[rohrpost] Medientheorie - Das Wikiexperiment

Claus Pias claus.pias at ruhr-uni-bochum.de
Don Nov 25 10:07:06 CET 2004


Am 25.11.2004 um 03:20 schrieb Florian Cramer:

> Die Sender- und
> Empfängerpositionen von Daten z.B., die über bittorrent getauscht
> werden, haben eine technische Komplexität, die eine klassische
> Medienwissenschaft bis vor kurzem schlicht nicht auf der Rechnung haben
> konnte

Entschuldige, Florian, daß ich ungerechterweise einen Satz aus Deinem 
posting aufgreife, weil mir dazu sofort ein Beispiel einfällt.

Martin Warnke, der als Leiter des Studiengangs "Kulturinformatik" und 
des Rechenzentrums der Uni Lüneburg zugleich höchste 
kulturwissenschaftliche wie medienpraktische Kompetenz besitzt, war im 
letzen Sommer als Alcatel/SEL-Fellow an der Humboldt-Uni und hat über 
genau solche Fragen (das Scheitern 'klassischer' Beschreibungsmodelle 
für gegenwärtige Phänomene) eine Reihe von Vorträgen gemacht. Resonanz 
in Form vom Anwesenheit und Gespräch war so gut wie nicht vorhanden: 
Weder von den Diskutanten dieses threads, noch von den einschlägigen 
Instituten der HU hat sich jemand blicken lassen.

Dieses kleine Beispiel finde ich einigermaßen bezeichnend für den 
latenten oder offenen Antiakademismus, der die ganze Debatte begleitet. 
Ich sehe ja ein, daß solcher Antiakademismus eine seit 200 Jahren 
erprobte Chance zur Provokation und eine Option zur Sezession aus dem 
blinden, abseitigen oder etablierten "Betrieb" ins hellsichtige, 
gegenwärtige oder irgendwie frische "Leben" ist. (Boris Groys hat das 
ja mehrfach anhand des Museums durchbuchstabiert.) Aber selbst das ist 
eine intellektuell unterhaltsamere Herausforderung, wenn man sich den 
'Feind' nicht ausschließlich aufbaut, sondern gelegentlich auch mal 
anschaut.

Herzlich, C.