[rohrpost] Heidenreich - Der Kunstexperte
Florian Cramer
cantsin at zedat.fu-berlin.de
Sam Feb 12 21:46:24 CET 2005
Am Donnerstag, 10. Februar 2005 um 19:04:30 Uhr (+0100) schrieb mercedes bunz:
> super. wollen wir das diskutieren? will hier
> jemand die autonomie der kunst retten?
Ich. Aber nicht die Pseudo-Autonomie von Museumskunst, die
Stefan völlig treffend analysiert, d.h. auseinandernimmt. In seinen
Thesen klingt übrigens eine interessante Nähe zu den marxistischen
Positionen von Gustav Metzger, den Situationisten, Roger Taylor und John
Zerzan an.
Teilweise widersprechen würde ich diesem Satz:
> >das Museum und dessen Ordnung. Zwei Strategien dominieren den
> >Entwurf von Kunst: die Zweitverwertung anderswo entwickelter ästhetischer
> >und technischer Standards
Dies gilt erst seit ungefähr den 1980er Jahren, seit denen es (bildende)
Kunst zunehmend aufgegeben hat, eigene Ästhetiken bzw. Bildsprachen zu
entwickeln. Besonders eklatant sichtbar war dies auf den letzten beiden
Documentae. Bis in die 1970er Jahre verhielt es sich umgekehrt und
wurden künstlerische Ästhetiken zweitverwertet, z.B. Konzeptkunst in der
Plakatwerbung (nachzulesen z.B. beim früheren deutschen Werbepapst
Michael Schirner) und Experimentalfilm und Videokunst auf MTV.
> >Von hier aus lassen sich einige Thesen zu Diskussion stellen:
> >Solange Museen die Werte des Marktes stützen, verbleibt Kunst auf dem
> >feudalen Produktionsstandard, den sie im 18. Jahrhundert übernommen hat.
Der Produktionsstandard mag feudal sein, er paßt jedoch ausgezeichnet in
den Kapitalismus. Von allen Künsten ist die bildende Kunst die letzte,
die noch Unikat-Objekte produziert und deshalb als spekulative,
potentiell hochprofitable Geldanlage taugt.
> >Alternativen wären das Museum als Ereignisraum oder als 'wertloser'
> >Speicher
> >von Kopien.
Ich frage mich, was derjenige, der den Text ursprünglich auf diese
Liste geschickt hat, an ihm so sehr zum Lachen findet, denn der Satz
bringt die Wirklichkeit auf den Punkt. Von allen Institutionen, die
systematisch künstliche Informationsverknappung betreiben, gehören
Kunstmuseen heute zu den reaktionärsten. Nicht weil sie bewahrende
Institutionen sind, sondern weil sie ihren öffentlichen Auftrag mit den
Füßen treten. Über den juristischen Trick einer Kombination von
Hausrecht und Urheberrecht sichern sie sich ein Monopol an
Reproduktionsrechten von Werken, deren urheberrechtlicher Schutz längst
abgelaufen ist - und versilbern diese Exklusivrechte oft an Firmen wie
die von Bill Gates betriebene kommerzielle Bildagentur Corbis.
Jedes anständige Museum beschäftigt Restauratoren, die praktisch
perfekte Reproduktionen von Kunstwerken anfertigen können. Als die
Berliner Gemäldegalerie vor Jahrzehnten eine Interpol-Warnung erhielt,
daß ein Raub des "Manns mit dem goldenen Helm" bevorstünde, wurde dort
heimlich eine Replik des Gemäldes angefertigt und eine zeitlang
an die Stelle des Originals gehängt, ohne daß nur einem Besucher der
Unterschied aufgefallen wäre. Liefen nicht ökonomische Interessen
zuwider, könnte jedes Museum der Welt nach Belieben jedes historische
Kunstwerk mit geringem Geldaufwand replizieren und ausstellen.
