[WOS] Thema fuer WOS?

Joachim Merkel wos@mikrolisten.de
18 Sep 1999 05:24:00 +0200


Hallo,

> [...] Das aendert
> aber nichts an der Tatsache, dass es im CCC ein Netz von
> kompetenten Leuten gibt, die teilweise schon seit 10 Jahren mit
> freier Software arbeiten, und technische Kompetenz halte ich
> einfach fuer eine wichtige Voraussetzung fuer
> Technikfolgenabschaetzung.

Das beste Beispiel war ja Dein Vortrag zur Transparenz
von Kryptosoftware.
Die Technikfolgenabsch=E4tzung entstand aus den ersten
Eisenbahnungl=FCcken. Nur hat dies nichtmal dazu gef=FChrt, da=DF
Eschede verhindert wurde, weil die Bundesbahn schlicht ihr
eigene Genehmigungsbeh=F6rde f=FCr die Raketen auf R=E4dern war.
Bezogen auf Software ist die Situation eigentlich noch
schlimmer, es gibt keine Haftung f=FCr irgendeinen Schaden.
Die Verpflichtung zum Nachbessern wird so gut wie immer
umgangen, gesetzlich Haftung wie sonstiger Verbraucherschutz
ist nicht in Sicht. Ich behaupte daher, da=DF das Modell des
verantwortlichen Softwareentwicklers bisher fast nur ein
Traumbild ist.
Du wirst auch nicht umhin kommen, nicht nur die Folgen der
Technik zu beachten, sondern rechtliche Regelwerke f=FCr deren
Einsatz zu entwickeln. Wie zum Beispiel die amerikanische
Verbraucherschutzgesetze Produzenten viel st=E4rker
daf=FCr verantwortlich machen, als unsere, wenn die Folgen
einer Entwicklung zu Sch=E4den f=FChren.

> Das mag daran liegen, dass die Tragweite einfach sehr gross ist
> und an gewissen Grundfesten unserer Wirtschaft und damit unseres
> Gesellschatfssystems ruettelt. Man sollte nicht vergessen, dass
> es freie Software war, die fuer den Erfolg des Internets
> gegenueber konkurrierenden Systemen (BTX, ISO/OSI-basierte
> Netze, Compuserve, AOL, MSN(!) etc.) gesorgt hat: freie Software
> senkt den Unterschied zwischen den Voraussetzungen fuer passive
> und aktive Teilnahme an Kommunikationsmedien und fuehrt dadurch
> zu einer Demokratisierung der Inhalte.

Das w=E4re zu w=FCnschen, aber wer r=FCttelt da? Die gro=DFen
US-Gesellschaften kaufen die kleinen Provider auf, wenn im Internet
drei Gesellschaften bestimmen, wird es nicht viel anders als btx
aussehen.

> Das gleiche Prinzip beginnt sich jetzt auf anderen Sektoren zu
> zeigen. Den Kampf, den Microsoft mit MSN gegen Internet schon
> laengst verloren hat, verliert es jetzt mit Windows gegen die
> ganze Bandbreite der freien Betriebssysteme.

Tim O'Reilly hat in seinem Vortrag behauptet, da=DF Microsoft
schon heute den gr=F6=DFten Nutzen aus Open Source zieht, indem
sie die Sachen einfach mit anbieten, komplettieren sie ihre
Angebote. Ich kann das nicht =FCberpr=FCfen, aber ich habe es
mir doch mal gemerkt.

> Die gesellschaftlichen Konsequenzen aus freier Software sind
> indirekte: der Effekt erster Ordnung ist der, dass freie
> Software offensichtlich gegenueber proprietaerer Software
> oekonomisch ueberlegen ist und sich deshalb durchsetzt. Was
> deshalb merkwuerdig ist, weil Software die Angewohnheit hat,
> sich beliebig oft kopieren zu lassen, was dazu fuehrt, dass den
> Konzernen die Gewalt ueber die Produktionsmittel entzogen wird.

Deswegen ist der n=E4chste Schritt auch die Kontrolle des
Internets, Tim O'Reilly sprach von der Gefahr propriet=E4rer
Information-Layer, also quasi der Einrichtung von
Industrienormen des Zugriffs auf Informationen.

> Und jetzt sind wir auch schon direkt bei dem Punkt, den sich
> keiner traut auszusprechen[0], weil er sonst Widerstand gegen
> freie Software befuerchtet. Freie Software bedeutet
> Volkseigentum an Produktionsmitteln[1], und das nennt man
> gemeinhin Kommunismus.

Ich kenne den Begriff nur als Eigentum der Produzenten an
den Produktionsmitteln. Was ich von dem freien Produzenten
von Software insoweit halte, ist schon aus meiner obigen =C4u=DFerung
zu entnehmen. Es ist bisher ein erzliberaler Traum, der sich
ein wenig anarchistisch kost=FCmiert.

