[rohrpost] Die Apokalypse des Urhebers: er ist eine sozial standardisierte Fiktion

micmix micmix at gmx.de
Fre Mai 18 15:20:27 CEST 2012


Hallo rohrpost, 

vermutlich handelt es sich in Manuel Boniks Replik um einen jener humoristischen Versuche, mit denen sich Textkritik selbst obsolet macht; in der guten Begründung, die Anschauung des Textes hätte eine sophistische Verballhornung zu Tage getragen, eine nicht decodierbare Kultivierung in der Reihung von Floskeln. Manch deutsch denkender Rhetoriker neigt ja gerne dazu soziologisches und psychologisches nicht als exakt genug gelten zu lassen und noch weniger das als Wissenschaft, was kaum mehr als leere Blasen voll der Schein-Exegesen um Schein-Probleme wäre, um luftige, bunte aufgeblasene Leerstellen, gar nicht vorhandene Zusammenhänge, nur seltsam eingebildete Chimären, usw. 

Nun ist nicht jede Sophisterei gleich eine leere Rede. Selbstverständlich lässt sich die Schöpfung eines womöglich permagelinkten googelbaren Begriffes wie in diesem Falle der der 'postgenitalen Gender-Politik' nicht ohne administrativen Aufwand wieder ungeschehen machen, wo doch in der Biologie mit 'postgenital' die Entwicklung im Lauf der Ontogenese bezeichnet wird. Schnurstracks  landeten wir bei der  Biopolitik und segelten ohne gröbere Umschweife zurück zum Urheberschafts-Kernthema. 

Man könnte dabei den Fokus von der postgenitalen Gender-Politik zur postanalen Anthropologie schweifen lassen und explizit über Verwertungszusammenhänge von Urheberschaft in den heißen Zeiten der viel diskutierten Copyright-Piraterie nachdenken und zwanglos mit ExpertInnen herausarbeiten, wie etwa Copyright-Piratenjäger die Copyright-Piraten ihrerseits mit Piratenjagd-Lizenzen in nach Phantasy anmutenden Piraterie-Szenarien re-piratisieren. Freibeutern ähnlich, bemühen sie sich kaum die Bohne um den nicht kommerziellen Diskurs, solange sie diesen nicht ordentlich gewinnbringend spezial-verwerten können und sei es explizit zumindest als abschreckendes Anschauungsbeispiel für exakt verqueres Denken. 

Vorausgesetzt, man habe ernsthaft Interesse an Diskussionen rund um Texte und ihre vermeintlichen (Nicht)Inhalte, wie zb. dem der Urheberschaft, abseits vom konstanten Hokuspokus und lässlichem Zynismus, müsste auch die 'Urheberschaft in Zeiten postgenitaler Gender-Politik-Rhetorik' ihre diskursiven Grenzen dort finden dürfen, wo sie zeitgemäß zu verorten sind, nicht im mehr oder weniger sondern exakt im Zusammenhang ihrer Entstehung. 

Insofern ist der Hinweis auf die konventionellen und in Erweiterung eventuell speziellen Fiktionen im Kontext von 'Urheberschaft', ein wichtiger Beitrag in einer zeitgemäßen Diskussion zum durchaus großen Thema. Manche mögen dies für niveaulos halten, obwohl mitschwingt, dass bestimmte Fiktionen, nicht nur die großen, groben der Menschheitsgeschichte, gesellschaftlich ein bestimmtes Mindset präferieren und vice versa bekennende NutzerInnen zeitgemäße Interpretationen in existentieller Echtzeit umsetzen. Ist das nicht ohnedies ohne komplexere Schwierigkeiten eingängig? Selbst jenen zart Besaiteten, die schon bei leisester Kontext-Kritik ins Stalking-Horn blasen, um ad hoc ihr eintöniges Background-Lamento anzustimmen, das letztendlich nur in die Zensur abgleitet und liederlich ausgeführte Begründungen zur Folge hat?

Auch wenn es hier einerseits im sehr vorsichtigen Konjunktiv schweift und andererseits eher nach einem Schnellquirloverdrive ins gefällige bullshit-ende mündend anmutet, wie wäre es nun abseits von Randomisierung zu diskutieren, ob die 'Urheberschaft eine standardisierte soziale Fiktion' ist? Und das ohne den Faden zu verlieren beim Problemstellen und Lösungen finden, das, wie unten als Begründungszusammenhang ausgeführt, ein verwobener Prozess ist? 


Zum Wohl beim Heben des Ur!
Mit verspäteten Grüßen zum Herrentag 
Michael Mikina 


On Mon, 14 May 2012 20:24:18 +0200
Manuel Bonik <manuel at nightacademy.net> wrote:

> Ist es eventuell nicht eher so, dass das Heben des Urs auch an
> nicht-distribuierbare physikalische Grenzen gerät, zumal in Zeiten einer
> postgenitalen Gender-Politik? Hast Du schon mal die kontingenten Aspekte
> des menschgemachten Copyrightwandels verortet, gerade auch in seinem So-
> und Anders-"Sein"? Wäre da nicht auch der Verweis auf die Heteroplexität
> von bullshit fällig?
> 
> -- 
> Manuel Bonik <manuel at nightacademy.net>
> 
> 
> > Bei der Vorstellung von Urheberschaft handelt es sich um eine sozial 
> > standardisierte Fiktion, deren Realität zustande kommen kann, wenn die 
> > Beanspruchung von Urheberschaft nicht nur gefordert, sondern auch 
> > zugestanden und nicht mehr bezweifelt wird. Das heißt, dass nicht etwa 
> > Urheberschaft Voraussetzung für eine solche soziale Standardisierung 
> > ist. Vielmehr verhält es sich andersherum. Wobei eine solche 
> > Standardisierung nur zustande kommen kann, wenn die Probelmstruktur 
> > durch dieses Lösung selbst differenziert wird. Denn dass Urheberschaft 
> > ein Problem sein könnte, kann erst verstanden werden, wenn schrittweise 
> > die Einsicht entwickelt wird, dass die Anerkennung von Urheberschaft die 
> > Lösung ist.
> > 
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