> >Kunst ist nicht mehr in der Lage, gesellschaftliche oder politische Fragen
> >aufzufangen, da die internen Differenzen des Feldes keinen öffentlichen
> >Widerhall finden.
Das gilt zumindest für jene Art von pseudokritischer
Ausstellungskunst, wie sie z.B. in "October" und "Texte zur Kunst"
verhandelt wird. Und nichts belegt Stefans o.g. These besser als die
gegenwärtige rot-grün subventionierte Gespensterdebatte über eine
"Repolitisierung der Kunst".
> >Seit das Museum im Einklang mit dem Markt im 19. Jahrhundert
> >reproduzierbare
> >technische Medien ausgeschlossen hat, ist zwischen Kulturindustrie und
> >Kunst
> >eine Kluft entstanden, die Kunst nurmehr um den Preis der Selbstaufgabe
> >überbrücken kann.
...wie es auf der letzten Documenta mit ihrer naiven
Dokumentarvideoästhetik im Stil eines globalisierungskritischen
Künstler-CNN so schön zu sehen war.
Allerdings wäre ich vorsichtiger mit quasi-hegelianischen Schlagwörtern
wie jenem von der Selbstaufgabe der Kunst. Man muß hier differenzieren
zwischen dem Diskurs und den Institutionen der Kunst einerseits, sowie
der Kunst, die außerhalb des institutionellen Betriebs praktiziert und
als solche wahrgenommen wird. Daß institutionelle Kunst in der Krise
steckt, ist evident, aber nicht neu. Vor hundert Jahren befand sich
das, was gemeinhin als "die Kunst" verstanden wurde, in einer
vergleichbaren Sackgasse totgelaufener Akademismen. Die Kunst, die als
moderne Kunst schlechthin gilt, fand damals außerhalb des offiziellen
Kunstbetriebs und seines Wahrnehmungshorizonts statt. Auch die
Herausforderung durch Technik und Kulturindustrie existierte bereits
in Gestalt des Kinos, der Fotographie, der Zeitungen und des Radios.
Für die Kunstavantgarden war es kein Widerspruch, auf sie einerseits zu
reagieren und sie andererseits zu beeinflussen.
> >Die Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts könnte sich das marginale Feld
> >der Kunst ohne weitere Verluste sparen. Neue ästhetische Formen entstehen
> >in
> >den Nischen der kommerziellen Kultur (Club-Musik, Film, Internet...).
Das sind zugegebenermaßen schlechte Beispiele in einer ansonsten
treffenden Analyse. Was wäre elektronische Club-Musik ohne Stockhausen,
Hiller, Boulez, Pousseur, allesamt Repräsentanten einer
nichtkommerziellen, staatlich subventionierten, akademischen Hochkultur?
Club-Musik erreicht selbst in ihren experimentellsten Ablegern kaum die
Komplexität und Subtilität der Musiksprachen akademisch
ausgebildeter Komponisten. Und auch das Internet ist eine
staatlich-akademische Entwicklung, die zu begreifen der Kommerz ein
Vierteljahrhundert lang brauchte und, als es so weit war, erst glaubte,
sie mit proprietären Onlinediensten wie AOL, Compuserve und T-Online
kontern zu können. In Literatur und Dichtung hat Kommerz- und Popkultur
bis heute nicht einen einzigen guten Schriftsteller hervorgebracht,
höchstens gute Drehbuchautoren.
- So sollte man unterscheiden zwischen den Künsten im allgemeinen und
"Kunst" im engeren Sinne einer von Kunsthändlern, Kuratoren, Kritikern
und Sammlern veranstalteten Kunstbetriebs-Kunst. Die Gründe ihrer Krise
hatte schon Walter Benjamin benannt. Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh
daraus. Daß ihr Betrieb in einer Periode von ca. 1965 bis ca. 1985
zeitgenössische künstlerische Tendenzen halbwegs zu rezipieren und
integrieren vermochte, ist das eigentliche Wunder.
-F
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