[Lizenzen] WOS-Konferenzbeitrag?

Volker Grassmuck vgrass@rz.hu-berlin.de
Sat, 8 Sep 2001 01:41:50 +0200


Hallo allerseits,

ich wollte mich schon lange dazu äußern, aber die Konferenzvorbereitung frißt leider 
fast meine gesamte Zeit. Zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit den 
verschiedenen Content-Lizenzen werde ich auch jetzt nicht kommen, aber Florian 
Cramer (s. Cc:) hat einen Vortrag dazu gehalten und will das Manuskript hier posten. 
Ich hoffe, das wird uns einen Schritt weiterbringen. 

Hier mal einige allgemeine Überlegungen.

Prämissen

Ziel ist es
- den Geist der GPL auf andere Werkarten als Software zu übertragen,
- dabei die spezifischen Transaktions- und Transformationsbedingungen der jeweiligen 
Werkarten zu berücksichtigen 
- dabei nach Möglichkeit dennoch zu einer GENERAL Content License (GCL) zu 
kommen,
die natürlich nicht darauf angelegt sein kann, the only show in town zu sein, sondern 
Wechselwirkungen mit anderen Lizenzen berücksichtigen muß (man denke nur an 
Multimediawerke, wie Games)
- die außerdem noch in den Urheberrechts- und Copyright-Rechtssystemen anwendbar 
ist.

Thesen

1. ) Die GPL regelt nicht die Freiheiten, sondern ihre Einschränkung im Interesse ihrer 
Erhaltung. 

Alle anderen Freiheiten wären auch gegeben, wenn die Autorin ihr Werk zu Freeware 
erklärt, in die public domain oder unter eine BSD-artige Lizenz stellt. Der Kern der 
GPL ist das Schließungsverbot für abgeleitete Werke. 


2. ) Die GPL ist eine "Produzentenlizenz" für Autoren, Modifikatoren und Distributoren. 
Reine Nutzung behandelt sie nicht.

Unter Ziff. 0 heißt es: "Activities other than copying, distribution and modification are 
not covered by this License; they are outside its scope. The act of running the 
Program is not restricted..." Auch die zentrale Funktion, den Quellcode offenzuhalten, 
hat Sinn nur für Leute, die mit dem Code etwas anderes anstellen wollen, als ihn 
ausschließlich zu benutzen. 

Und noch einmal ganz deutlich in Ziff. 5, die sagt, dass der Lizenzvertrag überhaupt 
erst durch Modifikation und Distribution zustande kommt: "You are not required to 
accept this License, since you have not signed it. However, nothing else grants you 
permission to modify or distribute the Program or its derivative works. These actions 
are prohibited by law if you do not accept this License. Therefore, *by modifying or 
distributing the Program* (or any work based on the Program), you indicate your 
acceptance of this License to do so, and all its terms and conditions for copying, 
distributing or modifying the Program or works based on it."

Im Gegensatz dazu lizenzieren die IFL-Text und Dein Entwurf, Thomas, das Werk an 
"jederman". 

Frage: wenn auf Empfängerseite keine Bedingungen für das Zustandekommen einer 
Lizenzvereinbarung geknüpft sind, kann sie dann bei Zuwiderhandlung entzogen 
werden?

Entsprechend könnte eine GCL die Nutzung, die Freiheit, das Werk zu lesen, 
betrachten, anzuhören etc. en passant erwähnen, um dann die Beziehungen zwischen 
Autoren, Modifikatoren und Distributoren zu regeln. 


3. ) Kopieren erfaßt die GPL ebenfalls nicht

"copying, distribution and modification" heißt es da, aber die GPL unterscheidet nicht 
scharf zwischen Kopie und Distribution. In Ziff. 1: "You may copy *and distribute* 
verbatim copies of the Program's source code as you receive it, in any medium, 
provided that you conspicuously and appropriately *publish* on each copy an 
appropriate copyright notice..."

