[rohrpost] Und es gibt sie doch

Stefan Heidenreich stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Mon Mar 17 11:31:31 CET 2008


Liebe Inke,
ich weiss nicht, ob du von meinem Text mehr als die Überchrift gelesen hast.

Deshalb zwei, drei Anmerkungen:

a) Ich wende mich gegen das Label MEDIENKUNST - nicht gegen Kunst, die 
mit Medien arbeitet. (Natürlich musst du von dem Job und deiner 
Institution her das Label verteidigen.)

b) Vollkommen klar, dass der Kittler'sche Mediendeterminismus, vor allem 
wenn man ihn etwas einfältig als Tech-Affirmation versteht, im 
Kunstumfeld keinen Sinn macht. Das habe ich im übrigen, von dir 
anscheinend überlesen, auch geschrieben.

Die Arbeiten der Künstler, die du anführst, schätze ich im übrigen sehr. 
Ich würde sie nur nicht mit der Bezeichnung Medienkunst strafen wollen.

Viele Grüße,
Stefan


Inke Arns schrieb:
> 
> Hier noch ein - zugegebenermassen recht spaeter - Beitrag zur Diskussion 
> um die Medienkunst ;-) Danke an alle fuer die Anregungen!
> 
> Viele Gruesse, Inke
> 
> 
> 
> * * *
> 
> -- erscheint Anfang April 2008 in: "Hartware MedienKunstVerein 1996 - 
> 2008", hg. v. HMKV (Susanne Ackers, Inke Arns, Hans D. Christ, Iris 
> Dressler), Druckverlag Kettler, Boenen 2008 --
> 
> 
> Inke Arns
> 
> Und es gibt sie doch
> Ueber die Zeitgenossenschaft der medialen Kuenste
> 
> Wer Medienkunst heute noch mit spektakulaeren Virtual Reality 
> Installationen gleichsetzt, wie dies 2007 zuletzt die Berliner 
> Ausstellung Vom Funken zum Pixel oder Anfang 2008 der Polemiker Stefan 
> Heidenreich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (1) getan 
> haben, hat entweder nicht genau hingesehen und die Diskussionen der 
> letzten Jahre  nicht verfolgt oder ist unwillens, den Paradigmenwechsel 
> wahrzunehmen, der sich im letzten Jahrzehnt vollzogen hat. (2) Man 
> moechte weder dem Kurator des Einen noch dem Autor des Anderen das Eine 
> oder das Andere unterstellen.
> 
> In der Tat, die interaktive, immersive und technisch aufwaendige 
> Medienkunst der 1990er Jahre, die spitzzuengige Polemiker gerne als 
> “ZKM"-Kunst bezeichneten und der teils zu Recht vorgeworfen wurde, dass 
> sie die Medienkunst zu reiner Interface-Entwicklung degradiere, gibt es 
> heute in dieser Form nicht mehr - und das ist auch gut so. Allerdings 
> war diese Form von Medienkunst auch nie metonymisch gleichzusetzen mit 
> “der" Medienkunst. Hierbei handelte es sich vielmehr um einen 
> rhetorischen Kniff der Kritiker, der dazu diente, das gesamte Feld 
> medienkuenstlerischer Praktiken pauschal zu diskreditieren. So sicherte 
> man die eigene Diskurshoheit und konnte auf recht durchschaubare Weise - 
> naemlich durch simples Verschweigen - einer Auseinandersetzung mit den 
> wirklich spannenden Formen von Medienkunst aus dem Weg gehen. Oder war 
> es intellektuelle Faulheit? Man weiss es nicht so genau. Aergerlich 
> bleibt es auf jeden Fall - und ein Armutszeugnis fuer die 
> zeitgenoessische Kunstkritik in Deutschland, die es bis heute nur selten 
> geschafft hat, ernstzunehmende Positionen zur Medienkunst jenseits der 
> Polemik zu entwickeln.
> 
> Dass es dabei gerade die anderen Formen von Medienkunst waren, die 
> parallel zur technoutopischen und -affirmativen interaktiven Medienkunst 
> der 1990er Jahre die wirklich interessanten Projekte und Formate 
> hervorgebracht haben, wurde so uebersehen. Dabei sind es vor allem die 
> fruehen Formen der Netzkunst ab 1993/1994, die so genannte Softwarekunst 
> ab Anfang dieses Jahrzehnts sowie neue Arten und Formate medialer 
> Performances und des postdramatischen Theaters, auf denen die 
> gegenwaertigen spannenden Entwicklungen in diesem Bereich beruhen.
