[rohrpost] Ausschreibung: 1. Junggesellenpreis

Johannes Auer auer at kunsttot.de
Mon Apr 4 10:45:45 CEST 2005


hallo  gisela, lotar, florian, silvia, cornelia, sylvia und ihr
anderen,

florian hat mich in seinem letzten posting gleich nach suedamerika
verbannt. es war nur suedeuropa und so kann ich etwas zeitnaher auf die
beitraege antworten. einfachheitshalber werde ich versuchen
das angesprochene in themenbloecken zusammenzufassen.

1. mann / frau / beschraenkte ausschreibung / chauvinismus etc.

ich bin seit 1996 in der netzliteraturszene aktiv und kenne sie
recht gut. eine genderspezifische thematik oder gar problematik gab es
in dieser zeit nie, hat niemand interessiert, wurde nicht thematisiert.
es wurde netzliteratur gemacht und ueber netzliteratur debattiert,
voellig unabhaengig vom geschlecht. und wenn man exemplarisch auf die
preistraegerInnen der netzliteraurpreise der letzten jahre schaut, sieht
man eine recht egalitaere geschlechterdurchmischung.
andererseits sind mir willemer-preis und hoege aufgefallen, teilnahme
auf frauen beschraenkt. es gibt weitere teilnahmebeschraenkte
netzkunstwettbewerbe, wie beispielsweise den u19 der ars, an dem wir
alten aussen vor sind.
ueber diese teilnahmebeschraenkungen hat sich bisher niemand
aufgeregt/beschwert/irritiert gezeigt.
wenn also das genderthema in der netzliteratur eigentlich keines ist und
sonstige teilnahmebeschraenkungen klaglos akzeptiert werden, genau dann
interessiert es mich warum eine teilnahmebeschraenkung auf maenner der
aufreger wird, die der junggesellenpreis quasi als detournement von
hoege und willemer vollzieht.
ich habe da einen verdacht und habe auch, wie lotar, mit dieser
rohrpost-reaktion gerechnet. warum? weil ich glaube, dass hinter der
reaktion, wie sie beispielsweise florian gezeigt hat (und florian, ich
bin dir eigentlich ganz dankbar dafuer ;-)  eine reflexartige political
correctness steht, die moeglicherweise mit mailinglisten von oft
universitaetsnahen netzkulturworkern  zu tun hat (nu mal ehrlich, haette
ich den junggesellenpreis im "traditionellen" kunstmilieu plaziert,
hatte kaum einer auch nur muede gegaehnt).  und  so finde ich es legitim
und interessant, da mal draufzuhalten. auch, weil ich weitere solcher
"pavlov-themen" im (mailing-)diskurs der netzkunst/-literatur vermute.

> 100 jahre bemühungen um gleichberechtigung stehen mehreren 
> jahrtausenden unterdrückung von frauen gegenüber, so mag manchen zwar 
> ärgern, dass es an wenigen orten ausgesprochene bevorzugungen von 
> frauen gibt, doch im historischen rückblick brauchen wir diese noch 
> ziemlich lange, bzw. bräuchten um historische gerechtigkeit zu 
> schaffen, erst einmal ein paar tausend jahre unterdrückung der männer, 
> um dann, wenn alle gleich lang den spaß hatten, unterdrücker und 
> unterdrückte gewesen zu sein, sich partnerschaftlich die hände reichen 
> zu können...

ist das dein ernst?


2. humor

> ich dagegen habe gelacht
das freut mich, lotar. wobei ich dir versichern kann, dass sich kunst
hierzulande i.d.r. noch immer als "ernst"-haft und damit humorfrei
buchstabiert  ;-)

>Nun ist zwar nicht die Absicht, aber die Gefahr solch eines Wettbewerbs,
>in die Nähe solcher Schenkelklopfer zu geraten

nachdem du, florian, so beherzt humorlos reagiert hast, sehe ich diese
gefahr kaum ;-)


3. junggesellenmaschine

> die idee dieser maschine muss nicht an "den mann" gebunden sein
da stehe ich irgendwie auf der leitung, cornelia. womoeglich muss die
junggesellenmaschine nicht an den mann gebunden sein... sie ist es aber
bei duchamp.
eigentlich ist die duchamp'sche junggesellenmaschine, platt
ausgedrueckt, ja eine frustmaschine, jegliche erfuellung ausgeschlossen.
so gesehen kann man sich sicherlich auch von frauen erdachte
frustmaschinen vorstellen....?

worauf ich mich mit dem junggesellenpreis (auch) beziehe, und ich nenne
ihn im text 2mal, ist dieter daniels mit seinem sehr lesenswerten
aufsatz "duchamp:interface:turing. eine hypothetische begegnung von
junggesellenmaschine und universeller maschine" in: vom readymade zum
cyberspace,  hatje cantz 2003.
daniels zieht darin eine interessante verbindung zwischen duchamps
"machine célibataire" und turings universeller maschine.
dort wird nochmal deutlich warum der "gedankliche dreisprung"...
> von "Machine Célibataire" über "Bachelor" ausgerechnet zu "Männern" führt
...den silvia beanstandet hat.


4. teilnahme

>Daß er durch die Geschlechter-Klausel
>Künstlerinnen erst dazu provoziert, an ihm teilzunehmen

auch auf rhizome und betacity wurde so etwas vorgeschlagen. die idee
scheint irgendwie nicht ganz fern zu liegen ;-)

5. jury

> ich plädiere deshalb dafür, dass die jury komplett ausgetauscht wird 
> gegen eine rein weibliche jury.

und damit haetten wir, mit verlaub, die geschlechterkiste zum absoluten
dreh- und angelpunkt des gesamten wettbewerbes gemacht. daher ein klares
nein.
der junggesellenpreis hat fuer mich 2 ebenen. die eine ist die/der
provokation/anstoss (oder wenn ich hier meinen schwaebischen
zungenschlag benutzen und ein einschraenkendes -le anhaengen darf -
also provokatioenle (fuer nichtschwaben: provokatioenchen)). und die 2.
ist der wettbewerb. und da hoffe ich einfach auf gute beitraege.
eine moeglichkeit waere es vielleicht gewesen die jury von anfang an
gemischt zu besetzen. das haette meineserachtens aber dem provokatioenle
die luft sofort ganz und gar herausgelassen. jetzt, in diesem stadium,
besteht aus prinzipiellen gruenden diese moeglichkeit nicht mehr. und
so kommen wir zu dem ueberraschenden paradox, dass wohl nur eine
maennliche jury ansatzweise geschlechtsneutral jurieren kann... ;-)

gruss!
johannes


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