[rohrpost] Den Differenzen nachspueren (auf nach Kassel, selber gucken!) schon getan

faustomaijstral at aol.de faustomaijstral at aol.de
Die Jun 19 12:10:03 CEST 2007


Hallo Liste,

in dieser Rohrpost-Debatte scheint einiges durcheinander geraten zu 
sein. Zum einen (@ Andreas) ist die Kritik der Kritiker extern motiviert 
und publiziert und von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig, zum 
Beispiel vor allem von Noack/Buergels Verheißungsrhetorik, welche 
offenbar doch nicht so aufgeht, wie sich's Thomas Wagner (mit Vorsicht 
allerdings) in der FAZ vorab wünschte.

Im Gegenteil: Ist es nicht beschämend, dass sich die Kritik, zumal in 
der Tagespresse, recht unelegant davor drückt, kuratorische 
Fehlleistungen zu offenbaren und sich auf Botanisches beschränkt? (Hier 
wüsste ich auch gern noch mal, was die Arbeit mit Medienkunst zu tun hat.)

Im positiven Falle einer intensiven, negativen Kritik: Es kann doch 
nicht sein, die Kritiker für ihre Auseinandersetzung mit den 
gigantomanischen Ausstellungen in diesem Jahr zu abzuwatschen, noch gar 
mit der Folge dass man der negativen Kritik im Allgemeinen ihre 
Berechtigung abspricht. Auf in die zahnlose Hofberichterstattung? Es 
gilt doch vielmehr, dass die Kritik nicht scharf genug sein kann. Mein 
Eindruck verstärkt sich immer mehr, dass eigentlich noch viel zu wenig 
Widerstand gegen Werte- und Themenverbrenner aufkommt, dass die Kritik - 
ganz gleich von wem - genau dort verharrt, wo sie sich schon seit langem 
eingerichtet hat: als selbstgefällige Stütze für einen selbstgefälligen 
Markt. Wobei ich ein paar recht amüsante Geschichten gelesen habe, die 
eben nicht in die Richtung tendieren, zB letzte FAS, Richter/Maaks 
Reisebericht).

Auch sollte man dann zwischen den Formen der Kritik unterscheiden. Ich 
habe mich derweil auf die Tagespresse kapriziert. Wenn nun in den Texten 
zur Kunst o. ä. Formaten etwas erscheint, muss es unter anderen 
Leitmomenten produziert werden, und dort ist auch der Platz zur 
deskriptiven Aneignung/Auseinandersetzung und tiefer gehender 
Interpretation. Also, über welche Kritik schreiben wir hier?

Des Weiteren halte ich's mit Armin, wenn er schreibt, dass wir uns doch 
mal an Elisas Einwurf orientieren sollten, schließlich ist es die 
Rohrpost, auf der die Debatte läuft. Leider schaffe ich's erst Ende Juli 
zur documenta. Dann sind wahrscheinlich alle Debatten ohnehin abgeebbt. 
Nur eins werde ich gewiss nicht aus dem Auge verlieren: die Präsenz, 
Präsenation und Qualität der Medienkunst vor Ort. Das liegt schlicht an 
meinem beruflichen Interesse. Und wenn ich dort ein Missverhältnis bzw. 
Unterrepräsentation verspüren sollte, halte ich das für bemerkenswert 
und kritikwürdig.

Noch ein Wort zu Medienkunst als Phänomen im Bereich "Hochkunst": Ich 
denke, dass man es sich zu leicht macht (@ Armin), wenn wir - verkürzt - 
sagen, dass auf Teufel komm raus produziert wird, dass es 
Einflüsse/Interferenzen/Oszillationen gibt; doch sollten Ursache und 
Wirkung nicht verkehrt werden. Auf der Basis meiner Rezeptionserfahrung 
ist Medienkunst nach wie vor ein problematisches Feld, wie im übrigen 
jedes andere künstlerische auch. Aber Flachware (s. Ubermorgen, zero dot 
one etc.) verkauft sich halt leichter, das ist doch der große alte Hut. 
Aber ist es die wirksamste Lösung, den Markt zu hijacken, um vielleicht 
dann dem nachgehen zu können, was einem wirklich am Herzen liegt? So 
banale Äußerungen wie Medienkunst habe es nicht geschafft Pop zu werden, 
braucht man nicht als Referenz, um zu belegen, wie viele 
Merkwürdigkeiten gerade aus der vermeintlichen Theorie kommen. Im Sinne 
einer integrativen Auseinandersetzung mit Kunst geht es nicht um 
Anbiederung an die hehren Sphären, sondern letztlich darum, dass die 
Großriege der Kuratoren einfach Werke verpassen, die ihre Konzepte 
stützen, bereichern, erweitern könnten. Es geht nicht um die 
Amalgamierung aller Kunstäußerungen. Denn was wäre das schon? Es ist die 
Unbildung, Ignoranz oder Blindheit für Erscheinungen, welche dazu führt, 
dass es extrem schwer fällt, sich mit einem extern geprägten Wissen der 
Medienkunst anzunähern. Produzenten haben das Problem der Vermittlung ja 
erst einmal nicht, wenn sie produzieren. Der Druck entsteht doch genau 
dann, wenn ein Vermittlungsinstrument wie eine Ausstellung es nicht 
schafft, das kuratorische Vokabular und Handwerkszeug zu entwickeln, um 
Werke denjeningen näher zu bringen, die sich vielleicht auch dafür 
interessieren und zu verstehen versuchen, was das mit dem zu tun hat, 
das sie vielleicht zu kennen meinen.

Ich schlage daher vor, dass in diesem Kontext nicht von DER Medienkunst 
als "Wesen" gesprochen wird, sondern über den Umgang mit und der 
Vermittlung von ihr und den Konsequenzen, welche daraus generell folgen, 
und da gibt's eine Menge einzufordern und natürlich wohl auch - nehme 
ich die Kritiken ernst - an der documenta zu kritisieren.

Viele Grüße
Matthias

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