, sondern natürlich 
auch, weil alle, die Wissen erzeugen oder 
verbreiten, notwendigerweise auf bereits 
vorhandenes Wissen zurückgreifen."29

Mit der Ausweitung der Urheberrechte, die derzeit 
faktisch auf eine Ausweitung der 
Verwerteransprüche hinausläuft, “nehmen die 
Gelegenheiten zu, bewusst oder fahrlässig fremde 
Urheberrechte zu verletzen, wie auch das Risiko, 
fälschlich der Verletzung fremder Urheberrechte 
bezichtigt zu werden (...): insbesondere, wo 
Collage- oder Samplingtechniken eingesetzt 
werden, oder in der konzeptuellen Kunst."30 Daher 
mehren sich die Stimmen, die der Ausweitung der 
geistigen Eigentumsrechte kritisch gegenüber 
stehen - insbesondere dort, wo sich ’geistiges 
Eigentum' in seiner heutigen Form “gegen die 
Freiheit der Kunst (und der Wissenschaft) wendet 
und der Produktion neuer Werke im Wege zu stehen 
droht."31

Die Ausstellung Anna Kournikova Deleted By 
Memeright Trusted System - Kunst im Zeitalter des 
Geistigen Eigentums in der 2.200 qm großen 
PHOENIX Halle in Dortmund-Hörde auf dem Gelände 
des ehemaligen Stahlwerks Phoenix-West fragt 
angesichts dieser Entwicklungen, was mit Kunst 
und Musik, die appropriierend, sampelnd und 
zitierend mit Vorbestehendem verfährt, im 
Zeitalter eines Urheber- bzw. 
Immaterialgüterrechts passiert, das immer stärker 
exklusiven Verwertungs- denn öffentlichen 
Nutzungsansprüchen verpflichtet ist. Entgegen der 
Behauptung der Urheberrechtsindustrie, die 
besagt, dass die Ausweitung der Schutzrechte (für 
wen?) mehr Kreativität bedeutet, stellt die 
Ausstellung die These auf, dass Kreativität nur 
dann möglich ist und bleibt, wenn Künstlerinnen 
und Künstler in der Lage sind, mit Rückgriff auf 
Vorbestehendes Neues zu schaffen. Aneignende 
Kunst, die über Kultur spricht, indem sie sich 
auf kulturelle Artefakte bezieht und 
vorgefundenes ästhetisches Material verwendet, 
wird weiterhin nur dann entstehen können, wenn 
auch in Zukunft gewährleistet ist, dass neben den 
gerechtfertigten ökonomischen Interessen der 
Urheber und der Verwerter die demokratischen 
Teilhabeansprüche (von Konsumenten - und 
Urhebern!) ausreichend berücksichtigt werden.

Sollte die Entwicklung des Urheberrechts und der 
anderen geistigen Eigentumsrechte so weiter 
betrieben werden, wie es derzeit der Fall ist, 
wird dies durchaus in Frage gestellt. Ein 
solchermaßen im Sinne der Verwerter verschärftes 
Urheberrecht würde sich gegen die Freiheit der 
Kunst wenden und zu einem effektiven Instrument 
der Unterbindung von Neuem mutieren. Es würde 
immer schwieriger, über Kultur unter Verwendung 
von Bildern, Logos oder Soundschnipseln eben 
dieser Kultur zu sprechen. Einen Vorgeschmack auf 
diese Entwicklung gibt bereits die Tatsache, dass 
Sampling im Hip Hop stark abgenommen hat, seitdem 
Rechtsabteilungen von Majors aggressiv gegen 
unlizenzierte Samples von Musikern anderer Labels 
vorgehen. In diesem Sinne ließe sich im Hinblick 
auf die in der Ausstellung vertretenen Arbeiten 
fragen: Was passiert z.B. mit Fred Fröhlichs 
digitaler Animation Volume 1, die eine 
verschärfte Form von “plunderphonics" oder found 
footage darstellt - die nämlich aus über 
zehntausend so genannten “stock photographs" 
besteht? Diese Arbeit spricht, wie auch das 
Karaoke-Musikvideo von Der Plan, Hohe Kante 
(2004), explizit und kritisch über unsere Zeit - 
unter Verwendung von Bildern ihrer Alltagskultur.

