[rohrpost] Tiamat Verlag verbietet link auf einem Internetseminar
Florian Cramer
cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mon Aug 15 02:47:57 CEST 2005
Am Sonntag, 14. August 2005 um 23:58:36 Uhr (+0200) schrieb Till
Nikolaus von Heiseler:
> zugänglich zu machen. In einen Fall haben wir einen Link auf eine
> Seite eines Dritten gesetzt, auf dem der Text "Die Gesellschaft des
> Spektakels" von Guy Debord herunterzuladen war. Vom Tiamat Verlag
> (Grimmstr. 26, 10967 Berlin) vertreten durch Klaus Bittermann, der
> nach eigenen Angaben Rechteinhaber des betreffenden Textes ist,
Unglaublich. Ich habe noch einmal nachgesehen, die beiden deutschen
Ausgaben der "Gesellschaft des Spektakels", die in meinem Bücherregal
stehen, sind nicht vom Tiamat-Verlag. Die erste stammt von einer
"Projektgruppe Gegengesellschaft" 1974, die andere vom Nautilus-Verlag
1978, mit dem Vermerk, daß es sich hier erstmals um eine autorisierte
Übersetzung handele. In beiden Büchern fehlt der Anticopyright-Vermerk,
den alle früheren Publikationen der Situationistischen Internationale im
Impressum trugen. Daher fürchte ich, daß das Buch von Debord bewußt und
gezielt als klassisch auktoriale, urheberrechtlich geschützte
Publikation angelegt wurde. Fälle wie Deiner wären dann eine Konsequenz
dieser Entscheidung, die schon bei der Erstpublikation faktisch in Kauf
genommen wurden.
Hinzu kommt, daß ich mich dunkel daran zu erinnern glaube, daß der
Tiamat-Verlag klagefreudig ist und schon einmal durchgesetzt hat, daß er
die deutschen Exklusivrechte an Debords "Gesellschaft des Spektakels"
hält, und deshalb die Nautilus-Ausgabe vom Markt nehmen ließ. Hier
<http://www.edition-tiamat.de/Sonstiges/Verlagsgeschichte2a.pdf>
zumindest schreibt der Verleger:
Parallel kam Guy Debords »Die Gesellschaft des Spektakels«
heraus, der bis heute beste Backlisttitel des Verlags. Das Buch
hatte bereits zwei Übersetzungen hinter sich, eine schlechte und
eine mit vielen Druckfehlern, die bei Nautilus erschienen war.
Guy Debord, der sich 1994 umgebracht hatte, war darüber nicht
sehr glücklich. Der Übersetzer Jean-Jacques Raspaud, dessen
Lebenswerk darin bestand, eine korrekte Übersetzung dieses
Buches herauszubringen, hatte sich an mich gewandt.
> bekamen wir nun eine email, dass wir den Text von der Homepage
> herunterzunehmen hätten. Da wir ihn aber gar nicht hochgeladen hatten,
> konnten wir ihn auch nicht herunter nehmen. Stattdessen machten wir
> ihn zunächst einmal darauf aufmerksam, dass es sich hier um ein
> akademisches Seminar handle, in dem es ja auch üblich sei, Texte zu
> kopieren.
"I am not a lawyer (IANAL)" - doch ich fürchte, bei der derzeitigen
Rechtspraxis hast Du vor Gericht keine Chance. Dein Fall ähnelt ja sehr
stark dem ebenfalls aktuellen Fall der diversen Nachrichten-Websites,
die auf die russische, nach hiesigem Recht illegale Musik-Downloadseite
allofmp3.com verlinkt haben. Sie alle - einschließlich Heise Online und
www.irights.info - erhielten postwendend Abmahnbriefe einer von der
Musikindustrie beauftragten Anwaltskanzlei. Heise unterlag vor Gericht
mit seinem Einspruch gegen diese Praxis. Das OLG München entschied, daß
Heises Berichterstattung über allofmp3.com zwar legal sei, nicht aber
Heises Link auf die Website, siehe
<http://www.heise.de/newsticker/meldung/61528>. Dieses Argument paßt,
ungeachtet aller Hirnrissigkeit, 1:1 auf Euren Link auf die
"Gesellschaft des Spektakels". Leider ist dies die herrschende
Rechtsauffassung in Deutschland.