> 
> Medienkunst umfasst heute ein weites Feld von Techniken, Strategien und 
> Praxen, bei denen die technischen Medien selbst oft in den Hintergrund 
> treten. (Neue) Medien und Technologien sind heutzutage alltaeglich und 
> ubiquitaer geworden. Sie sind zunehmend in alle Lebensbereiche 
> eingedrungen und sitzen heute bereits an den unscheinbarsten Stellen - 
> man denke nur an Bankautomaten, RFID-Chips auf Krankenkassenkarten und 
> in Reisepaessen, oder an Verwaltungssoftware und Datenbanken, die fuer 
> die ’Kunden' unsichtbar bleiben, aber die Arbeit des jeweiligen 
> Sachbearbeiters entsprechend vorstrukturieren. Analog zu dieser 
> ubiquitaeren Ausbreitung und Praesenz hat sich auch die Medienkunst 
> erweitert. Sie schaut an alle diese alltaeglichen, oft uebersehenen und 
> doch so wichtigen - weil medial und technologisch erweiterten - Stellen 
> und fokussiert unsere Aufmerksamkeit darauf. Eine solche Medienkunst tut 
> dies nicht auf spektakulaere Weise und ist selbst oft auch gar nicht 
> zwingend digital, denn es sind nicht die (Medien-)Technologien an sich, 
> die im Vordergrund stehen, sondern ihre Wirkungsweisen auf unser 
> Verhalten. Diese Art von erweiterter, manchmal fast beilaeufiger 
> Medienkunst verzichtet mitunter gar auf den Einsatz technischer Medien 
> und behaelt sich stattdessen fuer die Bewusstmachung der Rolle von 
> Medien in unserem Alltag (und gegebenenfalls die Formulierung von 
> Alternativen) die freie Wahl der Mittel vor. Die Medienkunst beginnt so, 
> sich vom Zwang der Verwendung neuer Medien und neuer Technologien zu 
> emanzipieren. Die Kunst unter postmedialen Bedingungen (3) loest sich 
> von der Beschaeftigung mit ihrer eigenen Materialitaet und wendet sich 
> den vielfaeltigen Formen von gegenwaertiger, ubiquitaerer Medialitaet zu.
> 
> Der spanische Kuenstler Daniel Garcia Andujar entwickelte vor genau zehn 
> Jahren eine Arbeit, die sich mit der zunehmenden Privatisierung und 
> Kommodifizierung von Sprache auseinandersetzt. Auf einer simplen 
> HTML-Seite listet er Saetze auf, die eingetragene Warenzeichen und damit 
> Eigentum ihrer jeweiligen Besitzer  sind, wie z.B. “Where do you want to 
> go today?TM" (Microsoft), “A better return on informationTM" (SAP), 
> “What you never thought possibleTM" (Motorola). Indem Andujar dieses 
> Projekt mit “Remember, language is not freeTM" betitelt, nimmt er die in 
> den darauf folgenden Jahren einsetzenden Auseinandersetzungen um 
> “geistiges Eigentum" vorweg, die sich Mitte der 1990er Jahren in 
> erbitterten Verteilungskaempfen um Domainnamen im World Wide Web 
> abzuzeichnen begannen. (4)
> 
> Das makrolab des slowenischen Medienkuenstlers Marko Peljhan wurde 
> erstmals zur documenta X 1997 in Kassel aufgebaut, operierte Anfang 2000 
> an der Westkueste Australiens, im Fruehsommer 2002 in Schottland, dann 
> an der Westkueste der Vereinigten Staaten und von Juni bis Dezember 2003 
> auf der Insel Campalto bei Venedig. Beim makrolab handelt es sich um 
> eine autonome Forschungs-, Arbeits- und Wohneinheit, die mit Hilfe von 
> allerlei technischem Geraet die Topographie der Signale im gesamten 
> elektromagnetischen Spektrum kartografiert - als eine Art privates 
> ECHELON-System: Das Labor ist ausgeruestet mit Sende- und 
> Empfangsantennen, die verschiedene Signalbereiche erfassen und dort 
> zirkulierende Datenstroeme (private Telefongespraeche, 
> satellitengesteuerte Navigationssysteme und militaerische und 
> wirtschaftliche Kommunikation) aufzeichnen koennen. Das makrolab, das 
> als zehnjaehriges Forschungsprojekt konzipiert wurde, wird abseits 
> grosser Staedte oder Ausstellungen an moeglichst abgelegenen Orten 
> aufgebaut und soll 2008 permanent in der Antarktis installiert werden.