Happy Birthday To You

Die fiktive Zeitungsmeldung über den Tod des 
Ex-Tennisprofis und Models Anna Kournikova im 
Jahr 2067, auf die sich der Ausstellungstitel 
Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted 
System bezieht, beschreibt nicht eine ferne 
Zukunft, sondern ansatzweise bereits unsere 
Gegenwart. Die perfide formulierte Meldung 
berichtet in knappen Worten, dass Kournikova, die 
ihr Aussehen bzw. ihre ’Marke' gegen illegale 
Lookalikes hat schützen lassen, auf einer nicht 
angemeldeten Reise in den asien-pazifischen Raum 
als unerlaubte Kopie ihrer selbst identifiziert 
wird und von dem starken Laserstrahl eines 
Satelliten des Memeright Trusted System 
ausgelöscht wird.

Dieses Szenario könnte sich nach erfolgreicher 
Einrichtung  eines solchen Systems allerdings 
auch auf Ihrer nächsten Geburtstagsparty 
ereignen. Wussten Sie, dass das Lied Happy 
Birthday To You32 Time Warner gehört, dem 
weltweit größten Unternehmen im Bereich der 
Unterhaltungsindustrie? Jedes Mal, wenn Sie 
diesen schönen Song ohne Erlaubnis des 
Rechteinhabers singen, begehen Sie eine 
Urheberrechtsverletzung. Insofern ist der Cut-up 
im Titel dieses Textes nicht nur ein Wortspiel. 
Denken Sie bei der nächsten Party dran und 
bezahlen Sie die Lizenzgebühren. Die Alternative? 
Singen Sie das Lied einfach nicht mehr.