> Klaus Bittermann: es ist mir ziemlich egal, ob es sich bei Ihrer Seite
> um ein akademisches Seminar handelt. Die Seite steht im Internet und
> ist deshalb allen und nicht nur Studenten zugänglich. Und "in diesem
> Kontext" "Studenten Texte zugänglich zu machen" ist nicht "durchaus
> üblich", sondern illegal, d.h. juristisch handelt es sich um eine
> Urheberrechtsverletzung. Und damit einem solche dummen Fehler nicht
> unterlaufen, erkundigt man sich vorher, wo die Rechte liegen. Wenn man
> selber nicht in der Lage ist zu bibliographieren, kann man auch in
> eine Buchhandlung gehen und sich nach diesem Titel erkundigen. (...)
Er hat offenbar nicht verstanden, daß Ihr auf den Text verlinkt habt,
oder versteht schlicht technisch nicht, was ein Link ist und was auf
Eurer und einen anderen Website steht. Leider kommt so etwas häufiger
vor als man denken würde, insbesondere bei einer Generation von
Verlegern, Autoren und Journalisten, die eine Aversion gegen das
Internet hegen und es als Entwertung ihrer Arbeit und Bedrohung ihrer
Existenz empfinden.
> Wir erklärten Herrn Bittermann, dass man als Medienwissenschaftler
> beispielsweise die Aufgabe habe, auf den Unterschied von Urheberrecht
> und Copyright hinzuweisen und dass man als Urheberrecht das Recht
> eines Urhebers an seinem Werk bezeichnet, welches unveräußerbar sei
> und deshalb auch nicht bei einem Verlag liegen könne.
Stimmt zwar, aber der Urheber kann den Verlag exklusiv mit der Wahrnehmung
seiner Rechte betrauen und tut dies in der Regel auch. Denn dies ist die
gängige Konstruktion von Autorenverträgen aller Verlage. Sie führt dazu,
daß der Unterschied von angloamerikanischen Copyright und
kontinentaleuropäischem Urheberrecht in der Theorie zwar existiert, aber
in der Praxis weitgehend irrelevant ist. Zudem hat auch der/die
Übersetzer/in ein Urheberrecht an der Übersetzung. Selbst wenn die Erben
bzw. Rechtsnachfolger von Debord Dir erlauben würden, den Buchtext frei
zu nutzen, würde dies nicht automatisch auch für die deutsche Fassung
des Texts gelten.
Ich hätte - aus taktischer Klugheit - den o.g. juristischen Disput nicht
angefangen. Der Verlag sitzt hier eindeutig am längeren Hebel und hat
die Rechtssprechung auf seiner Seite. Wenn Ihr die Auseinandersetzung so
führt, könnt Ihr sie nur verlieren.
> Daraufhin bekamen wir eine einstweilige Verfügung, in der uns eine
> Strafe von 250.000 (Zweihundertfünfzigtausend) Euro Strafe oder eine
> Haftstrafe bis zu sechs Monaten angedroht wurde: „Der Antraggegnerin
> wird im Wege der einstweiligen Verfügung (...) untersagt, auf der
> Internetseite www.wmg-seminar.de einen Link zu dem Buch des Autors Guy
> Debord mit dem Titel „Die Gesellschaft des Spektakels“ zu
> unterhalten und/oder zu setzen (...).
>
> Das Kosten des Verfahrens hätten wir zu tragen. Streitwert: 50.000
> Euro.
Bitte mißverstehe mich nicht als Zyniker, aber als künstlerische Aktion
ist dies natürlich großartig. Man muß es sich auf der Zunge zergehen
lassen, daß die beiden Texte, deretwegen unabhängige Künstler und
Netzaktivisten mit ruinösen Urheberrechtsverfahren, Anwaltsrechnungen
und Gefängnisandrohungen überzogen wurden, Adornos "Dialektik der
Aufklärung" und Debords "Gesellschaft des Spektakels" sind.
> Ich möchte diesen Vorfall zum Anlass nehmen, noch einmal auf die Frage
> des Copyrights zurückzukommen und einerseits die Zweckmäßigkeiten und
> andererseits die Rechtslage zu diskutieren.
Das würde nicht tun, ich halte dies für unklug. Deine Rechtsauffassung
ist ideell, nicht Mainstream. Sie eignet sich für eine Theoriedebatte
und philosophisches Seminar (was ich nicht ironisch meine), nicht aber
für eine reale juristische Auseinandersetzung.
> Was ist eigentlich aus eurer (Inke A., Florian C. )
> Totenkopf-Publikation geworden? Habt ihr auch geklagt oder findet ihr
> die Veröffentlichung nun doch eher schmeichelhaft? Oder habt ihr
> einfach gar nichts gemacht?