> 
> Anfang Juli 2006 fuhren zwei bulgarische LKW-Fahrer in einem umgebauten 
> Lastwagen 47 Zuschauer durch ein dichtes Netz von Autobahnraststaetten, 
> Verladerampen, Containerhafen und Lagerhallen im Ruhrgebiet. “Cargo 
> Sofia ist ein Modell Europas, eine Zelle der Globalisierung, in der die 
> Zuschauer zu Voyeuren der alleralltaeglichsten Perspektive des 
> Fernverkehrs werden [...]. Auf einem umgebauten Lastwagen mit 
> transparent verglaster Laengsseite fahren [die] Zuschauer durch die 
> nordrhein-westfaelische Landschaft aus Produktion und Konsum. [...] Zu 
> diesen Ready-Made-Buehnenbildern des Transits fuegen sich 
> suedosteuropaeische Biographien aus dem Fuehrerstand, Dialoge mit 
> Essener Autobahnpolizisten und Duisburger Containerspediteuren, 
> Balkanmusik und Motoren-Grooves." (5) Das Projekt von Stefan Kaegi, 
> Mitglied der schweizer-deutschen Performancegruppe Rimini Protokoll, ist 
> eine Mischung aus Theater, Performance und multimedialer Auffuehrung und 
> erlaubt so zwischen inszenierter Realitaet und alltaeglicher Fiktion 
> einen neuen Blick auf den (un)gewoehnlichen Alltag der Globalisierung. 
> Cargo Sofia faehrt als aufmerksam beobachtende Zelle durch eine sich 
> durch transnationalen Warenverkehr veraendernde Landschaft der 
> Globalisierung. Videoeinspielungen im Innenraum des LKW legen sich ueber 
> die Realitaet, schaffen und verweisen auf einen ’augmented space'. (6) 
> In diesem ist der mit Global Positioning System (GPS) ausgestattete LKW 
> von Anfang an praesent, sichtbar auf den Monitoren der Speditionszentrale.
> 
> Der britische Kuenstler Heath Bunting interessiert sich fuer die 
> Herstellung von Kommunikation und die Schaffung sozialer Kontexte und 
> Verbindungen von virtuellem und physischem Raum. Waehrend Bunting in den 
> 1980er Jahren mittels Graffiti psycho-geographische Interventionen in 
> urbane Raeume vollzog, sich im Kontext von Fax- und Mail Art und 
> Londoner Piratenradios engagierte, wurde er in der 1990er Jahren zu 
> einem der exponiertesten Vertreter der so genannten “net.art", einer 
> informellen Gruppe vorrangig europaeischer NetzkuenstlerInnen, die dem 
> Mitte der 1990er Jahre einsetzenden Internethype kritisch 
> gegenueberstanden. Zwischen 1994 und 1997 entwickelte Bunting 
> kuenstlerische Projekte vorwiegend im Internet. Er war in dieser Zeit 
> einer der profiliertesten Netzkuenstler und einer der ersten, die sich 
> aus der Netzkunst wieder zurueckzogen. Seitdem erkundet er Reiserouten 
> fuer die unkontrollierte Ueberwindung europaeischer Staatsgrenzen. Das 
> von der Tate Modern London in Auftrag gegebene Internet-Projekt 
> BorderXing Guide (2001) dokumentiert die illegalen Grenzuebertritte 
> innerhalb und ausserhalb Europas, die Heath Bunting und Kayle Brandon in 
> den letzten Jahren im Selbstversuch vollzogen. BorderXing Guide versteht 
> sich als Anleitung zum Grenzuebertritt ohne Papiere. (7)
> 
> Der franzoesische Kuenstler Renaud Auguste-Dormeuil installierte 2005 im 
> Rahmen der Ausstellung Verstreute Momente der Konzentration. Urbane und 
> digitale Raeume in der PHOENIX Halle Dortmund zwei Arbeiten, die 
> aktuelle Technologien kommentieren, ohne diese jedoch selber 
> einzusetzen. GPS (2001) befasst sich mit der Ambivalenz von 
> Lokalisierung und Kontrolle im Zeitalter der Satellitennavigation. Die 
> zunaechst rein dekorativ erscheinende, in den Farben gelb, pink und 
> gruen gehaltene minimalistische Wandmalerei erweist sich auf den zweiten 
> Blick als eine Visualisierung der Funktionsweise des Global Positioning 
> System (GPS). GPS erlaubt weltweit eine auf wenige Meter genaue Ortung 
> von Personen oder Objekten. Code International Sol/Air No. 14 (1999), 
> realisiert als grosses Blumenbeet, kommuniziert eine geheime Botschaft 
> (“Brauchen Waffen und Munition") an vorbei fliegende Helikopter und 
> Flugzeuge.
