[rohrpost] sub-(Produck)

artist series subjekt at subjektivation.de
Mon Dez 17 18:05:32 CET 2007


Ende 2007, Berlin

Nachdem ich mir nun in den vergangenen Wochen die drastischen 
Diskussionen auf der Nettime-Liste mit Interesse durchgelesen habe, 
kann ich nicht anders und muss meinem inneren Drang freien Lauf lassen, 
einmal die doch sehr gegensätzlichen Prinzipien von Kommerz und 
Underground schriftlich niederzulegen.

Kommerz vs. Underground

Am Anfang einer Bewegung oder Szene steht das gemeinsame Interesse 
einiger weniger Personen, die sich aus Spass an der Freude 
zusammenfinden und mit persönlichem Einsatz etwas aufbauen wollen. Die 
ersten Ereignisse finden statt, alle sind glücklich, zufrieden und noch 
immer mit Spass an der Sache dabei.

Einige Aktive werden im Laufe der Zeit auch beträchtliche finanzielle 
Mittel zur Verfügung gestellt haben, um die Sache voranzutreiben. 
Schliesslich liegt es in der Natur des Menschen, sich auszudrücken und 
zu vermitteln, und dadurch entsteht der Drang, eine anfangs kleine, 
überschaubare Szene immer neuen Personen nahezubringen. Alles andere 
würde auf Dauer keinen Spass bringen. Wenn eine Szene tatsächlich so 
sehr im Underground bleibt, dass keine neuen Individuen dazukommen, 
bleibt letztlich alles stehen, wird langweilig und stagniert.

Was muss also passieren? Kommunikation nach Aussen im weitesten Sinne 
entsteht: guten Freunden wird nahegelegt, doch auch zum nächsten 
Ereignis zu erscheinen und mitzumachen, die ersten Ankündigungen werden 
gedruckt, man bewirbt sich selbst im Internet oder schaltet kostenlose 
Anzeigen, um auf sich aufmerksam zu machen.

Die Anzahl der Beteiligten steigt kontinuierlich, anfangs weniger, 
später jedoch immer schneller. Mit steigender Zahl wird aber auch die 
Menge derjenigen immer grösser, die selbst nicht aktiv in der Szene 
mitmachen können/wollen, sondern diese, respektive ihr "Produck" 
letztlich nur konsumieren.

Hier kommt nun der Zeitpunkt, wo sich die Geister bei den aktiv 
Beteiligten scheiden. Auf der einen Seite gibt es die Idealisten, für 
die wirklich nur die Sache an sich zählt. Sie haben keine finanziellen 
Interessen, wollen sich nicht profilieren und hecheln keinerlei 
Machtansprüchen hinterher. Auf der anderen Seite gibt es Personen, die 
bereits genauso viel für die Sache getan haben, jedoch niemals wirklich 
so idealistisch waren, wie es den Anschein machte. Denjenigen kann 
nicht mal ein Vorwurf gemacht werden; vermutlich liegt es wieder in der 
Natur des Menschen, dass er irgendwann einmal die Früchte seiner Ernte 
geniessen möchte.

Sollte die Zahl aktiv Beteiligter dadurch wieder schrumpfen, 
gleichzeitig das Interesse an der Sache aber bereits relativ gross 
geworden ist, kommt es zu der Situation, wo die wenigen Aktivisten ohne 
weitere Hilfe von Aussen nicht mehr weit kommen, um die Szene weiter 
wachsen zu lassen. Nun muss eine sehr grundsätzliche Entscheidung 
getroffen werden: wird in bisherigem, kleinen Stil weitergemacht oder 
sollen die entstehenden Aufwände in irgendeiner Form finanziell 
abgesichert werden?

Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, entscheidet sich der 
weitere Verlauf der Dinge. Dennoch kann es auch bei der Entscheidung, 
"klein" weiterzumachen, schon zu spät sein. Falls die passive Szene 
bereits derart gross geworden ist, dass man sie künstlich beschneiden 
müsste, um in undergroundiger Art und Weise fortzufahren, ist es nicht 
mehr möglich, die Kommerzialisierung aufzuhalten.

Kommerzialisierung muss in diesem Zusammenhang nicht unbedingt die 
Anreicherung materieller Werte bedeuten. Sie kann sich ebenso 
dahingehend äussern, dass sich im Laufe der Zeit ein dem breiten 
Publikum gefälliges "Subproduck" herausbildet.

Solche Massentauglichkeit wird in den seltensten Fällen von den Massen 
selbst definiert, sondern vielmehr durch gezielte Beeinflussung des 
instinktiven Verhaltens der teilnehmenden Menschen. Bei den meisten 
Ereignissen stehen, von Aussen betrachtet, wenige Personen im 
Vordergrund, die schliesslich auch von den Teilnehmenden als die 
eigentlichen Macher verstanden werden. Automatisch wird ein subjektives 
Heldentum entstehen, das sich auf einen weiten Teil der Teilnehmer 
ausbreiten wird. Dies ermöglicht es den Aktivisten, durch geschicktes 
Präsentieren und Auftreten die Masse zu beinflussen.

Durch diese Fokussierung auf einen meist organisatorisch bestimmten 
Mainstream werden zwar viele anderen "Producks" von der breiten 
Öffentlichkeit abgeschnitten, haben so jedoch weiterhin die Chance, 
lange Zeit in einer eher undergroundigen Szene zu überleben.

Die finanzielle Kommerzialisierung kann in fortgeschrittenen, 
entwickelten Szenen durchaus durch die Initiative von Einzelpersonen 
entstehen. Wird der Kreis Beteiligter im Laufe der Zeit zu gross, so 
wird auch die Wahrscheinlichkeit immer höher, dass machtsüchtige, mit 
dem ursprünglichen Interesse nichts mehr gemein habende Personen 
versuchen werden, sich Macht zu verschaffen.

Das Betreten der sogenannten "Syntack" durch jegliche finanzielle 
Kommerzialisierung setzt plötzlich jedoch völlig andere 
Rahmenbedingungen voraus. Durch die in den meisten Fällen vorhandenen 
finanzmachtgetriebenen Bedingungen und Einschränkungen, leiden 
vorhandene Ideale und Prinzipien der urspünglichen Aktivisten. Einige 
werden die Szene verlassen, andere die Situation nutzen und sich 
kommerziell betätigen.

Das individuelle Verhalten diesbezüglich und die persönliche 
Entscheidung der weiteren Vorgehensweise bleibt jedem selbst 
überlassen. Das marktwirtschaftliche System, in dem wir uns befinden, 
bietet hinreichende Möglichkeiten, die Situation anderer eigennützig 
und rechtskonform auszunutzen. Moralische oder ethische Bedenken 
greifen hier überhaupt nicht, da das System selbst durch meist klar 
definierte Gesetze reglementiert ist. Solange sich jemand an die Regeln 
hält, kann man nichts gegen ihn tun.

Es gibt keine goldene Regel, wie man sich in diesen ganzen Prozessen 
verhalten sollte. Jeder muss für sich entscheiden, in wie weit gewisse 
Verhaltensregeln mit Idealismus und Prinzipien vereint werden können. 
Das dahinterstehende System erscheint oftmals ungerecht, gerade 
gegenüber den Schwachen. Letztlich hat man nur die Wahl zwischen 
Mitlaufen, Dagegentreten und Auswandern.

Entscheidet selbst und versucht, Euch wenigstens ein bischen treu zu 
bleiben.


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