[wos] wos3: Inhalte

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Thu Mar 20 17:51:32 CET 2003


Am Montag, 17. März 2003 um 15:51:24 Uhr (+0100) schrieb Volker Grassmuck:
 
> THEMENVORSCHLÄGE
> 
> - DRM (mit Dank an Armin Haase)

Aus meiner Sicht ein negatives bzw. Abwehr-Thema.

> - Free Hardware
> die Alternative zum Intel-Monopol?

[Zu esoterisch, außerdem funktioniert aus meiner Sicht Konkurrenz
und Offenheit auf dem PC-Hardwaremarkt bisher sehr gut, zum Vorteil der
sog. Verbraucher.]

  
> - Offene Standards
> 1dok.org, OpenOffice, LinuxAG: 120 S. Studie zu Textformaten (Sebastian Hetze)
> Mit Office 2003 verabschiedet sich MS von proprietären Dateiformaten -> XML, aber DTDs 
> sind proprietär
> 
Ja, das ist es aus meiner Sicht! Und zwar deshalb:

1. Ist Definition dessen, was eigentlich ein offener Standard ist, nicht
halb so klar, wie sie scheint. Siehe Jeanette Hofmanns Vortrag auf den
WOS1 (den wir damals leider auf das "Open Content"-Panel fehlplaziert
hatten) und vor allem Bruce Perens' Website "Open Standards: Principles
and practice" <http://perens.com/OpenStandards/>
und z.B. auch die Patentdiskussion ums W3C.

2. Wird in der Öffentlichkeit (und auch im Freie Software-Aktivismus)
nicht genug zwischen Freier Software und offenen Standards
unterschieden. Per definitionem ist zwar jedes Dateiformat und jedes
Netzwerkprotokoll, das in einem freien Programm benutzt wird, auch
offen; d.h. selbst wenn jemand z.B. für einen neuen P2P-Client ein
eigenes, nicht von Gremien beschlossenes Protokoll strickt, ist dies
Protokoll automatisch offen, sobald der Client unter einer freien Lizenz
steht. 

Umgekehrt ist das nicht der Fall: Mit Adobe Photoshop z.B. kann man
JPEG- und PNG-Bilder erzeugen, die offenen Standards entsprechen und
deshalb jemanden, der diese Bilder weiterbearbeitet, nicht zwingt,
Photoshop zu kaufen und zu verwenden. Für Programme wie Macromedia
Director, Microsoft Office etc. gilt dies jedoch nicht; zumindest können
dort offene Formate nur verwendet werden, wenn man Informationsverlust
(wie bei der Konvertierung von .doc zu .txt) in Kauf nimmt.

3. Ist Freie Software als Volks-Software auf dem Desktop
gescheitert.  Gute Gründe sind in einer neuen Vergleichskritik der
Windows-, MacOS X-, BeOS-, KDE- und Gnome-Desktops nachzulesen
<http://www.osnews.com/story.php?news_id=3064> sowie in einem Interview
mit KDE- und Gnome-Entwicklern über die "Usability" ihrer Desktops
<http://www.osnews.com/story.php?news_id=2997>. Zusammenfassung: Die
freien Software-Desktops sind in Aussehen und Bedienung inkonsistent
(so verwenden die Schlüsselanwendungen KDE, Gnome, Mozilla, OpenOffice
jeweils eigene GUI-Toolkits bzw. Benutzeroberflächen), und vor allem
sind KDE, Gnome und Co. nur minimal mit dem Betriebssystem verzahnt,
weil sie gewissermaßen als graphische Shells (oder Autopiloten) oberhalb
sehr verschiedener Systeme wie Debian, FreeBSD, RedHat, Solaris etc.
fungieren.

4. Man wird sich also damit abfinden müssen, daß Windows und, als
alternatives Feigenblatt, MacOSX den PC-Desktop mindestens noch die
nächsten zehn Jahre lang dominieren. (Nur ein arbiträres Beispiel: Das
Freier Software und Unix traditionell zuneigte Rechenzentrum der
FU Berlin stellt jetzt seine letzten Linux/X-Terminal-basierten
Arbeitsplatzrechner auf Windows um, weil die Nutzer mit nur geringfügig
anderen Systemen nicht mehr klarkommen und außerdem - womit wir beim
Thema wären - ihre proprietären Office-Dokumente ausdrucken und
weiterbearbeiten möchten.)

5. In einer idealen Welt gibt es nur Freie Software, in einer
Horrorwelt nur zu sich selbst kompatible, proprietäre Software,
deren vendor-lock-in (mir fällt kein gutes deutsches Wort ein) d
kryptographisch durch Hard- und Softwarelösungen à la DRM, TCPA und
Palladium zementiert wäre. In einer halbidealen Welt, die vielleicht
schaffbar ist, koexistiert zwar nichtfreie mit Freier Software, da aber
alle Leute Daten in offenen Standards austauschen, also als
standardkonforme E-Mail, nichtproprietäres HTML, JPEG, PNG, Ogg Vorbis
etc.  über offene Protokolle wie http und smtp, erwüchsen daraus keine
praktischen Probleme und Herstellerabhängigkeiten. Sowohl die
(weitgehend) offene Architektur des IBM-kompatiblen PCs, als auch das
Internet sind Erfolgsstories offener Architekturen, die es in der Welt
der Nutzersoftware noch nachzuholen gibt, und für das Internet zu
bewahren.

Über den Unterschied von Freier Software und offenen Standards ist noch
viel Aufklärungsarbeit zu leisten, und es wäre gut, wenn die "Wizards of
OS" wieder als Avantgarde vorangehen würden!

-F


-- 
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