> 
> All diese Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind, zeigen, 
> dass Medienkunst heute zu einem erweiterten Feld der ’medialen Kuenste' 
> geworden ist. Sie bedient sich einer ganzen Reihe von Medien, die bis 
> vor ein paar Jahren im Medienkunstkontext noch nicht denkbar gewesen 
> oder rezipiert worden waeren. Language (property) und das makrolab sind 
> sicherlich durch die Medien und Technologien, die sie verwenden, am 
> deutlichsten als Medien- oder Netzkunst erkennbar. Buntings und Brandons 
> hybrides Projekt BorderXing Guide verschraenkt (wie uebrigens auch das 
> makrolab) den realen mit dem virtuellen Raum und nimmt die sich ab 2000 
> zunehmend auf Bewegungen im (sub-)urbanen oeffentlichen Raum 
> verlagernden Aktivitaeten dieses Teils von irational vorweg, die sich 
> der physischen Ueberwindung von Zaeunen und Grenzen widmen (Tour 
> d'Fence, Public Sculpture Climbing). Cargo Sofia macht als ’mobiler 
> Theaterraum' diese sich zunehmend verwebenden virtuellen (medialen) und 
> realen Raeume der Globalisierung als konkrete LKW-Routen erfahrbar. 
> Renaud Auguste-Dormeuil schafft ein Wandbild, das die Funktionsweise des 
> GPS Systems veranschaulicht und ein mobiles Blumenbeet, das seine 
> Nachrichten in den Himmel kommuniziert.
> Das, was noch in den 1990er Jahren mit dem Sammelbegriff Medienkunst 
> bezeichnet wurde, befreit sich also langsam von dieser begrifflichen 
> Beschraenkung. Genauer: Die Medienkunst emanzipiert sich - in einer 
> paradoxen Bewegung - zunehmend von der Verwendung neuer 
> Medien/Technologien. Gleichzeitig spricht sie mit grosser Gelassenheit 
> darueber, wie sich die uns umgebende Welt, die zunehmend auf digitalen 
> Technologien basiert, durch eben diese Medien und Technologien 
> veraendert. Dieser Paradigmenwechsel ist zu einem grossen Teil dem heute 
> selbstverstaendlicheren Umgang mit diesen Medien/Technologien in unserem 
> Alltag geschuldet. Internet, Telekommunikation, Video, Fotokameras, die 
> moegliche Konvergenz aller dieser Medien in eines, naemlich die 
> ’Universalmaschine Computer', all das ist in den letzten Jahren 
> selbstverstaendlich geworden.
> 
> Das Spezifische der medialen Kuenste unter postmedialen Bedingungen sind 
> heute nicht die Medien, sondern ihre spezifische Form der 
> Zeitgenossenschaft, ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit unserer in 
> starkem Masse medial und technologisch gepraegten Gegenwart. Dabei 
> findet diese Auseinandersetzung nicht unbedingt unter Verwendung dieser 
> neuen Technologien statt, sondern die Kunst bedient sich (fast) aller 
> moeglichen Medien und Techniken. Diese Art von Medienkunst befreit sich 
> gleichermassen von dem Zwang, sich der neuesten Technologien zu 
> bedienen. Sie entledigt sich der konzeptuellen Entlastung durch die 
> Neuheit des Mediums und stellt sich der Herausforderung des 
> Kuenstlerischen. Sie wird (endlich) erwachsen.
