OT: Linux, Re: [wos] wos3: Inhalte
Erik Moeller
moeller at scireview.de
Fri Mar 28 16:21:35 CET 2003
Am Fre, 2003-03-28 um 12.38 schrieb Florian Cramer:
> > Das stelle ich mir schwierig vor, da die verwendete Software von System
> > zu System so dramatisch unterschiedlich ist. Der Linux-Desktop ist keine
> > Monokultur, die Diversifizierung ist weitaus größer als bei anderen OS.
> Richtig, aber nur so lange er eben kein Massensystem ist. Wäre GNU/Linux
> "Standard", könnte man allein mit dem Evolution-Exploit gut die Hälfte
> aller Desktop-PCs knacken.
Sehe ich nicht so - dafür gibt es einfach zuviel Auswahl.
KMail bzw. Kroupware, Mozilla Mail, Sylpheed, Mahogany, Mulberry, Balsa,
OpenXP, CronosII oder meinetwegen auch Mutt eignen sich alle als
Standard-Clients. Ich z.B. verwende Evolution + OpenXP in Kombination,
bei BerliOS ist vor allem Mozilla Mail im Einsatz, das einen feinen
Spam-Filter mitbringt und auch unter Win läuft. Und dann würde ich mal
das Chandler-Projekt der OSAF (www.osafoundation.org) von Mitch Kapor
nicht vergessen. Evolution hat sicherlich zunächst den
Outlook-Klon-Bonus, langfristig wird das aber nicht allzuviel bringen.
Von der großen Auswahl abgesehen haben die meisten Clients kurze
Release-Cycles, was man von Outlook nicht unbedingt behaupten kann.
Neben einer großen Heterogenität bei den Clients selbst hat man es also
auch mit vielen unterschiedlichen Versionen zu tun. Das würde bei einem
Mainstream-Einsatz eher zunehmen, weil die OEMs dann zwecks Branding
modifizierte Versionen "ihrer" Clients installieren würden - dank OSS
kein Problem. Dann gäbe es ein Dell Mail, ein Vobis Mail usw. ..
Trotzdem verwenden oder importieren praktisch alle diese Clients das
UNIX-Mailformat -- in der Windows-Welt gibt es keinen vergleichbaren
Standard.
Sicher führt ein Masseneinsatz immer zu einer gewissen Homogenisierung.
Aber bei MS ist die Monokultur Teil des Geschäftsmodells. Und ohne
eklige Kernel-Exploits kann ein Wurm ohnehin nur begrenzt Schaden
einsetzen -- Deine Ansicht, Otto Normal würde sowieso nur als Root
arbeiten, teile ich nicht. Bei Apple funktioniert die Trennung
schließlich auch. Lindows hat sich mit seiner Root-Entscheidung in der
Community stark isoliert, jede andere Linux-Distro behält die Trennung
bei.
> > Henne/Ei - Linux muss erst Mainstream werden, bevor es die neusten
> > Treiber bekommt.
> Genau das wollen wir ja gerade nicht. Solange Treiber nicht in
> geschützten Bereichen laufen (wie - theoretisch - bei GNU/Hurd), würden
> 3rd-Party-Herstellertreiber, die nicht dem langwierigen, aber
> qualitätssichernden Entwicklungsprozeß der offiziellen Kernelentwicklung
Na, ob der so qualitätssichernd ist, sei mal dahingestellt. Die
Kernel-Maintainer haben doch bei den meisten neuen Treibern ohnehin
nicht die Möglichkeit, sie vernünftig zu testen, da sie die
entsprechende Hardware gar nicht haben. Und wieviele Leute verwenden
schon instabile Kernel-Versionen?
> unterliegen, die Stabilität des ganzen Systems untergraben. Mit NVidias
> proprietären Kernel-Modulen gibt es dafür auch schon einen
> schönen Präzedenzfall...
Stabilitätsprobleme hatte ich damit keine. Ich habe aber erlebt, wie
Probleme, die ich unter X hatte, sofort von irgendwelchen IRC-"Experten"
auf die nVidia-Treiber geschoben wurden, weil die ja so gemein
proprietär seien. Letztlich hat sich als Ursache der schlechte Treiber
für mein Wacom-Tablett herausgestellt (der aber unter Linux immer noch
besser läuft als unter NT, wo er alle zwei Wochen neu installiert werden
wollte).
Natürlich sind proprietäre Treiber unschön. Aber wer auf 3D-Games
verzichten kann (=jedes Büro), kann ja die XFree86-OSS-Treiber
verwenden.
> > Nee, die Instabilität/Unsicherheit von Windows rührt aus mangelhafter
> > Separation der verschiedenen Zugriffsebenen (unter Linux kann ich meinen
> > X-Server neu starten und weiterarbeiten),
>
> Was für einen Desktop-User keinen Unterschied zu einem Systemabsturz
> bedeutet (zumal wenn X11 sich so aufhängt, daß keine Tastatureingaben
> mehr möglich sind).