Ich kann nur für mich sprechen: Ich habe letztlich gar nichts gemacht,
weil ich erstens in irgendeinem seelischen Abgrund immer noch der
Teenager-Anarchist bin, der gegen Polizei und Gerichte seine Abneigung
hegt. Als Medium liegt mir ein offener Protestbrief mehr als eine Klage.
Zweitens wollte ich den Lentos-Kuratoren nicht auch noch den
sadistischen Triumph gönnen, daß ich in meinem Leben jemanden
ausgerechnet wegen einer Urheberrechtsverletzung verklage (was meine
einzige juristische Handhabe gewesen wäre). Der letzte Grund war, daß
die Lentos-Direktorin Stella Rollig in Linz wegen ihrer nicht
ausreichend populistischen Museumspolitik vor Ort unter Beschuß ist und
- nachdem es schon eine lokale Zeitungsmeldung gab und, wie man mir
sagte, die "Kronen-Zeitung" an der Sache dran war - ich nicht den
falschen Leuten Munition liefern wollte. Schmeichelhaft finde ich die
Publikation in diesem dümmlichen Buch aber nicht, im Gegenteil, auf die
Nachbarschaft mit "Prada Meinhof" & Co. hätte ich lieber verzichtet.
> Ich habe gehört, dass für die Texte zu einem früheren
> Zeitpunkt schon einmal Gelder geflossen sind, oder sind das Gerüchte?
Wiederum kann ich nur für mich sprechen: Mein Text war das nachträglich
ausgearbeitete Manuskript eines Vortrags, den ich im Rahmen einer von
Johannes Auer gestalteten Vortragsreihe 2002 in der Stadtbibliothek
Stuttgart gehalten habe. Für diesen Vortrag bin ich bezahlt worden, sehr
anständig übrigens. - Wie ich hier schon einmal geschrieben hatte, hätte
Lentos den Text kostenlos haben können; meinetwegen auch anonymisiert,
wenn man im Vorfeld mit uns gesprochen und ich das Projekt gut
gefunden hätte. Da letzteres aber nicht der Fall gewesen wäre, hätte ich
mich zu dem Projekt nicht anders verhalten als zu einer konventionellen,
akademischen Publikation und auf einer Quellennennung bestanden.
Ich fürchte nur, daß Dir alle meine Ausführungen nichts nutzen, weil
Dein Fall aus juristischer Sicht ja genau umgekehrt ist, denn Du
hast keinen Klagegrund, sondern lieferst jemand anderen einen.
> Kann man für die Anbringung eines Links tatsächlich haftbar gemacht
> werden, wenn der Link das Copyright verletzt?
Leider ja, s.o..
> In Hoffnung auf eine fruchtbare Diskussion,
Ich empfehle, Euch wegen des Fall mit der Initiative Freedom for Links
<http://www.freedomforlinks.de> in Verbindung zu setzen, mit Alvar
Freude von odem.org (falls er nicht schon hier mitliest), der eine ganz
ähnliche Auseinandersetzung hinter sich hat, mit dem Chaos Computer
Club und eventuell mit dem FFII <http://www.ffii.de>. Versucht, die
Geschichte z.B. in den Ticker von Heise Online zu bekommen. Medien wie
Telepolis, taz und jungle world sind sicherlich auch dankbare Abnehmer
der Geschichte. Ich würde die Geschichte unbedingt auf die Tatsache
reduzieren, daß Euch wegen Verlinkung auf eine Kopie der "Gesellschaft
des Spektakels" eine Klage und Schadenersatz angedroht wird. Laßt alle
rechtsphilosophischen Spekulationen über Urheberrecht und Copyright
'raus bzw. betreibt sie lieber hier in der rohrpost, aber nicht in den
Massenmedien. Sonst hält man Euch für Spinner. Auch das Argument der
akademischen Nutzung bringt nichts, bzw. taugt nur als Detail. Natürlich
sollten das weltweit auch alle situationistischen Websites,
nothingness.org, notbored.org etc. mitbekommen und entsprechend
dokumentieren.
Letztlich könnte Ihr die Auseinandersetzung nur über den Meinungsdruck
der Öffentlichkeit gewinnen. Wenn es schlechte Presse und ätzende
Glossen über Situationismus und dessen Rekuperation per Anwaltskanzlei
hagelt, Buchhandlungen die Ausgabe aus dem Regel nehmen und Herrn
Bittermann als Remittenden zurückschicken, ist er seinen "besten
Backlisttitel des Verlags" los und wird sich, wenn er vernünftig ist,
die Sache noch einmal überlegen.
-F
--
http://cramer.netzliteratur.net