[rohrpost] Fwd: Call Center Offensive - News

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Thu, 21 Jun 2001 11:03:56 +0200


>* http://www.callcenteroffensive.de *
>Liebe Telefondienstleistende, liebe anderweitig Interessierte,
>
>nachstehend unser Bericht zu den Betriebsratswahlen bei der Hotline=20
>Kommunikationsdienste GmbH in Berlin, die am 5. Juni stattfanden. Er ist=20
>auch zu finden unter <www.callcenteroffensive.de/hotline/index.htm>.
>
>Eure CCO
>
>**********************************
>
>20.06.2001
>Betriebsratswahlen im Hause Hotline
>
>Nach einigen Querelen und mehreren aus unserer Sicht=20
>=BBbetriebsratswahlbedingten=AB K=FCndigungen w=E4hlte die Belegschaft des=
=20
>Berliner Call Centers der Hotline Kommunikationsdienste GmbH ihren=20
>Betriebsrat. =DCber das Verh=E4ltnis von Betriebsratsarbeit,=
 Betriebsfrieden=20
>und Betriebsklima darf nun spekuliert werden.
>
>Nun ist es so weit. Nach einigen Schwierigkeiten und Widerst=E4nden, auf=
 die=20
>der Wunsch nach der Bildung eines Betriebsrats auf Seiten der=20
>Gesch=E4ftsleitung und selbst einiger Teile der Belegschaft gesto=DFen war,=
=20
>waren die ca. 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hotline=20
>Kommunikationsdienste GmbH in Berlin Friedrichshain am 5. Juni dazu=20
>aufgerufen, =FCber die Zusammensetzung ihres zuk=FCnftigen=20
>Mitbestimmungsorgans zu entscheiden. Zur Wahl standen KandidatInnen f=FCr=
=20
>f=FCnf Posten des Gremiums.
>
>Im unmittelbaren Vorfeld der Wahlen waren Unstimmigkeiten =FCber den=20
>Wahlmodus aufgetreten. Zun=E4chst war man davon ausgegangen, dass eine=20
>Pers=F6nlichkeitswahl stattfinde. Als bekannt wurde, dass auch vordem=20
>gek=FCndigte KollegInnen kandidierten, wurden manche Einzelkandidaturen=20
>zur=FCckgezogen und statt dessen gleich drei Listen eingereicht. Nachdem=
 die=20
>restlichen Kandidaturen nunmehr als eine weitere Wahlliste fortbestanden,=
=20
>konnte man schlie=DFlich sein Kreuzchen einer von vier =BBParteien=AB=
 zuteilen.=20
>Bei der Variante der Listenwahl hatten nun die kandierenden =BBEhemaligen=
=AB=20
>allerdings das Nachsehen, weil sie sich am unteren Ende der=20
>Kandidatenliste eingetragen hatten. Abgesehen von dieser vermutlich=20
>unbeabsichtigten Benachteilung h=E4tte eine Pers=F6nlichkeitswahl eine=20
>direktere Form demokratischer Abstimmung dargestellt.
>Bei einer Wahlbeteiligung von 65 % machten schlie=DFlich zwei der vier=20
>Listen das Rennen. Im Betriebsrat wird sich in Zukunft also eine Teilung=20
>der Belegschaft in zwei Meinungslager widerspiegeln =AD nennen wir sie das=
=20
>=BBmodernistische=AB und das =BBbetriebsdemokratische=AB Lager. Die=20
>=BBmodernistische=AB Liste errang mit 46 % der g=FCltigen Stimmen drei=
 Sitze.=20
>Ihre Mitglieder vertraten vor und w=E4hrend des Wahlkampfs Ansichten, die=
=20
>der =BBPhilosophie=AB der Gesch=E4ftsleitung in weiten Teilen folgen. Ihre=
=20
>Wahlkampfrhetorik entsprach den Grundbegriffen der modernen=20
>Unternehmensf=FChrung: Flexibilit=E4t, Leistungsbereitschaft,=20
>Selbstverantwortlichkeit, Interessenkonvergenz aller Betriebsangeh=F6riger=
=20
>usw. Die Vertreter des anderen, eher gewerkschaftlich orientierten Lagers=
=20
>konnten immerhin 32 % der g=FCltigen Stimmen auf ihre Liste vereinen, die=
=20
>ihnen zwei Sitze im Betriebsrat verschaffen. Am schlechtesten schnitt mit=
=20
>nur 9 % der Stimmen diejenige Liste ab, deren Wahlkampf sich in=20
>=FCberzogener Polemik gegen die =BBdemokratische=AB Liste ersch=F6pfte.