> 
> Die spezifische Art der Zeitgenossenschaft von Medienkunst ist nicht 
> ihre ingenieurwissenschaftliche Technikkompetenz, wie dies Friedrich 
> Kittler und seine Anhaenger - wie z.B. Stefan Heidenreich - in den 
> 1990er Jahren fuer die Medienkunst apodiktisch gefordert haben. Vielmehr 
> sind die oben genannten Kuenstlerinnen und Kuenstler Erfinder in einem 
> erweiterten Sinne, eben im Sinne ihrer Zeitgenossenschaft, der in ihr 
> geaeusserten inhaltlichen Auseinandersetzung und durchaus auch in ihrer 
> Teilhabe und Teilnahme an einer Welt, die einen immer 
> selbstverstaendlicheren Umgang mit Medien und Technologien pflegt und 
> sich dadurch radikal veraendert. Es liesse sich gar eine - durchaus 
> polemische - These aufstellen: Im Kontext der zeitgenoessischen Kunst 
> sind es gerade die medialen Kuenste, die sich durch eine genuine 
> Zeitgenossenschaft - also eine Teilhabe an und eine interessierte 
> Auseinandersetzung mit der Gegenwart - auszeichnen. Nirgendwo im Bereich 
> der zeitgenoessischen Kunst findet sich eine vergleichbar intensive 
> inhaltliche und konzeptuelle Auseinandersetzung mit der wachsenden 
> medialen Verfasstheit unserer Welt.
> 
> Voraussetzung fuer eine informierte, kuenstlerische Verhandlung der 
> heutigen Medialitaeten unserer Lebensumwelt ist eine intensive 
> Beschaeftigung mit den, und ein umfassendes Verstaendnis fuer die 
> Materialitaeten der Medien und Technologien. Nur auf der Basis und vor 
> dem Hintergrund einer solchen kritischen Informiertheit - einer 
> Medienkompetenz, die ueber reine Bedienertaetigkeit hinausgeht - sind 
> die medialen Kuenste heute denkbar. Kunst im Zeitalter ihrer 
> postmedialen Bedingung bedeutet naemlich nicht anything goes, weil alles 
> sowieso von den Medien erfasst und alles zum Medium wird. Es bedeutet 
> vielmehr - analog zur Konzeptkunst - eine freie Wahl der kuenstlerischen 
> Mittel, basierend auf der kritischen Analyse der Materialitaet und der 
> den Medien zugrunde liegenden “Medialitaeten, Dispositive(n) und 
> Performanzen, die die medialen Prozesse begleiten und in sie eingehen." 
> (8) Die Bandbreite der kuenstlerischen Mittel kann dabei so gross sein 
> wie in den oben beschriebenen Projekten: von HTML-Seiten, literarischen 
> Fiktionen ueber illegale Grenzuebertritte bis hin zu mobilen 
> Forschungslabors und Blumenbeeten.
> 
> Warum, so lautet eine berechtigte Frage, sollte man heute ueberhaupt 
> noch am Begriff Medienkunst festhalten? Weil das, was in den medialen 
> Kuensten verhandelt wird, noch immer nicht vollstaendig in die 
> zeitgenoessische bildende Kunst integriert ist. Diese Geringschaetzung 
> von Seiten der bildenden Kunst hat sich die Medienkunst zum grossen Teil 
> selbst zuzuschreiben: Sie hat sich (durchaus zu Recht) eigene Formate 
> und Institutionen geschaffen - ihr ist es jedoch nicht gelungen, aus 
> diesem selbst geschaffenen Ghetto zu entkommen. (9) Das liegt einerseits 
> an der Fokussierung auf die Technik und dem oft simplen 
> Interaktivitaetskonzept der Medienkunst. Der andere, nicht minder 
> wichtige Grund ist im Format von Medienkunstfestivals zu suchen. Seit 
> Ende der 1970er Jahre hat sich in Europa und darueber hinaus eine 
> Festival-Landschaft etabliert, die fuer die Zirkulation der neuesten 
> Arbeiten und Themen sorgt. Es sei unbenommen: Festivals sind wichtige 
> internationale Treffpunkte und Katalysatoren. Aber als Format fuer die 
> medialen Kuenste reichen sie nicht (mehr) aus.