1 Eigentlich “to use" = “to get sued"; “benutzen" = “verklagt werden".
2 Musikvideo des gleichnamigen Songs, publiziert 
auf der Negativland-CD Fair Use: The Story of the 
Letter U and the Numeral 2, 4:49 min., 2000.
3 Oswald, Jon: Plunderphonics, or Audio Piracy as 
a Compositional Prerogative. In: Wired Society 
Electro-Acoustic Conference, Toronto 1985, 
http://www.plunderphonics.com/xhtml/xplunder.html.
4 Anlässlich der Gerichtsverfahren gegen Oswald 
und Negativland erschien 1993 der CVS Bulletin 
(“Copyright Violation Squad Bulletin"). Er stellt 
eine Art Manifest der Plunderphonics dar. Vgl. 
http://cvs.detritus.net/.
5 Als rein poetisches Verfahren zur Erzeugung 
ungewöhnlicher Bilder haben “Cut-up" und 
“Fold-in" zahlreiche Vorläufer: bei den Dadaisten 
und Surrealisten, bei den Lettristen und in der 
Konkreten Poesie der 1950er Jahre, im 
Gesellschaftsspiel der ðCrosscolumn readingsÐ, 
das um 1770 in England aufkam, sowie in der ðars 
combinatoriaÐ der europäischen Manieristen, die 
im 16. und 17. Jahrhundert mit 
Kombinationstabellen so genannte 
ðOppositionsmetaphernÐ erzeugten.
6 Weissner, Carl: Das Burroughs-Experiment. In: 
Burroughs, eine Bild-Biografie, Berlin 1994, S. 
62.
7 "Le plagiat est nécessaire. Le progrès 
l'implique. Il serre de près la phrase d'un 
auteur, se sert de ses expressions, efface une 
idée fausse, la remplace par l'idée juste." 
(Isidore Ducasse, Poésies, 1870, 
http://www.gutenberg.org/etext/16989).
8 Vgl. dazu das Panel zu Art as Anticopyright 
Activism, Wizards of OS 3, Berlin 2004,
http://www.wizards-of-os.org/archiv/wos_3/programm/panels/freier_content/art_as_anticopright_activism.html
9 “Plagiarism", Festival of Plagiarism - London, January/February 1988
10 Cramer, Florian: Anti-Copyright in 
künstlerischen Subkulturen, Vortrag, 22.9.2000, 
http://plaintext.cc:70/all/anticopyright_in_kuenstlerischen_subkulturen/anticopyright_in_kuenstlerischen_subkulturen.html
11 Kristeva, Julia: Le mot, le Dialogue et le 
Roman. In: Dies. Sémeiotikè. Recherches pour une 
Sémanalyse. Paris 1969, S. 146.
12 Von der Verfasserin übersetztes Zitat von Julia Kristeva.
13 Hilty, Reto M.: Sündenbock Urheberrecht?. In: 
Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit. Ansgar 
Ohly und Diethelm Klippel (Hg.), Tübingen: Mohr 
Siebeck 2007, S. 107-144. Hier: S. 111.
14 Ortland, Eberhard: Die Schlüsselrolle der 
Kunst für das Urheberrecht. In: Urheberrecht im 
Alltag. Kopieren, bearbeiten, selber machen / 
iRights.info, Valie Djordjevic, Robert Gehring, 
Volker Grassmuck, Till Kreuzer, Matthias 
Spielkamp (Hg.), Bonn: Bundeszentrale für 
politische Bildung 2008, S. 311-315. Hier: S. 
311. Vgl. auch iRights.info, 16.6.2006, 
http://www.irights.info/index.php?id=530.
15 Ortland 2008, S. 312.
16 Wörter können durch das Markenrecht geschützt 
werden, nicht aber durch das Urheberrecht.
17 Hilty 2007, S.144.
18 Hilty 2007, S.113.
19 Hilty 2007, S.113.
20 Hilty 2007, S.114.
21 Hilty 2007, S.137. Genau das behauptet auch 
der Offene Brief an die Bundeskanzlerin zum Tag 
des Geistigen Eigentums, V.i.S.d.P.: 
Bundesverband Musikindustrie e.V., In: 
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. April 2008.
22 Hilty 2007, S.118-119.
23 Vgl. http://www.privatkopie.net.
24 Sie wurden in den USA mit dem Digital 
Millenium Copyright Act (DMCA), 1998, und der EU 
Richtlinie zum Urheberrecht in der 
Informationsgesellschaft, 2001, umgesetzt.
25 Im Unterschied zu digitalen Daten können 
materielle Tonträger wie Schallplatten, CDs oder 
DVDs z.B. in Second Hand Läden weiterverkauft 
werden.
26 Hilty 2007, S.110.
27 Hofmann, Jeanette: Das ’Digitale Dilemma' und 
der Schutz des Geistigen Eigentums. Beitrag zur 
Tagung Wem gehört das Wissen?, 
Heinrich-Böll-Stiftung, 10/2000
http://www.wissensgesellschaft.org/themen/publicdomain/dilemma.html
28 Hofmann 2000.
29 Hofmann 2000.
30 Ortland 2008, S. 312.
31 Ortland 2008, S. 314.
32 Die Melodie wurde von den Lehrerinnen Mildred 
und Patty Hill 1893 unter dem Titel Good Morning 
to All in ihrem Buch Song Stories for the 
Kindergarten veröffentlicht. Kinder fingen an, 
das Lied bei Geburtstagsfeiern mit eigenen Texten 
zu singen. Vgl. dazu in der Ausstellung: Illegal 
Art, CD. Vgl. hierzu auch: McLeod, Kembrew: 
Copyright and the Folk Music Tradition. In: 
Ders.: Owning Culture. Authorship, Ownership & 
Intellectual Property Law, New York:  Peter Lang 
2001, S. 39-69.




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Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums
Art in the Age of Intellectual Property
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19 July - 19 October 2008