Control+Alt+Backspace kann der Durchschnittuser genauso lernen wie
Control+Alt+Delete unter Win98&Co. Bei einem Totalhänger käme ich auch
nicht weiter, da wäre ein "Kill X" Knopf am Gehäuse eine feine Sache ...
> Dagegen könnte man genauso gut (theoretische) Sicherheitsvorteile von
> Windows NT/2000/XP anführen wie z.B. die Dateirechtevergabe per ACLs
> oder die Tatsache, daß NTFS als Journaling-Dateisystem mindestens so
> gut ist wie seine Linux-Pendants (siehe aktuelle threads zu Problemen
> mit Reiserfs, XFS und ext3 in de.comp.os.unix.*);
Ähem, frag mal Hans Reiser, was er von NTFS hält :-). Ich habe jahrelang
NT als Standard-OS verwendet, das Dateisystem hat bei mir nach fast
jedem Crash zu Datenverlust geführt, schlimmer als ext2. Auf dem
gleichen Rechner läuft nun Linux - keinerlei Probleme. Und was die
schönen Treiber angeht: Die offiziellen DSL-Treiber haben/hatten unter
NT einen netten Bug, der nach der 24-Stunden-Trennung zum Totalabsturz
führte. Antwort der T-Online-Hotline: Man sollte sowieso nicht so lange
im Netz bleiben. Unter Linux - keine Probleme.
Sicher ist das UNIX-Rechtesystem ein bisserl in die Jahre gekommen. Wie
ich aber schon sagte, kann man Teile der Architektur leicht verbessern,
sobald man sich mal aus der Lock-In-Plattform Windows befreit hat. Wenn
man in der Welt von OSS ist, ist ein stetiger Technologiefortschritt
fast unvermeidbar.
> Dies
> liegt aber weniger am Design, als an der Implementierung und der
> Qualität der Treiber- und Anwendersoftware, die aus meiner Sicht
> logische Folgen der Tatsache sind, daß Windows eine
> Mediamarkt-Käuferschaft (und Mediamarkt-Hardware) bedient.
Mein Rechner kommt von Vobis. Unter Windows (NT und 98) fror er
unerklärlicherweise regelmäßig vollständig ein (das gleiche Phänomen
habe ich auch bei einigen Uni-Windows-Rechnern beobachtet). Austausch
aller möglichen Hardware inkl. Motherboard hat nichts gebracht. Unter
Linux - keine Probleme. In den letzten drei Monaten hatte ich einen
Crash, und das war ein X-Crash.
Gegen Billig-Hardware ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn es in
den nächsten Jahren zur Wirtschaftskrise kommt, wird der 200-Euro-PC
sowieso für die meisten Neukäufer die einzige Option sein. Dass hier ein
erhöhtes Risiko von Hardware- oder Treiber-bedingten Crashes besteht,
ist klar. Das OS spielt nicht immer eine Rolle.
> An der FU Berlin scheitert der OpenOffice-Einsatz schon daran, daß OO
> die offiziellen FU-Briefkopfvorlagen nicht korrekt darstellen kann.
Hoffentlich habt Ihr brav einen Bugreport eingereicht ..
> Eine hundertprozentige MS Office-Kompatibilität ist auch gar nicht
> machbar, weil Office-Dokumente COM-Objekte sind und man die gesamte
> Komponentenarchitektur von Windows nachbauen müßte, um nicht nur eine
> Untermenge der Office-Formate zu unterstützen.
Das dürfte wohl nur eine Rolle spielen, wenn es um Kombis wie Excel+Word
geht. Das macht der typische Anwender eher selten. Ein dauerhaftes
Austauschmodell MS<->OOo ist sicher nicht empfehlenswert. Für einen
Import von Legacy-Daten reichen die Importfilter aber allemal.
> > Das wird nicht passieren, solange MS die Formate kontrolliert. Und das
> > wird sich erst ändern, wenn MS nicht mehr das OS kontrolliert oder freie
> > Software unter Windoof selbst zum Einsatz kommt.
> Darüber sollte man diskutieren! - Aus meiner Sicht würde es genügen,
> wenn es für öffentliche Institutionen verbindliche Richtlinien gäbe, daß
> aller Datenaustausch nur in offenen, herstellerunabhängigen Formaten und
> Protokollen zu geschehen habe. Gäbe es dafür ein Problembewußtsein, und
> stünde so etwas in einem Pflichtenheft, würde selbst Microsoft sehr
> schnell mit Lösungen nachziehen.
>
> OpenOffice hilft hier aus meiner Sicht wenig, weil es im Gegenteil durch
> das Versprechen der Microsoft-Kompatibilität den pseudo-"Standard" noch
> zementiert. Tatsächlich ist ".doc" auch auf dem GNU/Linux-Desktop zum
> populärsten Textformat geworden, weil damit der Datenaustausch z.B.
> zwischen OpenOffice, KOffice und Abiword am einfachsten möglich ist.
