[rohrpost] The Thing lebt weiter

Ulrike ubergermann at gmx.de
Mit Dez 16 18:47:21 CET 2009


Die Idee lebt weiter: Hamburger AutorInnen als ProduzentInnen!
http://thing-hamburg.de

THE THING Hamburg stellt den aktiven Betrieb ein, oder wie aus THE  
THING Hamburg das THE THING Hamburg Archiv wurde

Regelmäßige Nutzer der Internetplattform werden es längst bemerkt  
haben: THE THING Hamburg hat seinen aktiven Betrieb eingestellt; für  
das international anerkannte Medienkunst-Projekt stehen in der  
„Medienstadt Hamburg“ keine Fördermittel mehr zur Verfügung.

Von November 2006 bis November 2009 war die Online-Plattform für Kunst  
und Kritik aktiv. Über 120 AutorInnen nutzten die Plattform für ihre  
Veröffentlichungen. Eine Gruppe von RedakteurInnen setzte Themen und  
betreute die Bild- und Textbeiträge. Ein offenes Forum lud  
KulturproduzentInnen zur Diskussion relevanter Themen ein und bot  
einen Ort zur Publikation. Auch überregional erfreute sich die  
Plattform einer interessierten und diskussionsfreudigen Leserschaft.

Für das Selbstverständnis von THE THING Hamburg war und ist der  
Einsatz und die Erprobung neuer Technologien zum Aufbau von  
Produktions- und Kommunikationsinfrastrukturen ein zentrales Anliegen.  
Wir haben dieses Experiment mit großem Erfolg durchführen können und  
hatten viele Ideen für seine Weiterentwicklung. Doch nun sehen wir uns  
gezwungen, den Betrieb einzustellen und die Plattform in ein Archiv  
umzuwandeln. Hauptsächlich aus kulturpolitischen Gründen entschieden  
wir uns dagegen, die Plattform ohne Förderung weiterzuführen.

Drei Jahre lang wurde THE THING Hamburg durch private Fördergelder  
teilfinanziert. Die Kulturbehörde hatte die Unterstützung vermittelt.  
Sich durch Inanspruchnahme öffentlich verwalteter Gelder in eine  
strukturelle Abhängigkeit zu begeben, war eine bewusste Entscheidung;  
sie hatte den Zwang zur Vereinsbildung und Rechenschaftspflicht zur  
Folge und erlaubte dafür professionelle technische Umsetzung sowie  
eine Honorierung der Beiträge (100 Euro pauschal). Die Bemühungen des  
Trägervereins, eine weitere Finanzierung oder Teilfinanzierung durch  
die Hamburger Kulturförderung sicherzustellen, blieben ohne Erfolg.

Wir sahen uns im Förderprogramm der Kulturbehörde „Kunst im  
öffentlichen Raum“ richtig platziert, stattdessen empfahl die große  
Kunstkommission über „die Einrichtung eines eigenen Budgets für  
Medienprojekte nachzudenken“, eine sinnvolle Anregung, der aber nicht  
nachgegangen wurde. Zwei Anfragen an die Kultursenatorin Karin von  
Welck, uns zumindest beratend zu unterstützen, blieben unbeantwortet.  
Wir fragen uns, welche Antworten die Kulturpolitik auf die Tatsache  
hat, dass immer mehr KünstlerInnen – unzufrieden mit den Angeboten der  
offiziellen Institutionen – sich eigene Infrastrukturen bauen und die  
Präsentation, Vermittlung und Verbreitung ihrer Arbeit selbst in die  
Hand nehmen? Kulturpolitische Ideen und ein wenig mehr  
Experimentierfreude sind in Hamburg mehr als überfällig.

Auch unsere Anträge bei der Medienstiftung Hamburg, der Hamburgischen  
Kulturstiftung und zuletzt bei der Körber-Stiftung wurden abschlägig  
beschieden. Die Begründungen von Seiten der Stiftungen lauteten, THE  
THING Hamburg entspräche nicht ihren Förderrichtlinien.  
Konventionellere Formate wie Ausstellungen, Projekte mit  
Eventcharakter sowie Kultur im Dienst von Stadtentwicklungs- und  
Standortpolitik werden bevorzugt finanziert.

Im Sommer 2009 schließlich hat das Finanzamt dem Trägerverein die  
Gemeinnützigkeit aberkannt. Begründet wurde die Entscheidung damit,  
dass THE THING die Vereinsziele der Förderung von Kunst und Kritik  
„nicht mittelbar, sondern nur unmittelbar“ ausübe. Insbesondere  
bemängelt wurden die auf der Plattform veröffentlichten Texte mit  
politischem und kulturpolitischem Inhalt. Unsere Erläuterungen zu  
diesem Sachverhalt inklusive der Dokumentation unserer Korrespondenz  
mit dem Finanzamt findet sich auf der Startseite von THE THING Hamburg  
Archiv. Das Finanzamt ließ sich aber – erwartungsgemäß – von unserer  
Argumentation nicht überzeugen.

THE THING Hamburg knüpfte an das 1992 von Wolfgang Staehle in New York  
gegründete Projekt THE THING an. Grundidee ist, dass KünstlerInnen als  
Teil ihrer Praxis Kommunikationsstrukturen schaffen, in denen sie  
untereinander – und mit anderen – ausgehend von künstlerischen  
Fragestellungen gesellschaftlich relevante Themen diskutieren und in  
unterschiedlichen Formaten publizieren können. Diese Idee, die nichts  
an Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt hat, wurde von THE THING  
Hamburg erweitert durch die Diskussion der Produktionsbedingungen von  
Kunst mit Blick auf Kunstpolitik und Kulturpolitik und deren  
besonderen lokalen Verhältnisse: Theorie, Kunst und Politik lesen und  
lokal praktizieren.

Der große Zuspruch von Menschen, die sich auf das Experiment THE THING  
eingelassen haben, die es schätzten und kritisch begleiteten,  
bestätigt die Richtigkeit unserer Idee. Mit Themensetzungen wie Kunst  
+ Öffentlichkeit und Kunst + Selbstorganisation und deren Diskussion  
entlang lokal gegebener Bedingungen, schuf THE THING die kritischen  
Grundlagen für viele aktuelle Entwicklungen in der Stadt. Trotz des  
großen Zuspruchs, den die Plattform gerade auch in der letzten Zeit  
lokal, überregional und international erfuhr (mit bis zu 1000 Besuchen  
täglich auf der Website und einer großen Anzahl  
UnterstützerInnenbriefe) hat der Trägerverein beschlossen – ohne  
Förderung und ohne die Möglichkeit Sponsoren zu gewinnen – den aktiven  
Betrieb der Plattform einzustellen. Wir lassen uns nicht zur  
Ehrenamtlichkeit zwingen! Die Seite wurde in ein Archiv überführt und  
bleibt als solches weiter verfügbar.

Lang lebe THE THING!

Cornelia Sollfrank, Rahel Puffert, Kathrin Wildner, Sabine Falk,  
Ulrich Mattes, Herbert Hossmann, Ulrike Bergermann, Jörn Müller, Ole  
Frahm, Stefanie Lohaus, Dirck Möllmann, Ann-Kathrin Stoltenhoff, Hans- 
Christian Dany, Barbara Thoens, Malte Steiner.


Kontakt: Cornelia Sollfrank, Rahel Puffert: info at thing-hamburg.de