OT: Linux, Re: [wos] wos3: Inhalte
Florian Cramer
cantsin at zedat.fu-berlin.de
Fri Mar 28 12:38:32 CET 2003
Am Donnerstag, 27. März 2003 um 19:20:03 Uhr (+0100) schrieb Erik Moeller:
> Das stelle ich mir schwierig vor, da die verwendete Software von System
> zu System so dramatisch unterschiedlich ist. Der Linux-Desktop ist keine
> Monokultur, die Diversifizierung ist weitaus größer als bei anderen OS.
Richtig, aber nur so lange er eben kein Massensystem ist. Wäre GNU/Linux
"Standard", könnte man allein mit dem Evolution-Exploit gut die Hälfte
aller Desktop-PCs knacken.
> > Exakt, aber womöglich 1 1/2 Jahre zu warten, bis ein Treiber für eine
> > neue Hardware stabil in den Kernel integriert ist, verträgt sich nicht
> > mit den Erwartungen an ein Mainstream-PC-Betriebssystem.
>
> Henne/Ei - Linux muss erst Mainstream werden, bevor es die neusten
> Treiber bekommt.
Genau das wollen wir ja gerade nicht. Solange Treiber nicht in
geschützten Bereichen laufen (wie - theoretisch - bei GNU/Hurd), würden
3rd-Party-Herstellertreiber, die nicht dem langwierigen, aber
qualitätssichernden Entwicklungsprozeß der offiziellen Kernelentwicklung
unterliegen, die Stabilität des ganzen Systems untergraben. Mit NVidias
proprietären Kernel-Modulen gibt es dafür auch schon einen
schönen Präzedenzfall...
> Nee, die Instabilität/Unsicherheit von Windows rührt aus mangelhafter
> Separation der verschiedenen Zugriffsebenen (unter Linux kann ich meinen
> X-Server neu starten und weiterarbeiten),
Was für einen Desktop-User keinen Unterschied zu einem Systemabsturz
bedeutet (zumal wenn X11 sich so aufhängt, daß keine Tastatureingaben
mehr möglich sind).
Dagegen könnte man genauso gut (theoretische) Sicherheitsvorteile von
Windows NT/2000/XP anführen wie z.B. die Dateirechtevergabe per ACLs
oder die Tatsache, daß NTFS als Journaling-Dateisystem mindestens so
gut ist wie seine Linux-Pendants (siehe aktuelle threads zu Problemen
mit Reiserfs, XFS und ext3 in de.comp.os.unix.*); mangelnde Separation
der Zugriffsebenen stimmt so auch nicht, wenn man berücksichtigt,
daß NT/2000/XP Microkernel-basiert sind und sauber programmierte
Treiber/Subsysteme als Dienste (bzw. Prozesse) laufen statt direkt im
Kernelspace.
Natürlich ist Windows in der Praxis instabiler und Linux stabiler: Dies
liegt aber weniger am Design, als an der Implementierung und der
Qualität der Treiber- und Anwendersoftware, die aus meiner Sicht
logische Folgen der Tatsache sind, daß Windows eine
Mediamarkt-Käuferschaft (und Mediamarkt-Hardware) bedient.
> OpenOffice ist in meiner Praxis bisher an keinem Word-Dokument
> gescheitert,
An der FU Berlin scheitert der OpenOffice-Einsatz schon daran, daß OO
die offiziellen FU-Briefkopfvorlagen nicht korrekt darstellen kann.
Eine hundertprozentige MS Office-Kompatibilität ist auch gar nicht
machbar, weil Office-Dokumente COM-Objekte sind und man die gesamte
Komponentenarchitektur von Windows nachbauen müßte, um nicht nur eine
Untermenge der Office-Formate zu unterstützen.
> Das wird nicht passieren, solange MS die Formate kontrolliert. Und das
> wird sich erst ändern, wenn MS nicht mehr das OS kontrolliert oder freie
> Software unter Windoof selbst zum Einsatz kommt.
Darüber sollte man diskutieren! - Aus meiner Sicht würde es genügen,
wenn es für öffentliche Institutionen verbindliche Richtlinien gäbe, daß
aller Datenaustausch nur in offenen, herstellerunabhängigen Formaten und
Protokollen zu geschehen habe. Gäbe es dafür ein Problembewußtsein, und
stünde so etwas in einem Pflichtenheft, würde selbst Microsoft sehr
schnell mit Lösungen nachziehen.
OpenOffice hilft hier aus meiner Sicht wenig, weil es im Gegenteil durch
das Versprechen der Microsoft-Kompatibilität den pseudo-"Standard" noch
zementiert. Tatsächlich ist ".doc" auch auf dem GNU/Linux-Desktop zum
populärsten Textformat geworden, weil damit der Datenaustausch z.B.
zwischen OpenOffice, KOffice und Abiword am einfachsten möglich ist.
> Was die Sicherheits-Architektur angeht, darf man eines nicht vergessen:
> Linux (der Kernel) ist austauschbar. Wenn GNU/Hurd fertig und besser
> ist, kann man praktisch alle Anwendungen ohne großen Aufwand
> rüberportieren (teilweise geschieht das schon jetzt).
Innerhalb der Windows-Welt ist ein analoger Wechsel ja auch mit der
Umstellung vom DOS-basierten Win95/98/ME zum NT-basierten Win2000/XP
geschehen. Der gesamte Kernel wurde ausgetauscht, während das
Userland bzw. die Applikationsschicht identisch blieb. (Der Wechsel war
also, im Informatiker-Jargon, "transparent".) Wie IBM mit OS/2 und
seiner Windows-Kompatibilität gezeigt haben - und wie es WINE seit
einigen Jahren versucht -, kann man das Windows-API auch auf anderen
Betriebssystemen implementieren.
> Windows dagegen
> ist eine Lock-In-Plattform: Nicht nur die Formate sind proprietär,
> sondern auch die Bibliotheken, weshalb Apps extrem schwer zu portieren
> sind. Schau mal bei SourceForge nach OSS-Windows-Apps -- selbst sehr
> große Projekte werden kaum nach Linux portiert. Dagegen gibt es für
> Tausende OSS-Apps gleich fertige Binaries für viele Plattformen. Auch
> das ist ein massiver Pluspunkt der OSS-Infrastruktur.
Hier verwechselt Du aus meiner Sicht die Kategorien: Freie Software ist
portierbar, weil fast alle freien Betriebssysteme Unix-Clones sind,
also Varianten ein und desselben Betriebssystems. Deshalb ist der
Portierungsaufwand einer Windows-Applikation auf Linux ungleich höher
als der einer Linux-Applikation auf FreeBSD oder Hurd.
-F
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