[WOS] Thema fuer WOS?
Andreas Bogk
wos@mikrolisten.de
18 Sep 1999 01:47:26 +0000
j.merkel@tbx.berlinet.de (Joachim Merkel) writes:
> Beim CCC gibts einen Platzhirsch, der sich über alle Nettiquette
> hinwegsetzt und in der Mailingliste Fitug damit rumgeprotzt hat,
> wem er an die Titten gefasst hat.
Wau ist nicht der CCC. Auch wenn er wahrscheinlich auf der Fitug-Liste
diesen Eindruck erweckt.
> Rechthaberei nicht überwinden kann. Ich sehe auch nicht, daß der
> CCC irgend eine Kompetenz zur Reflektion sozialen Hintergrunds und
> Bedeutung von Softwareentwicklungen allgemein hat, insofern ist
> seine Bedeutung für WOS eher marginal.
Die Leute beim CCC, die freie Software entwickeln, tun das nicht unter
dem Label CCC. Das hat mit gewissen Leuten zu tun, die die
Aussendarstellung besetzen, aber auch mit dem Problem, dass sich der
durchschnittliche 15-jaehrige unter Hackern eher sowas wie eine
allmaechtige Ninja-Turtle vorstellt und gerne einen persoenlichen
"lernt mir hacken in 21 Tagen"-Kurs haette (wir versuchen das so ein
bisschen zu kanalisieren, und den ernsthaft interessierten unter den
10 wannabees zu finden). Das aendert aber nichts an der Tatsache, dass
es im CCC ein Netz von kompetenten Leuten gibt, die teilweise schon
seit 10 Jahren mit freier Software arbeiten, und technische Kompetenz
halte ich einfach fuer eine wichtige Voraussetzung fuer
Technikfolgenabschaetzung.
> Was ich vielmehr vermisse hier in der Diskussion ist, daß die
> gesellschaftlichen und sozialen Hintergründe der Gestaltung von
> Software auf der Konferenz erst angerissen wurde. Deren
> Verdeutichung und Diskussion macht offensichtlich mehr
> Schwierigkeiten, die Gründe könnten doch mal diskutiert werden.
Das mag daran liegen, dass die Tragweite einfach sehr gross ist und an
gewissen Grundfesten unserer Wirtschaft und damit unseres
Gesellschatfssystems ruettelt. Man sollte nicht vergessen, dass es
freie Software war, die fuer den Erfolg des Internets gegenueber
konkurrierenden Systemen (BTX, ISO/OSI-basierte Netze, Compuserve, AOL,
MSN(!) etc.) gesorgt hat: freie Software senkt den Unterschied zwischen den
Voraussetzungen fuer passive und aktive Teilnahme an
Kommunikationsmedien und fuehrt dadurch zu einer Demokratisierung der
Inhalte.
Das gleiche Prinzip beginnt sich jetzt auf anderen Sektoren zu
zeigen. Den Kampf, den Microsoft mit MSN gegen Internet schon laengst
verloren hat, verliert es jetzt mit Windows gegen die ganze Bandbreite
der freien Betriebssysteme.
Die gesellschaftlichen Konsequenzen aus freier Software sind
indirekte: der Effekt erster Ordnung ist der, dass freie Software
offensichtlich gegenueber proprietaerer Software oekonomisch
ueberlegen ist und sich deshalb durchsetzt. Was deshalb merkwuerdig
ist, weil Software die Angewohnheit hat, sich beliebig oft kopieren zu
lassen, was dazu fuehrt, dass den Konzernen die Gewalt ueber die
Produktionsmittel entzogen wird.
Und jetzt sind wir auch schon direkt bei dem Punkt, den sich keiner
traut auszusprechen[0], weil er sonst Widerstand gegen freie Software
befuerchtet. Freie Software bedeutet Volkseigentum an
Produktionsmitteln[1], und das nennt man gemeinhin Kommunismus.
Manche Staaten haben verschiedene Phasen dieser Entwicklung bereits
erkannt. Mexico hat an allen Schulen Linux installiert, der Grund
sollte offensichtlich sein: in 5 Jahren verfuegt Mexico ueber ein Heer
von faehigen Programmierern, die eine wirtschaftliche Macht
darstellen, die der der USA, wo der durchschnittliche Admin gerade
weiss, wie man NT neu installiert, weit ueberlegen sein wird. China
waehnt sich bereits in Phase 2: ein Freund von mir war neulich in
Fernost, und hat aus China einen (dort hergestellten!) Video-CD-Player
mit Display in Groesse eine Discmans mitgebracht, der auch CDs mit
MP3s abspielen konnte. Dort haengen dicke Plakate: MP3 ist Musik fuer
das Volk.
Ich denke, der Widerspruch laesst sich aufloesen. Die Kritik, die Marx
am Kapitalismus hatte, waren Folgen der Monopolisierung und der
Ausbeutung durch Ungleichverteilung der Produktionsmittel. Was falsch
war am Sozialismus war die Theorie, die Abschaffung der
Marktwirtschaft wuerde die Produktionsmittel gleich verteilen, denn
die Abschaffung der Marktwirtschaft fuehrte zur wirtschaftlichen
Stagnation.
Im Falle der freien Software ist freie Marktwirtschaft jedoch
unabdingbar, ja erstere sorgt sogar dafuer, dass sich keine Monopole
bilden und der Markt sich dem ja durchaus positiv gepraegten
Idealzustand annaehert. Der Effekt wird durch die Verfuegbarkeit von
gleichberechtigtem Zugang zu globalen Netzen, die wiederum die Folge
der Verfuegbarkeit freier Software sind, noch verstaerkt: auch ideale
Kommunikation ist eine Voraussetzung fuer den idealen Markt.
Das Resultat ist also so etwas wie eine Fusion zwischen Kommunismus
und libertaerer Marktwirtschaft, gekoppelt mit Globalisierung (freie
Software wird in allen Laendern geschrieben).
Und da waeren wir schon bei den Verlierern dieses Spiels: Monopolisten
(ja, Microsoft ist mein Lieblingsbeispiel), Oligopolisten
(Plattenfirmen), und Nationalstaaten (die USA spioniert durch
Hintertueren kommerzieller US-Software, die qua Monopol in feindlichen
Wirtschaftssystemen wie der EU benutzt werden).
Die Waffen in der Hand der Gegner heissen Copyright, Intellectual
Property, Patent und Trade Secret.
Der Showdown hat begonnen.
Gruss Andreas
[0] Keiner ausser Stallman. Aber weil der durchgeknallt ist, glaubt
ihm niemand.
[1] Falls hier einer sagt, das hatten wir alles schon mal: es gab nie
wirklichen Kommunismus. Es gab Sozialismus, und das ist lauft
Definition "Diktatur des Proletariats", mithin Diktatur, und
"Staatseigentum an Produktionsmitteln", und der Unterschied zwischen
Volk und Staat in einer Diktatur sollte offensichtlich sein.
--
"Niemand hat die Absicht, eine Firewall einzurichten"
-- Peter Berlich <peter@berlich.de>, dasr
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