> 
> Medienkunstfestivals sind temporaere Formate, die oft qualitativ nur 
> unzureichende Moeglichkeiten fuer die Praesentation komplexer 
> Installationen bieten. In der zeitgenoessischen (Medien-)Kunst ist 
> jedoch die Qualitaet der Praesentation fuer die Rezeption des Ganzen 
> mitentscheidend. Speziell die Praesentation von Medienkunst ist dabei 
> ein aeusserst komplexes Unterfangen - man denke nur an die spezifischen 
> Aspekte von Licht, Ton, Raumsituationen und dem Einsatz aeusserst 
> heterogener Installationsmaterialien. Oft erlaubt der Festivalkontext 
> jedoch keine Beruecksichtigung dieser vielen Einzelaspekte. Dies fuehrte 
> dazu, dass die Medienkunst, die sich, chronologisch betrachtet, von 
> zeitbasierten einkanaligen Videoarbeiten (1960er Jahre) ueber 
> ’Videoskulpturen' (1980er Jahre) zunehmend in Richtung komplexer, 
> durchaus auch partizipativer Projekte und Installationen entwickelte, in 
> einem ’Festival-Stadium' gehalten wurde, ueber das sie nur selten 
> hinauszuwachsen vermochte. Dabei haette gerade die Wegentwicklung vom 
> Format ’Film' hin zum Format ’Kunst' einer veraenderten, oft auch 
> praeziseren und durchdachteren Praesentation bedurft. (10)
> 
> Genau diesen Fragen widmet sich der Hartware MedienKunstVerein seit 
> seiner Gruendung 1996 - in Ausstellungen, Film- und Videoscreenings, 
> Musik- und Performanceprogrammen sowie Konferenzen und Workshops. Und er 
> kann dabei durchaus fuer sich in Anspruch nehmen, spannende Loesungen 
> entwickelt zu haben.
> 
> 
> Fussnoten
> 
> 1 Stefan Heidenreich, Es gibt gar keine Medienkunst! In: Frankfurter 
> Allgemeine Sonntagszeitung, 27.1.2008.
> 2 Vgl. z.B. die Podiumsdiskussion "Media Art Undone" auf der 
> transmediale.07, Berlin, 3.2.2007, 
> http://www.mikro.in-berlin.de/wiki/tiki-index.php?page=MAU (20.2.2008); 
> Armin Medosch, Technological Determinism in Media Art, University of 
> Sussex, October 2005, 
> http://theoriebild.ung.at//pub/Main/TechnologicalDeterminismInMediaArt/TechnoDeterminismAM.pdf 
> (19.2.2008).
> 3 Vgl. Rosalind Krauss: A Voyage on the North Sea: Art in the Age of the 
> Post-Medium Condition, London: Thames & Hudson, 2000; Elisabeth Fiedler, 
> Christa Steinle, Peter Weibel (Hg.): Die Postmediale Kondition, Graz 
> 2005, http://www.neuegalerie.at/05/postmediale/konzept.html (20.2.2008).
> 4 Vgl. dazu die von Inke Arns und Jacob Lillemose kuratierte Ausstellung 
> The Wonderful World of irational.org. Tools, Techniques and Events 1996 
> - 2006, HMKV in der PHOENIX Halle Dortmund, 2006, sowie die Publikation 
> The Hartware Guide to irational, hg. v. Susanne Ackers, Inke Arns, 
> Francis Hunger und Jacob Lillemose, Revolver: Frankfurt am Main 2006.
> 5 Vgl. Website PACT Zollverein, www.pact-zollverein.de, 27. Juli 2006.
> 6 Der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) setzt sich seit Anfang 2005 
> intensiv mit dem sogenannten “augmented space" (dt. “erweiterter" oder 
> “verdichteter Raum"). Der von dem russischen Medientheoretiker Lev 
> Manovich gepraegte Begriff beschreibt den uns umgebenden Realraum, der 
> zunehmend mit Informationen angereichert und durchsetzt ist bzw. von 
> immateriellen Informationsstroemen durchzogen wird. Vgl. Verstreute 
> Momente der Konzentration. Urbane und digitale Raeume, hg.v. Hartware 
> MedienKunstVerein / Inke Arns, Revolver: Frankfurt am Main 2005.
> 7 Vgl. Fussnote 4.
> 8 Dieter Mersch: Mediale Paradoxa. Zum Verhaeltnis von Kunst und Medien, 
> in: sic et non. Zeitschrift fuer Philosophie und Kultur, 2006.
> 9 Vgl. dazu: Inke Arns, Jacob Lillemose, "It's contemporary art, 
> stupid": Curating computer based art out of the ghetto, in: Argos 
> Festival, hg. v. Anke Buxmann, Frie Depraetere, argoseditions: Bruessel 
> 2005, English: S. 136-145; Dutch S. 342-353.
> 10 Die 1984 gegruendete Videonale in Bonn widmet sich der Entwicklung 
> neuer Praesentationsformate v.a. von Videokunst. Vgl. www.videonale.de 
> (20.2.2008).
> 
> 
> 
>