Im übrigen ist die Privatkopie nach meinem Verständnis nach UrhG und auch nach der 
EU-Richtlinie für alle geschützen Werke eh zugestanden, im Copyright aber 
schwächer, daher wohl nicht verkehrt, sie in der GCL zu nennen. 


4.) Distribution u.a. Dienstleistungen sind ein zentraler Punkt der GPL

Die GPL ist ausdrückliche keine not-for-profit-Lizenz. Ziff. 1: "You may charge a fee for 
the physical act of transferring a copy, and you may at your option offer warranty 
protection in exchange for a fee."

Dienstleistungen um die SW herum dürfen kosten, die SW selbst nicht. In Ziff. 2b 
heißt es ausdrücklich: "You must cause any work that you distribute or publish, that 
in whole or in part contains or is derived from the Program or any part thereof, to be 
licensed as a whole *at no charge* to all third parties under the terms of this License."

Das übersetzt sich 1:1 auf die Distribution von digitalem Content. Herstellung und 
Vertrieb von CDs, DVDs, Anbieten in eCommerce-Systemen (?? Hätte wohl wenig 
Chance, wenn derselbe Content parallel ohne "Bearbeitungsgebühr online angeboten 
würde.) dürfen kosten, der Content selbst nicht.

Aber wie sieht es mit Dienstleistungen aus? Gewährleistungsgarantien -- und ich 
denke, das darf man als offene Liste sehen, in die auch Anpassung, Portierung, 
Schulung, Handbücher (nicht aber die Dokumentation der freien SW) gehören -- für 
Content? 

Aufführungen sind eine naheliegende Analogie: Dicherlesungen, Theateraufführungen, 
Konzerte. (-- Ein Straßensänger trägt Noten unter der GCL vor und sammelt Groschen 
dafür ein. Michael Jackson spielt die Noten ein und verdient Millionen damit.-- ) 
Schulung wäre auch noch denkbar: Schriftsteller geben Kurse in creative writing. 
Anpassung: eine Zeitschrift bestellt eine Variation eines GCL-Artikels, angepaßt auf 
den Heftkontext. 

Frage: wenn ich den ersten Artikel unter die GCL gestellt habe, bin ich dann durch sie 
verpflichtet, das abgeleitete Werk jedermann *at no charge* anzbieten? Für die 
Dienstleistung der Anpassung dürfte ich (wie jeder andere) mich vom Verlag bezahlen 
lassen, das neue Werk, was dabei entsteht, müßte ich aber in dem Augenblick, wo es 
entstanden ist (oder gilt die GCL/GPL nicht für unveröffentliche Werke??), also noch 
bevor die Zeitschrift erschienen ist, allen kostenlos zugänglich machen? Wenn die 
Vorschrift erst mit dem Augenblick der Veröffentlichung wirkt, wäre das wahrscheinlich 
für die meisten Verlage immer noch unakzeptabel -- Wollen wir das? RMS pflegt ja zu 
sagen, dass niemand gezwungen ist, vom Coden oder vom Gedichteschreiben zu 
leben. Aber der arme Poet auf dem Dachboden ist auch nicht gerade eine Vision, die 
der GCL viele Freunde machen würde. Oder wollen wir (die Option für) eine 
"Gnadenfristen für die kommerziellen Medien" einbauen, bevor die Freiheit zum Tragen 
kommt? Auch seltsam. Oder soll die GCL ein Instrument sein, mit dem Urheber einen 
Teil ihrer Werke freistellen, während sie andere herkömmlich vermarkten? Damit 
kämen wir in die ganz-oder-gar-nicht-Falle der Verwertungsgesellschaften (Gema, VG 
Bild). Musiker, die ihre Stücke unter der GCL ins Netz stellen, müßte also dennoch 
Gema-Gebühren bezahlen, die sie nach Abzug der Bearbeitungsgebühr nach 2 Jahren 
(?) zurückbekämen. Aber das ist vielleicht erstmal ein Nebenschauplatz. Wichtiger ist, 
dass wir uns klar werden, was wir eigentlich genau wollen.

