[rohrpost] Tagung: Ambiente. Das Leben & seine Raeume

Guenther Friesinger guenther.friesinger at univie.ac.at
Sam Sep 6 01:08:39 CEST 2008


Ambiente. Das Leben & seine Räume
12. - 13. September 2008
Barocke Suiten, quartier21/ MQ / Wien


Eine Tagung im rahmen von paraflows 08

Das Ambiente muss stimmen. Das gilt sowohl für den Nachtclub, für das
Pandabärengehege, für die Urlaubsreise als auch für das Milieu der
Einnistung eines Eies in der Gebärmutter. Das Ambiente bringt uns auf die
Spur des Paradigmas des Lebens und der Umwelt. Die Moderne hat ‚das Leben’
auf eine zweifache Weise zum Gegenstand gemacht: als Objekt des Wissens
wie auch als Objekt politischen Handelns. Beides, so eine These, die wir
dieser Tagung voranstellen wollen, war nur möglich, weil die Bedingungen
eines Lebens, seine impliziten Voraussetzungen und seine Grenzen in
zunehmendem Maße expliziert wurden. Erst indem das, was dem Leben als
seine notwendigen Bedingungen vorausliegt, was also das Leben allererst
ermöglicht, weil es ein geeignetes Milieu, eine Umwelt bereitstellt,
sichtbar und sagbar wurde, wurde das Feld der Biopolitik möglich und die
Ambiente gestaltbar.

Damit soll ein alternativer Zugang zu einer Archäologie der Biopolitik
vorgeschlagen werden, der nicht von den juridischen Kategorien der
Souveränität oder einer Ontologie des Lebendigen ausgeht (Agamben),
sondern die Wissensformen, technischen Gesten und Phantasmen untersucht,
die sich der für die Moderne charakteristischen Bewegung der Explikation
als „aufgedeckter Einbeziehung von Hintergrundgegebenheiten in manifeste
Operationen“ (Sloterdijk) zu den verschiedenen historischen Zeitpunkten
widmeten.

Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich drei heuristische historische
Epochen konturieren: in der ersten, die das 18. Jahrhundert umfasst, ist
der Mensch zusammen mit allen anderen Lebewesen in eine Ökonomie der Natur
eingebettet (Linné). Der Mensch hat die Aufgabe, mit technischen, vor
allem landwirtschaftlichen und landschaftsgestaltenden Mitteln seine
Umwelt so zu gestalten, dass die Aufrechterhaltung dieses dynamischen
Gleichgewichts gewährleistet ist. Die Natur wird dabei als Totalität
verstanden, in der auch die gesellschaftliche Ordnung enthalten ist und in
der jedes Element einen vorbestimmten Platz und eine genau festgelegte
Funktion hat.

In der zweiten Phase (grob: im 19. Jahrhundert) scheint diese Ganzheit
verloren zu gehen: die Entdeckung von ‚Milieus‘ führt sowohl in der
Soziologie als auch in der Biologie zu einer Vervielfältigung heterogener
Umwelten. Diese werden zum Gegenstand je eigener wissenschaftlicher
Disziplinen, die sich vor allem der experimentellen Erforschung widmen.
Damit entstehen verschiedene, nicht mehr ineinander übersetzbare Ordnungen
von Lebensbedingungen: die - nun als veränderlich verstandenen –
Umweltbedingungen (Lamarck, Darwin), das physiologische ‚innere Milieu‘
(Bernard), die sozialen Milieus (Durkheim, Zola). In diese Epoche fällt
dann auch die politische Zuspitzung des Begriffs der Lebenswelt zu einem
Lebensraum, den es zu erobern gilt.

In der dritten Epoche (grob: ab dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts)
werden diese verschiedenen Milieus zunehmend durch den Begriff des
‚Systems‘ kolonisiert. Ein Denken in Systemen verzichtet zwar auf eine
vorgängige, geordnete Totalität, ermöglicht aber durch abstrahierte
Funktionsschemata eine neue Gesamtschau, die nun direkt an das technische
Phantasma der Verbesserung und Effizienzsteigerung und – einmal mehr – an
teilweise religiös grundierte Holismen gebunden ist. Gleichzeitig entsteht
die Idee einer gleichsam biokybernetischen Regulierung von ‚Leben’ als
einem Spiel zwischen einer „totalen Potentialität" des Keims, den Regeln
einer "Entwicklungsmechanik" des Organismus und Umweltgegebenheiten.
Ideale einer möglichst reibungslosen, verlustfreien und durchaus
lustvollen Verkoppelung von Einzelwesen und System, die Entstehung
technischer und ökologischer Raumparadigmen, die Entanthropologisierung
des Verhaltens in Behaviourismus und Kybernetik und verschiedene Versuche
der Überwindung jener ‚two cultures’ (der Kultur und ihren Wissenschaften,
die Natur und ihre Wissenschaften), die die menschliche Existenz in eine
kulturelle und naturhafte geteilt hatten, sind Wegmarken dieser
Entwicklung.

Man könnte diese Wendung auch mit Wiener Wendung übertiteln: Norbert
Wiener gilt als einer der Begründer der Kybernetik, der Wiener Heinz von
Förster als der  Übersetzer der analytischen Philosophie in die Kybernetik
und als einer ihrer wichtigsten Sprecher, Oswald Wiener schrieb bereits in
den 60er Jahren als Appendix seines Romans „die verbesserung von
mitteleuropa“ seinen luziden Entwurf eines Bioadapters, der den Menschen
in einem ‚Glückanzug’ der Umwelt entzieht, diese aber als lebenserhaltende
Maßnahme weiterhin simuliert und der zwanzig Jahre vor Gibson die Idee
eines Cyberspace vorstellbar machte. Der Neurophysiologe und Musiker
Manfred Clynes wiederum, ebenfalls gebürtiger Wiener, gilt gemeinsam mit
Nathan Kline als der Erfinder des Begriffs ‚Cyborg’, der im Zusammenhang
mit dem Entwurf von lebenserhaltenden Maßnahmen für Astronauten steht.

Die Tagung wird unterstützt von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung

Programm und Abstracts zur Tagung unter:
http://www.paraflows.at/index.php?id=91


paraflows 08
Festival für Digitale Kunst und Kulturen
11. September – 24. Oktober 2008
http://www.paraflows.at/