[rohrpost] Telepolis: Gender & Sex: Die Angst vor der Wahrheit

Manuel Bonik manuel at nightacademy.net
Mon Sep 14 17:57:41 CEST 2015


> >> einer wissenschaft, die sich quer über den globus nicht erst seit
> >> gestern etabliert hat, die gelehrt wird, breit diskutiert und
> >> vertiefend in viele andere wissenschaften aufgenommen wurde und
> >> wird, die glaubwürdigkeit abzusprechen ist schon recht mutig.
> >> 
> > Lässt sich von Homöopathie auch so sagen. Aber den Nachweis, dass
> > sie mehr könnte als Placebos, hat diese nicht erbracht und will sie 
> > offensichtlich nicht erbringen, weil das schlecht für das Geschäft
> > wäre.
> 
> Die "Natur"-Wissenschaften bringen nur auch keinen Nachweis, dass die
> von ihnen identifizierten Geschlechter überhaupt eine Relevanz haben
> hinsichtlich desssen, wie wir Geschlechter konstruieren,
> Geschlechtlichkeit leben und in Gesellschaftsverhältnissen einbinden.
> Nur weil es hinsichtlich der Rolle in der Fortpflanzung körperliche
> Unterschiede festzumachen sind und die Bevölkerung in der Biologie
> normalisiert in zwei Geschlechter eingeteilt werden kann, hat das
> überhaupt keine Aussage dahingehend, dass wir sozial auch diesen
> Unterschied machen müssen mit all den zugehörigen Rollenzuschreibungen,
> den Macht- und Gewaltverhältnissen. Die Vehemenz mit der
> Naturwissenschaftler vermeintlich allgemeingültige Aussagen über
> Geschlechter treffen ist nach der Definition auf der Liste demnach
> nichts als Bullshit.

Ein Beispiel, das Kutschera bringt, ist, dass Biologie und Gender
Studies eine ganz unterschiedliche Definition von "Sex" haben. Bei
letzteren meint es das biologische Geschlecht, bei ersteren Tätigkeiten,
die auf die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle hinauslaufen. In dieser
Sichtweise haben die paar wenigen Prozent Nicht-Heteros also mit "Sex"
nichts zu tun. - Das mag man jetzt goutieren oder nicht,
Forschungstraditionen mögen hereinspielen, aber man hat dann erstmal
einen einigermaßen greifbaren Begriff, mit dessen Hilfe man diskutieren
könnte. Nur mal ein Beispiel. Und im Zweifelsfall vertraue ich da erstmal
Begriffen der Biologie als einer echten Wissenschaft eher, die von
Mendel bis heute ständig konkrete, anwendbare Ergebnisse vorgelegt hat
und vorlegt. Vergleichbares ist mir aus den Gender Studies nicht bekannt,
aber das mag an meiner Ignoranz liegen. Welche biologischen Versuche
haben die denn hervorgebracht, die den Kriterien der wissenschaftlichen
Methode (die uns weit gebracht hat) genügen?

Ja, es geht erstmal um zwei Geschlechter, und das die nicht irgendwie
herbeigelabert werden, sondern real existieren, zeigt sich ziemlich
genau daran, dass die Menschheit andernfalls ausgestorben wäre.

Ich kenn ja auch meine weibliche Seite und habe meine Nicht-Hetero-Erfahrungen
und ja, es gibt Schwule, Hermaphroditen etc. - ein paar wenige Prozent
von Leuten, die nicht ins Schema passen. Aber warum muss man da so ein
Gewese machen? Muss man die durch dritte Toiletten diskriminieren?


> 
> > Oder Astrologie: Galt lange als Wissenschaft, und das nicht zu
> > Unrecht, weil sie die berechtige Frage stellte, ob Sterne einen
> > Einfluss auf dies oder das haben. Wurde dann falsifiziert.
> 
> Nicht auszudenken was wäre, wenn die Biologisierung von Geschlechtern
> (und anderen Sachen) als falsifiziert anerkannt wird...

Ja, mach mal! Falsifiziere mal Sätze wie zum Beispiel, dass es zur
Vermehrung eine weibliche Eizelle und ein männliches Spermium braucht.
Vielleicht gilt das nicht für alle Zeiten, und man wird sehen, was die
Naturwissenschaften (wohl eher nicht die Genderologie) da vielleicht
noch für Möglichkeiten hervorbringt. Vielleicht wirst du ja da Pionier
sein? - Du kannst ja, konstruiere ich mal, behaupten: Es gibt nur ein
Geschlecht, und wer sich dann mit wem fortpflanzt, ist nur von
Gesellschaft, Diskurs und sonstwas abhängig. Stell ich mir aber sehr
schwierig vor, sowas in eine Form zu bringen, die wissenschaftlichen
Kriterien genügt.