Und da habe ich durchaus noch grundsätzliche Fragen. Auf der HAL habe ich länger 
mit einem Fotografen gesprochen. Dabei is mir u.a. klar geworden, dass hier eine 
Regelung einer kooperativen Produktion, wie bei SW einfach nicht gegeben ist. Es 
wirken schon andere am Zustandekommen eines Fotos mit, der Beleuchter, der 
Dunkelkammermensch, vielleicht ein Rechercheur, die Agentur, aber in dem 
Augenblick, wo das urheberrechtlich relevante Werk entsteht, drückt halt nur einer auf 
den Knopf. 

Und zu der Idee, Bilder für die Zweitverwertung freizugeben, sagte er: mein Portfolio ist 
meine Altersvorsorge. Er macht keine Nachrichtenfotos, bei denen der Neuheitswert 
zält und es kaum zu Archivverwertungen kommt, sondern eher zeitlose Fotos. Und 
wenn er mal nicht mehr arbeiten kann, wird er aus seinem Lebenswerk immer noch 
Themen bebildern können. Wie sollen man dem sagen, dass er seine Fotos zur freien 
Distribution und Modifikation öffnen soll? Dienstleistungen um Fotos? Diavorträge, 
Ausstellungen, Verkauf von Abzügen (Handwerk), mh. Oder rms's Antwort: soll er 
doch auf dem Bau arbeiten und Fotografie als Hobby betreiben? Mh. 

Frage: Für wen ist die Lizenz gedacht? Für Lomofotografen und Indymedia-
Journalisten? Für Leute, die mit dem Werkemachen ihren Lebensunterhalt verdienen 
und und einige ihrer Werke, oder als Nachlaß (wie Reinhard Döhl) ihr gesamtes 
Lebenserk in den großen Pool des gemeinschaftlichen Wissen geben wollen? 


5.) Die Modifikationsfreiheit ist der Kern der GPL

Der Sinn der Quellcode-Offenheit ist es, Modifikationen zu ermöglichen. Dass die 
Unterscheidung zwischen Quellcode und Binaries bei anderen Werkarten nicht 
hinhaut, ist immer wieder bemerkt worden. Was ist der Quellcode eines Fotos, das 
Negativ? Der eines Musikstücks, die Noten? Der eines Ölbildes, einer Skulptur. 

Ok, wir sprechen hier (ausschließlich?) über digitale Werkformen, also solche, die ihre 
Existenzbedingung und damit auch ihre Modifikationsbedingung in SW haben. Analog 
könnte und sollte man hier also offene Dateiformate (zu definieren) vorschreiben und 
vielleicht explizit die Einkapselung des Werks in ein Rechtkontrollsystem untersagen

Die Bedingungen für eine Veränderungsfreiheit -- für die Herstellung einer Symmetrie 
von Lesen und Schreiben -- sind wahrscheinlich nicht so schwer zu bestimmen. 

Ein viel größeres Problem sehe ich in der Bestimmung von Werkgattungen, bei denen 
eine Modifikation durch Dritte Sinn macht. Die GPL z.B. steht ja selbst nicht unter der 
GPL (sondern unter einer eigenen Minilizenz: "Copyright (C) 1989, 1991 Free Software 
Foundation, Inc. ... Everyone is permitted to copy and distribute verbatim copies of this 
license document, but changing it is not allowed.") Und rms würde es sich auch 
verbitten, wenn ich einen seiner Aufsätze umschreiben und als 1.1 Version mit unter 
meinem Namen verbreite. Und darin ist er sich eins mit vielen anderen Künstlern. 

