[wos] Einstweilige Verfügung gegen einen link auf www.wmg-seminar.de

Detlef Borchers detlef at topspin.de
Tue Aug 16 22:18:27 CEST 2005


neuemethode at kein.org schrieb:

> P.S. Was studiert man eigentlich als Medienwissenschaftler?
> 
> Wir erklärten Herrn Bittermann, dass man als Medienwissenschaftler
> beispielsweise die Aufgabe habe, auf den Unterschied von Urheberrecht und
> Copyright hinzuweisen und dass man als  Urheberrecht das Recht eines
> Urhebers an seinem Werk bezeichnet, welches unveräußerbar sei und deshalb
> auch nicht bei einem Verlag liegen könne.


Das ist für Medienwissenschaftler (ich bin auch einer in dem Sinne, dass 
ich das Fach studiert habe) eine außerordentlich dürftige und 
hochnotpeinliche Erklärung. Wahrscheinlich hat sich Bittermann veräppelt 
gefühlt und dann erst richtig losgelegt, wer kann es ihm verdenken. 
Natürlich können bei einem Verlag die deutschen Übersetzungsrechte 
liegen und natürlich haben diese nichts mit dem Urheberrecht zu tun.

Mit den Anforderungen an ein Studienseminar hat das gar nichts zu tun, 
es gibt sicherlich genügend Reader zur Medientheorie, in denen Debords 
Text (auszugsweise) enthalten ist. (Gut, das kann ich fernab aller 
Bibliotheken nicht überprüfen)

Davon unabhängig habt ihr euch mit dem Text von Debord eines der 
kompliziertesten Urheberrechtsproblematiken der neueren europäischen 
Geschichte ausgesucht. Debord wurde in Deutschland mehrfach als 
Raubdruck übersetzt, meistens sehr schlecht, bis die Edition Nautlius 
eine halbwegs passable und dann Tiamat eine noch bessere Übersetzung 
rausbrachte, alle mit unterschiedlichen Rechtsansprüchen. Man lese das 
Vorwort in der Nautilus-Ausgabe:

> Durch die der ersten
> Übersetzung eigenen Mängel sah sich der Autor veranlaßt, das
> Erscheinen einer durch ihn autorisierten, dem Original gerecht
> werdenden deutschsprachigen Übersetzung zu betreiben, was hiermit
> geschehen ist. Die geschichtliche Praxis ist es, die dieses Werk den
> Ton finden ließ und die daher auch das letzte Wort über dieses Werk -
> das gänzlich ihr Werk selbst ist - haben wird.


Unterdessen wechselten in Frankreich viermal die Rechte, bis zu 
Gallimard. Ob das in Debords Sinne war (Oberto Ohrt verneint es) tut 
hier nichts zur Sache, juristisch hat Tiamat jedenfalls eine 
wasserdichte Lizenz, und vor Gericht zählen nun einmal die Verträge, 
nicht die Geistesgeschichte. Von der IMHO großartigen freien Lizenz der SI:

"Tous les textes publiés dans "INTERNATIONALE SITUATIONNISTE" peuvent 
être librement reproduits, traduits ou adaptés même sans indication 
d'origine"

(http://www.lnalhooq.net/LNALHOOQ/SiteDebord/Jaaproposde/Heritagedebord.html)

ist jedenfalls *nichts* mehr übriggeblieben. Das wäre, finde ich, im 
Rahmen der nächsten WOS wirklich ein gutes Thema für eine Diskussion im 
Rahmen der Creative Commons, die ja historisch auch verpuffen können wie 
die Lizenz der SI, die GPL, whatever. Das wäre IMHO ein gutes Ende aus 
einer ziemlich verkorksten Aktion.

Ich empfehle dringend allen Interessierten ansonsten die Lektüre von 
Roberto Ohrts Buch "Phantom Avantgarde" und Roberto Ohrt (Hg.): "Das 
große Spiel".

Achja: ich will damit nicht die Aktion des Verlages verteidigen, gegen 
den Link anzugehen. Das ist gaga und in etwa auf der Ebene der Antwort 
über den Gegenstand der Medienwissenschaft. Zug-Gegenzug halt.

--Detlef



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