> Manche Staaten haben verschiedene Phasen dieser Entwicklung
> bereits erkannt. Mexico hat an allen Schulen Linux installiert,
> der Grund sollte offensichtlich sein: in 5 Jahren verfuegt
> Mexico ueber ein Heer von faehigen Programmierern, die eine
> wirtschaftliche Macht darstellen, die der der USA, wo der
> durchschnittliche Admin gerade weiss, wie man NT neu
> installiert, weit ueberlegen sein wird.

Vermutlich werden diese f=E4higen Programmierer m=F6glichst
schnell versuchen, =FCber die mexikanische Grenze ins
Hochlohnland USA einzuwandern und dann in Konkurrenz jeder
gegen jeden ihre Br=F6tchen verdienen.

> China waehnt sich bereits in Phase 2: ein Freund von mir
> war neulich in Fernost, und hat aus China einen (dort
> hergestellten!) Video-CD-Player mit Display in Groesse eine
> Discmans mitgebracht, der auch CDs mit MP3s abspielen
> konnte. Dort haengen dicke Plakate: MP3 ist Musik fuer das
> Volk.

Na sicher, die m=FCssen ja auch nicht alle "unsere" Fehler
wiederholen. Sie haben ja auch keine R=FCstungsindustrie, die
nicht wu=DFte wohin mit ihrer Kohle und ins Musikbusiness
einstieg, wie Brian Jones das mal =FCber Decca sagte.
Ich la=DF jetzt mal meiner Phantasie auch etwas freien Lauf:

China hat das ungeheure Problem zwischen hochkapitalisierten
Zentren und dem Mittelalter zu jonglieren. Noch ein paar
Erdbeben und sie sind auf dem Stand vor dem langen Marsch
des Genossen Mao. Die Lesart stelle ich mir dann so vor:
Eine Clique von Volksverr=E4tern die vom Ausland bezahlt werden,
hat sich dann alles unter den Nagel gerissen. Die Zentrale
sitzt auf Taiwan und diese Volksfeinde m=FCssen ein f=FCr alle
mal ausgerottet werden - also die nationale Lesart des
Volkseigentums an Produktionsmitteln. Was dabei rauskommen
wird, kannst Du an Jugoslawien studieren. Es wird eine
amerikanisch gef=FChrte internationale Befreiungsbewegung
als "bewaffneter Arm von Amnesty International" selbst
unseren Gr=FCnen unverd=E4chtig, die Marktwirtschaft endg=FCltig
in die Chinesische Verfassung schreiben, damit auch dort
alle freien Programmierer in freier Konkurrenz ihre
Arbeitskraft anbieten k=F6nnen.

> Die Waffen in der Hand der Gegner heissen Copyright,
> Intellectual Property, Patent und Trade Secret.

Das sind aber auch Rechtsg=FCter, die Dich vor der
bedingungslosen Enteignung Deines Wissens sch=FCtzen. Sonst
w=FCrdest Du n=E4mlich damit so lange hinter dem Berg halten,
da=DF es u.U. nutzlos ist, bis Du es jemand anderem
anvertraust. Die cooking-pot economy ist keine real-life
economy. Staatliche Rechtsnormen sind nicht so einfach
abzuqualifizieren, auch wenn es so aussieht, als w=FCrden
damit nur die beg=FCnstigt werden, die schon haben. Es ist
etwas komplizierter, n=E4mlich eine Konkurrenz von Zielen.
Ganz so bl=F6d ist die Warengesellschaft eben nicht.

Mein Gegner definiert zur Zeit die gesellschaftliche
Entwicklung, Henkel statt Hegel, so k=F6nnte die
Definitionsmacht des herrschenden Positivismus auf eine
Formel gebracht werden. Die damit urspr=FCnglich verbundene
ideologische Zersetzung des Feudalismus hat sich schon lange
in die Rolle der Verteidigung alles Bestehenden und der
Denunzierung alles anderen Denkens - der sog. Gegner der
Aufkl=E4rung - gestellt. So wie Stallman als durchgeknallt
angesehen wird, hat es fr=FCher schon die religi=F6sen Schw=E4rmer
erwischt. Die Vernunft ist eine Einrichtung, die sich selbst
ihre Grundlagen schafft. Vermittels der herrschenden
Verh=E4ltnisse, wird =FCberwiegend nur das gedacht, was in
diesen Verh=E4ltnissen Sinn ergibt. Alles andere ist
subversives Denken oder List der Geschichte.
Da=DF Programmierer den Verh=E4ltnissen dieses Denken
abgewinnen, sich auf die Seite der geschichtlichen List,
also der nicht korrumpierbaren Vernunft stellen, ist
von anderen Menschen auch zu erwarten, ich vermute
meist, sogar noch eher.
--=20
Salut
 _)oachim


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