>
>Einige Frustration bescherte den =BBBetriebsdemokraten=ABdabei die=20
>hypothetische Rechnung: Wieviele Stimmen h=E4tten wir erhalten, w=E4ren=
 nicht=20
>im Vorfeld 23 MitstreiterInnen und SympathisantInnen entlassen worden.=20
>Antwort: 57 %. Inwieweit ins Gewicht fiel, dass die =BBModernisten=AB nach=
=20
>Auskunft der =BBBetriebsdemokraten=AB im Vergleich einen gr=F6=DFeren Raum=
 f=FCr=20
>ihren Wahlkampf genossen, w=E4hrend die =BBbetriebsdemokratischen=AB=
 Flugbl=E4tter=20
>h=E4ufig flugs verschwanden, sei dahingestellt.
>
>Im =BBbetriebsdemokratischen=AB Lager betrachtet man aufgrund der=
 Erfahrungen=20
>am Arbeitsplatz die =BBneuen=AB Werte der New Economy mit einiger Skepsis.=
 Die=20
>KandidatInnen dieser Liste hatten zuvor die Betriebsratswahlen allererst=20
>initiiert. Ihr Leitgedanke war von Anfang an ein h=F6heres Ma=DF an=
 Demokratie=20
>im Betrieb gewesen. Von transparenten Befugnissen und Informationsrechten=
=20
>verspricht man sich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dies=20
>zuallererst in Form einer Verringerung der unternehmerischen Willk=FCr bei=
=20
>personalbezogenen Entscheidungen und einer Abhilfe f=FCr die von einzelnen=
=20
>MitarbeiterInnen mehrfach beklagte Schlechterbehandlung.
>
>Wie die Zahlen belegen, scheiden sich in dieser Frage der ideologischen=20
>Grundausrichtung selbst die Geister der flexibel telefonierenden=20
>StudentInnen. Denn auch hier entschieden sich sch=E4tzungsweise fast die=20
>H=E4lfte der werdenden AkademikerInnen f=FCr die Glaubensinhalte der neuen=
=20
>Flexibilit=E4t und der direkten Kommunikation =AD oder enthielten sich der=
 Stimme.
>
>F=FCr eine Interpretation der Ergebnisse ist es gegenw=E4rtig noch zu fr=FC=
h.=20
>Bereits jetzt ist allerdings der au=DFergew=F6hnliche Charakter dieser=20
>Betriebsratsgr=FCndung festzuhalten. Es handelt sich hier um ein relativ=20
>spektakul=E4res Ereignis f=FCr diesen Bereich der =D6konomie. Denn noch=
 immer=20
>verf=FCgen fast alle sog. freien Call Center in Berlin =AD also solche, die=
=20
>nicht eine blo=DFe Unterabteilung eines Konzerns sind, sondern ihre Dienste=
=20
>im Auftrag Anderer abwickeln =AD =FCber keine betriebliche Mitbestimmung,=
=20
>viele =AD darunter auch Hotline =AD gew=E4hren nicht einmal elementare=20
>arbeitnehmerrechtliche Absicherungen.
>
>Es w=E4re =FCbereilt, hier vorschnell von Verlierern und Gewinnern zu=20
>sprechen. Denn man kann es auch so sehen: Immerhin verfing sich die=20
>optimistische New=ADEconomy=ADVision, die sich des verschw=F6rerischen=20
>Feindbildes eines gesch=E4ftssch=E4digenden und ignoranten =BBAu=DFen=AB in=
 Gestalt=20
>von Gewerkschaften und sonstigen politischen Amateuren (wie der Call=20
>Center Offensive ...) bediente, keineswegs durchg=E4ngig in den K=F6pfen=20
>unterm Headset. Zweitens kann die betriebsdemokratische Liste auch bereits=
=20
>das blo=DFe Zustandekommen der Wahl als Erfolg f=FCr sich verbuchen.
>
>Abzuwarten bleibt jetzt freilich, wie sich die Arbeit der Betriebsrats in=
=20
>Zukunft gestalten wird. Viele Entscheidungen erfordern einen Konsens der=20
>Betriebsratsmitglieder. Dieser wird aber vermutlich angesichts=20
>abweichender Meinungen oftmals schwer zu haben sein. Dar=FCber hinaus steht=
=20
>ein Teil des Betriebsrats in einem inneren Rollenkonflikt. Die=20
>TeamleiterInnen unter ihnen sind nun einerseits dazu gew=E4hlt, die=20
>Interessen der Besch=E4ftigten zu vertreten. Andererseits sind sie aber als=
=20
>Teamleiterin oder Teamleiter ihrem je wechselnd zusammengesetzten Team=20
>vorgesetzt und m=FCssen Weisungen von oben nach unten umsetzen.
>
>Zur Vorgeschichte siehe insbesondere: =BBK=FCndigungen bei Hotline=AB=20
>(14.03.2001) und Robert Hagen: =BBKnacken in der Leitung.=20
>Betriebsratsgr=FCndung mit Hindernissen in Berliner Call Center=AB, ak =AD=
=20
>analyse & kritik vom 12.04.2001.