> 
> > Eine solche Frage zu besitzen, ist schon mal ein Kriterium für eine 
> > Wissenschaft. Ich verkürze da vielleicht was, aber die zentrale
> > Frage der Genderstudies ist doch: Wird das Geschlecht biologisch oder
> > sozial bestimmt? - Auch eine berechtigte Frage (wird Kutschera
> > vermutlich anders sehen). Aber braucht es zu deren Beantwortung 180
> > Professuren?
> 
> Nein, die zentrale Annahme der Gender Studies ist, dass Geschlecht nicht
> biologisch determiniert ist. Die zentrale Frage ist, wie
> Geschlechteridentitäten gemacht und in gesellschaftlichen Verhältnissen
> eingespannt, performt, ausgenutzt, politisiert, unterlaufen etc. werden.

Ist das so interessant? Will man das wirklich wissen und öffentlich
machen? Bin sonst nicht so ein großer Foucault-Fan, aber die
Argumentation in "Sexualität und Wahrheit" fand ich schon einleuchtend,
dass solcherlei Sexualisierungen bis in den letzten Winkel nichts
anderes als die Fortsetzung des Beichtstuhls mit anderen Mitteln (heute:
Talkshow, womöglich Gender Studies) sind. Was geht es die Gesellschaft
an, was Foucault im Dark Room treibt?

> Ob 180 Professuren zu viel sind mag ist müßig, da findet schon jede*r ne
> andere Wissenschaftsdisziplin die ihrer*seiner Meinung nach noch
> unnützer ist.

Das sicherlich. Ich hätte da auch einige auf der Liste. Aber 180
Professuren allein in Deutschland sind schon ganz schön viel. Wurde da
gerade die Kernspaltung oder die Struktur des Genoms entdeckt, dass es
da so viel zu forschen gibt?
> 
> > Und: Was wäre das Kriterium für eine Falsifizierung? Gibt es das 
> > überhaupt? Falls nicht: Keine Wissenschaft, jedenfalls keine 
> > Naturwissenschaft.
> 
> Es gibt keine Falisifizierung für Gender Studies, denn genauso wie bei
> der Soziologie sind die sozialen Verhältnisse und Phänomene
> Forschungsgegenstand. Und das unsere soziale Welt durch
> Geschlechtlichkeit und Sexualität bestimmt ist, steht wohl außer Frage.

Auch. Aber da gibt es noch Geld, Macht etc. Wenn man das auf Sexualität
reduziert: Warum ist dann Soziologie nicht dasselbe wie Gender Studies?

> Von daher ist der Forschungsgegenstand bzw. die Frage nach den
> Geschlechtern erst weg, wenn gesellschaftlich nicht mehr mehr über
> geschlechtlich/sexuell Identitäten konstruiert bzw. Menschen in diese
> gepresst werden.

Es mag da Grauzonen geben, aber die betreffen ziemlich kleine Minderheiten.
Deren Existenz man auch durch "Diskurskritik" o.ä. nicht wegdiskutiert
kriegt. Ansonsten wird da m.E. wenig "gepresst". Es war ja eine
Erkenntnis in Norwegen, die zum Eindampfen von Gender Studies führte:
Dass in einer Gesellschaft, in der jeder seinen Beruf frei wählen kann,
die Berufswahl erst recht zum gehabten Schema führt: Männer lieber in
technische, Frauen lieber in Pflegeberufe.

> Andererseits gibt es für die Geschlechter-Biologie ein
> Falsifizierungs-Kriterium: Insofern die von der Biologie identifizertern
> körperlichen Merkmale nicht mit den sozial gelebte
> Geschlechteridentitäten korrespondieren, ist sie wiederlegt. Folglich:
> Theorie beschreibt nicht die Wirklickeit. Biologisierung von
> Geschlechtern ist somit falsch und damit schlechte Wissenschaft.
> 
Merkwürdigerweise passen in fast allen Fällen körperliche Merkmale und
"sozial gelebte Geschlechteridentitäten" prima zusammen. "Es gibt auch
Ausnahmen immer wieder, von denen singt man keine Lieder", um mal den
Song "Penis Vagina" von Foyer des Arts (Max Goldt) zu zitieren. Aber
diese Ausnahmen (für die die Biologie oft auch Gründe bereithält, nicht
nur als nicht falsifizierbar angelegte Hypothesen wie die Gender Studies)
bestätigen doch eher die Regel?
-- 
Manuel Bonik <manuel at nightacademy.net>