[rohrpost] FYI: Sieben Thesen zur Lage

Marco Vogts wb@woerterberg.de
Mon, 17 Sep 2001 02:41:19 +0200


----- Original Message -----
From: "Florian Cramer" <cantsin@zedat.fu-berlin.de>
To: "Marco Vogts" <wb@woerterberg.de>
Cc: <rohrpost@mikrolisten.de>
Sent: Sunday, September 16, 2001 6:16 PM
Subject: Re: [rohrpost] FYI: Sieben Thesen zur Lage



> Sollte es aber Staaten geben,
>die die Attent=E4ter aktiv (d.h. mit direkter logistischer
Unterst=FCtzung)
>oder passiv (indem sie vom Anschlag gewu=DFt und ihn nicht vereitelt
haben
>wie die DDR beim LaBelle-Anschlag 1986) unterst=FCtzt haben, m=FCssen
deren
>Regierungen vor den internationalen Gerichtshof in den Haag.

Wahrscheinlich meinst Du nicht die Regierung der USA, die zu einem
Zeitpunkt, als es ihr, im Kampf gegen das "Reich des Boesen" (man
beachte die Kontinuitaet) strategisch wuenschenswert erschien, die
Formierung dessen, was heute als Taliban die afghanische Bevoelkerung
(die Frauen zumal) terrorisiert und dem behaupteten Drahtzieher Ibn
Laden "Unterschlupf gewaehrt", in pakistanischen Fluechtlingslagern
massiv unterstuetzt hat.
Vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen, dass momentan
ausschliesslich die militaerische Durchsetzungsfaehigkeit der USA
irgendjemanden vor einen internationalen Gerichtshof bringen kann,
scheint mir Deine Argumentation nach wie vor naiv.

Und weil in diesen Tagen gerne mal etwas boeswillig ausgelegt wird:
Wenn ich sage, dass ich als Hauptmerkmal der Politik der US-Regierung
(wie der meisten Regierungen, versteht sich) Skrupellosigkeit zu
erkennen meine, ist das ganz etwas anderes (oder eher das Gegenteil),
als wuerde ich sagen, die Amis haetten es nicht besser verdient. Meine
Phantasie reicht aus, mir vorzustellen, ein Freund oder Verwandter
kaeme durch einen Terroranschlag um Leben oder Gesundheit.

>Sollten
>diese Regierungen entweder die Auslieferung der Attent=E4ter oder,
falls
>angezeigt, ihrer beteiligten Mitglieder verweigern, w=E4r aus meiner
Sicht
>ein milit=E4rischer Angriff auf diese Regierungen legitim.

Da ohnehin immer Pearl Harbor als Vergleich herangezogen wird: Wenn
man an Hiroshima und Nagasaki denkt, kann ich nicht ohne weiteres
unterstellen, dass die USA in ihren Strafaktionen besonders um
Angemessenheit bemueht sein wuerden. Aber auch ohne Sarkasmus: wie
kannst Du annehmen ("militaerischer Angriff auf diese Regierungen"),
dass es, die Absicht dazu einmal vorausgesetzt, gelaenge, die
entsprechende Regierung sauber aus ihrem Palast oder ihrem Bunker
herauszuschaelen, ohne die uebrige Bevoelkerung in Mitleidenschaft zu
ziehen?

>Leider mache ich mir immer weniger Hoffnungen, da=DF die
>Bush-Administration so oder =E4hnlich handelt, wie oben beschrieben.

Woher solltest Du diese Hoffnungen auch nehmen?

>....und dabei =FCber 5000 Leichen geht. Im Gegensatz z.B. zu den
Attentaten
>der RAF ist diese Wahllosigkeit faschistoid, wie ja auch in Spehrs
>Thesen festgestellt wurde. Jemand anderes hatte den Vergleich zum
>Neonazi-Anschlag auf das M=FCnchener Oktoberfest gezogen, der Vergleich
>mit dem ebenfalls rechtsextremistisch motivierten Oklohama-Attentat
>dr=E4ngt sich ebenfalls auf.

Faschistoid oder nicht, jedenfalls nichts, was der Konstruktion einer
Verschw=F6rung des B=F6sen gegen die freie Welt eine Grundlage boete, wie
sie jetzt multimedial aufgeblaeht wird. Und gleich gar nicht fuer
"Vergeltungsschlaege" auf Kosten Zehntausender, die mit den
Anschlaegen nicht mehr zu tun haben als Du oder ich. Auch nicht fuer
Fingerabdruecke im Personalausweis, den Einsatz der Bundeswehr im
Innern und die anderen genialen Ideen zu unserem "Schutz", auf die die
Stumpfkoepfe in Bundestag und Regierung jetzt verfallen. Siehst Du
vermutlich genauso.

Besten Gruss, und hoffentlich erweisen sich die starken Sprueche als
ebensolche.

Marco