Sinn macht sie bei einer kooperativen Werkerstellung und Weiterentwicklung. Vor 
allem Werke, die durch iterative kleine Schritte verbessert, d.h. fehlerfreier und 
funktional leistungsfähiger werden können. Freie SW, Enzyklopädien, FAQs. 

Kooperative Werkerstellung
Wo neben den genannten "funktionalen" Werken gibt es Beispiele dafür? Loten die 
Experimente im kollektiven Schreiben nicht nur die Grenze des Autorsubjekts aus, 
ohne sie aufzuheben? Bei Musik dagegen ist es viel offensichtlicher, dass sie von 
vielen gemacht wird (Chor, Bigband, Samba-Schulen). 

Kooperatives De-Bugging
Prima für funktionale Werke, aber kann man ein Foto, einen Roman, eine Aufnahme 
von Miles Davis verbessern, fehlerfreier und funktional leistungsfähiger machen? 

Nutzung von Werkteilen: Samplig, Collagen
seit dem Fotokopierer und ganz besonders in der digitalen Umgebung verbreitete 
Praxis mit reichen kreativen Möglichkeiten. Wahrscheinlich einer der wichtigsten 
Punkte, die die GCL zu regeln hat. Wobei es hier nicht um Werke einer eng 
gekoppelten kollektiven Intelligenz geht, sondern ehe um ein individuelles Sich-
aufeinander-Beziehen, also allenfalls ein memetisches Kollektiv. 

Ein Problem hier wird die Kennzeichnungspflicht von Auslassungen und Einfügungen 
sein. Im Quellcode eines Programms per Kommentarzeile kein Problem, aber bei 
einem ge-photoshoppten Bild? Die IFL-Text schreibt neben den gewohnten 
Auslassungzeichen Markierungen durch Schriftart, -Farbe oder -Schnitt vor. Bei 
mehrfachen Änderungen gibt das ein heilloses Chaos, ein Schriftbild, das niemand 
mehr lesen will. Vielleicht kann man solche Informationen in XML-Tags versenken, 
aber das setzt voraus, dass es für jede Werkform Standards gäbe, die eine Metainfo-
Schicht hätten, die man ein- und ausblenden kann. 

Aggregation 
Die Aufnahme in eine Sammlung, die kein abgeleitetes Werk ist, wird ebenfalls in allen 
bisherigen Content-Lizenzen angesprochen. Hier wäre zu überlegen, ob man solche 
Sammlungen, gestützt auf den Datenbankschutz ebenfalls unter eine freie Lizenz 
stellen sollte. Damit wäre Google vielleicht gar nicht erst auf die Idee gekommen, 
Dejanews zu verändern. 

Über die verschiedenen Werkgattungen, die sich für Freiheit eignen, würde ich gern 
weitersprechen. Vor allem denke ich, dass wir zusammen mit Leuten aus der Musik, 
der Fotografie, dem Film, dem Journalimus, der Literatur usw. überlegen müssen, wie 
die Alltagspraktiken dort aussehen und wo die Regelungen der Lizenz Sinn machen. 

Thomas, Dein Vorschlag geht ja schon in die Richtung, wenn Du "perform the Work 
publically, record the Work, play the Work on radio" einbeziehst. Vielleicht wäre es 
nicht schlecht, wenn Du uns erzählst, wie Ihr Musik macht und wie Ihr Euch die 
Nutzungen der Musik vorstellt, für die Ihr eine Lizenz sucht, erstmal noch nicht in 
lizenzvertraglichen, sondern in alltagsverständlicheren Worten. 

Das gleiche könnte übrigens auf den WOS auch Andreas Lange vom Computerspiele-
Museum in Berlin machen, der Gamer-Hersteller dazu bringen will, ihre Werke in ein 
öffentliches Archiv zu stellen und ihnen dazu eine Lizenz anbieten muß. Auch eine 
konkrete Fragestellung, an der wir unser Denken über Lizenzen schärfen könnten. 

so viel erstmal für heute abend.

beste Grüße
Volker



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