Im OSS-Bereich gibt es prinzipiell ein Standardisierungsproblem, es
dauert oft Jahre, bis unterschiedliche Projekte aus dem gleichen Bereich
sich auf gemeinsame Standards einigen. Das ist aber in erster Linie ein
Problem der Kommunikation und Motivation, die Entwickler haben im
Gegensatz zu MS kein monetäres Interesse daran, eine Standardisierung zu
sabotieren. Deshalb passiert sie nach einiger Zeit fast immer, siehe
z.B. KDE<->GNOME (freedesktop.org).
Bei den Office-Apps wird sich wohl das OpenOffice-XML durchsetzen. Das
klingt aber trivialer als es ist: Jede Office-Anwendung unterstützt
schließlich nur eine Teilmenge der OpenOffice-Funktionen (und vielleicht
auch einige darüber hinaus). Es müssen also Konvertierungen vorgenommen
(z.B. Fußnoten->Endnoten) oder bestimmte Dokumentbestandteile komplett
ignoriert werden. Die KOffice-Entwickler hacken größtenteils zum Spaß an
dem Projekt -- dass sie sich mit solchen Dingen nicht unbedingt
rumschlagen möchten, verstehe ich gut. Abiword nehme ich nicht ernst.
Nichtsdestotrotz bietet OpenOffice bereits jetzt ein brauchbares,
offenes und gut dokumentiertes Format, auf das man ohne Weiteres
standardisieren könnte. Wenn das Problembewusstsein da wäre.
> > Was die Sicherheits-Architektur angeht, darf man eines nicht vergessen:
> > Linux (der Kernel) ist austauschbar. Wenn GNU/Hurd fertig und besser
> > ist, kann man praktisch alle Anwendungen ohne großen Aufwand
> > rüberportieren (teilweise geschieht das schon jetzt).
> Innerhalb der Windows-Welt ist ein analoger Wechsel ja auch mit der
> Umstellung vom DOS-basierten Win95/98/ME zum NT-basierten Win2000/XP
> geschehen.
Das ist aber eine ziemlich alberne Analogie, schließlich hat MS den
Zugriff auf den gesamten Code.
> Wie IBM mit OS/2 und
> seiner Windows-Kompatibilität gezeigt haben - und wie es WINE seit
> einigen Jahren versucht -, kann man das Windows-API auch auf anderen
> Betriebssystemen implementieren.
IBM hat den Windows-Code lizenziert, es gab ja dann auch ein "OS/2 für
Windows", das bestehende Windows-Libraries verwendet hat und damit die
Royalties für Microsoft sparte. WINE funktioniert mehr schlecht als
recht, nur wenn es wie CrossOver auf eine bestimmte Anwendung optimiert
ist, läuft es brauchbar. Schau mal bei appdb.winehq.com - die meisten
Apps laufen ohnehin nur, wenn man WINE noch mit ein paar Win98-DLLs
füttert. Und WINE selbst ist kaum portierbar (x86-gebunden).
> Hier verwechselt Du aus meiner Sicht die Kategorien: Freie Software ist
> portierbar, weil fast alle freien Betriebssysteme Unix-Clones sind,
> also Varianten ein und desselben Betriebssystems. Deshalb ist der
> Portierungsaufwand einer Windows-Applikation auf Linux ungleich höher
> als der einer Linux-Applikation auf FreeBSD oder Hurd.
Sicherlich ist Einhaltung des POSIX-Standards eine feine Sache.
Heutzutage besteht das Problem aber eher in der Portierung der GUIs,
Datenbank- und Grafik-Bibliotheken. Und die sind unter Windows nun mal
proprietär. Eine Linux-App mit GTK oder SDL lässt sich praktisch überall
hin portieren. Eine Windows-App mit MFC oder DirectX lässt sich
bestenfalls per WINE krampfhaft emulieren. Die Windows-DLLs sind nun mal
proprietär -- das resultiert im genannten Lock-In.
Als Ergebnis werden Anwendungen wie Gimp oder Pan oder auch der gesamte
KDE-Desktop (kde-cygwin.sf.net) nach Windows portiert, umgekehrt werden
selbst die beliebtesten Windows-Apps, OSS oder nicht, kaum nach Linux
portiert. Natürlich kann man auch unter Windows von Anfang an mit
offenen Bibliotheken arbeiten -- das tun aber die wenigsten Entwickler,
die Microsoft-Entwicklungstools, Kurse usw. sind natürlich auch nicht
darauf ausgelegt.
Vielleicht steigt aber auch hier das Problembewusstsein. Adobe verwendet
z.B. für seine neue Photoshop-Album-Applikation die Qt-Bibliothek -- ein
Testballon um zu sehen, ob man damit die App leichter nach MacOS und
vielleicht sogar Linux portieren kann. Aber Qt ist nur unter Unices frei
-- die Windows-Version ist non-GPL.
Wenn man offenen Standards und offenen Systemen helfen möchte, sollte
man sich dafür engagieren, dass auf jedem Neurechner eine
Linux-Partition mit 1000 Apps drauf ist. Das geht aber nicht, solange MS
die OEMs fest im Griff hat.
MfG
EMÖ
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