[rohrpost] Reminder: 1st Bachelors? Prize for Net-Literature // deadline 30. September 05

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Die Aug 30 18:55:25 CEST 2005


Am Dienstag, 30. August 2005 um 13:34:07 Uhr (+0200) schrieb Johannes Auer:

> genau!! und deshalb gilt ja der alphanumerische code einigen als das
> eigentliche, das "wahre", waehrend ihnen das graphische interface oder
> das bildschirmereignis oder die lautsprecherausgabe etc. nur als
> ereignis 2ter wahl erscheint.

Der alphanumerische Code ist aber auch ein Bildschirmereignis - oder
eine Lautsprecherausgabe, wenn man z.B. als Sehbehinderter Computer per
Sprachsynthesizer und Braille-Zeile benutzt, siehe Vuc Cosics "ASCII
History of Art for the Blind".  

> >Jedes "Nutzerinterface" ist ein
> >Code. Ein GUI oder ein Web-Interface ist ebenso eine symbolische Sprache
> 
> in dieser allgemeinsten definition hast du wohl recht. aber ist das
> hilfreich?

Ich finde es hilfreicher, statt von "Code" versus "Interface" (was
fast immer auf Mißverständnissen des Begriffs "Interface" beruht) von
restringierten versus elaborierten Codes/Steuerungen zu reden. Letztlich
ist jedes Computerprogramm ein gezielt gewählter Ausschnitt der
Resourcen des Computers, d.h. eine taktische Reduktion seiner möglichen
Betriebszustände mit dem Zweck, die Universalmaschine als eine
partikuläre Maschine (z.B.: als Schreibmaschine) nutzbar zu machen. So
gesehen, stellt jedes Programm über seinen Code ein Interface her, das
selbst wiederum einen restringierten Code zur Nutzung des Computers
implementiert. 

Deine Adaption von Theo Lutz' stochastischem Textgenerator benutzt PHP,
eine Programmiersprache, die die Resourcen eines Internet-Servers in
einer Form (bzw. einem Code) zur Verfügung stellt, der für die
Entwicklung von Websites besonders praktisch ist. Dein Generator
wiederum exportiert eine kleinere, taktisch zugeschnittene Untermenge
dieser Resourcen an die Nutzer der Website. Die können den Generator
faktisch als einen einfachen Spezial-Computer mit einem einfachen
symbolischen Bediencode nutzen, den Du entworfen hast. "Code" und
"Interface" bezeichnen in ihrem klassischen Verständnis lediglich nach-
bzw. vorgelagerte Ebenen von Steuercodes. 

Zumindest in der Theorie könnte man den nachgelagerten Steuerungscode
piktographisch - als Nassi-Shneiderman-Struktogramm etwa - programmieren
und den vorgelagerten Nutzercode textuell, z.B. als
Kommandozeilen-Programm.  Es stimmt natürlich, daß es in der Praxis fast
immer umgekehrt ist.  Auf Grund der jeweiligen Vor- und Nachteile
beider Notationsweisen läßt sich nachgelagerter Steuerungscode besser
schriftsprachlich formulieren [weil dies effizienter und dank stärker
abstrahierenderer Syntax "expressiver" ist, wie Informatiker sagen] und
vorgelagerter Steuerungscode zumindest dann, wenn er mit flacher
Lernkurve schnel nutzbar sein soll, besser piktographisch. 

Durch den Quasi-Standard, den GUIs in der Windows- und Macintosh-Welt
gesetzt haben, gibt es jedoch eine falsche Gleichsetzung von "Interface"
mit "GUI" und, daran anschließend, eine falsche Opposition von
(textuellem) "Code" vs. (graphischem) "Interface". Wer mit unixoiden
Betriebssystemen gespielt hat, weiß, was alles ein Nutzerinterface eines
Programms sein kann - bei einem Dämonen (wie cron oder Apache) z.B. sind
es nur dessen Konfigurationsdatei und die verschiedenen Signale des
"kill"-Befehls.

> ich kenne beispielsweise kein codework, das die symbolische
> sprache eines GUI oder webintefaces im obigen sinn einsetzt.

Mein Gegenspiel wären jodis frühe Netzkunst-Arbeiten, z.B.
http://404.jodi.org, http://wwwwwwwww.jodi.org/,
http://wwwwwwwww.jodi.org/betalab/,
http://wwwwwwwww.jodi.org/100cc/zxcvb/index.html

> ich zitiere stellvertretend inke arns:
> "Das sicherlich »radikalste Verständnis von Computercode als
> künstlerischem Material« zeigt sich dabei in den sogenannten »Codeworks«
>  und ihrer künstlerisch(-literarischen) Auseinandersetzung mit
> Programmiercode. Diese Codeworks benutzen formalen
> ASCII-Instruktionscode beziehungsweise dessen Ästhetik, ohne jedoch auf
> die von ihm geschaffenen Oberflächen und multimedialen graphischen
> Benutzerinterfaces zu rekurrieren."
> http://www.medienkunstnetz.de/themen/generative_tools/software_art/print/

Ich würde Inke in diesem Punkt widersprechen, etwa mit den
jodi-Beispielen. Auch bei rein ASCII-textuellen Codeworks wie denen von
mez werden ständig symbolische Schnipsel dessen, was konventionell
"Nutzeroberfläche" heißt - also z.B.  Warn- und Fehlermeldungen -
verarbeitet.

> also scheint in der ausfuehrenden kuenstlerischen praxis wohl doch
> zwischen (programm-)code und der symbolischen sprache eines GUI
> unterschieden zu werden...?

Meine Beobachtung ist eher, daß die Künstler einen bewußt unreinen Code
produzieren, der alle denkbaren Sprachen und Sprachebenen - Quellcode,
Ausführung, Syntax, Semantik, Markup, Slang, Smilies, ASCII Art -
vermischt.

Gruß,

-F

-- 
http://cramer.netzliteratur.net