[rohrpost] Heidenreich - Der Kunstexperte
Janus von Abaton
jv-abaton at gmx.net
Sam Feb 12 23:24:17 CET 2005
> Am Donnerstag, 10. Februar 2005 um 19:04:30 Uhr (+0100) schrieb mercedes
> bunz:
> will hier
> > jemand die autonomie der kunst retten?
Autonomie? - Quark. Diese Gewalt, diese unglaublich Gewalt zur Vereinfachung
ist einfach nur beeindruckend. Auf die Listendiskussionsaufforderungsfrage
hin, was denn gemeint sei, mit der mail, will die arme Seele sich kaum die
Mühe machen und nur verlauten lassen, dass der Kunst, der verhurten Kunst,
zumindestens zwei Finanzquellen sprudeln: die Sammler/Mäzene (mit denen dann
die armen Kreativ-Kreaturen in der Paris Bar sitzen müssen und ihr Geseiere
und ihre Verbrauchtheiten ertragen, Paradiesvogelmasken über das Gesicht
gestülpt, dass sie kaum Luft bekommen - im radikal GEstus den Hofnarr
machend) und die sogenannte Staatsknete. Die Relatio von
Finanzierungssubstanzquellen und Strukturblüten ist vielleicht nicht auf
einer Liste darlegbar. Negativ gesagt: Wachstum des Baums ist nicht durch
das Wasser zu erklären, das er trinkt. Theater und die evangelische Kirche
der DDR waren die geistig-geistreiche Sammelstellen und Mittelpunkte des
Widerstands als er noch frisch war und noch nicht nach Kleinbürgermief stank
und wurden von genau denjenigen bezahlt, gegen die sie sich wendeten: dem
Staat.
Mag man mutig alle möglichen Thesen haben, aber dieses Talkshowniveau,
dieses modisch möchte-gern Niveau dieser von seinen Fähigkeiten her doch
eher limitierten schriftenden Autorenschaft, diese harmlosen Knalleffekte
bei jemanden der doch die Zeit haben müsste mal ein wenig den Grützekasten
in Bewegung zu setzen, ist meiner armen Seele einfach nur ein schallendes
Gelächter in der Wintereinsamkeit. Wovon heidentreicht es eigentlich? reicht
da Markt und Heide oder heidenreicht Heidenreich am Ende WOVON? Hat der
Kunstexperte jemals etwas anders als die von ihm geschmähte Staatsknete
verbraucht?
Aber auch hier sieht jeder klarsichtige Klarkopf; dass Primitivität nicht
aus der Finanzquelle quasi-onthologisch hervorquillt, sondern sie klimaxt in
die Richtung Mode/Jupy, weil Kunstexperte auf Teufel komm raus Karriere
machen möchte. Nur fehls dazu. Sollten uns lieber die Epigonen-Karrieristen
sparen als die Kunst. Diese glatten geleckten Jupy-Theoretiker, will ich von
Herzen mal mit Eiern bewerfen, kommen dann flugs zu sich möglicherweise.
Ein Küsschen an den Meister und jANUS sagt gute Nacht!
txt unten (von -F) erbaulicher als mein gutenachtgetipp!
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V
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wollen wir das diskutieren?
> >
> Ich. Aber nicht die Pseudo-Autonomie von Museumskunst, die
> Stefan völlig treffend analysiert, d.h. auseinandernimmt. In seinen
> Thesen klingt übrigens eine interessante Nähe zu den marxistischen
> Positionen von Gustav Metzger, den Situationisten, Roger Taylor und John
> Zerzan an.
>
> Teilweise widersprechen würde ich diesem Satz:
>
> > >das Museum und dessen Ordnung. Zwei Strategien dominieren den
> > >Entwurf von Kunst: die Zweitverwertung anderswo entwickelter
> ästhetischer
> > >und technischer Standards
>
> Dies gilt erst seit ungefähr den 1980er Jahren, seit denen es (bildende)
> Kunst zunehmend aufgegeben hat, eigene Ästhetiken bzw. Bildsprachen zu
> entwickeln. Besonders eklatant sichtbar war dies auf den letzten beiden
> Documentae. Bis in die 1970er Jahre verhielt es sich umgekehrt und
> wurden künstlerische Ästhetiken zweitverwertet, z.B. Konzeptkunst in der
> Plakatwerbung (nachzulesen z.B. beim früheren deutschen Werbepapst
> Michael Schirner) und Experimentalfilm und Videokunst auf MTV.
>
> > >Von hier aus lassen sich einige Thesen zu Diskussion stellen:
> > >Solange Museen die Werte des Marktes stützen, verbleibt Kunst auf dem
> > >feudalen Produktionsstandard, den sie im 18. Jahrhundert übernommen
> hat.
>
> Der Produktionsstandard mag feudal sein, er paßt jedoch ausgezeichnet in
> den Kapitalismus. Von allen Künsten ist die bildende Kunst die letzte,
> die noch Unikat-Objekte produziert und deshalb als spekulative,
> potentiell hochprofitable Geldanlage taugt.
>
> > >Alternativen wären das Museum als Ereignisraum oder als 'wertloser'
> > >Speicher
> > >von Kopien.
>
> Ich frage mich, was derjenige, der den Text ursprünglich auf diese
> Liste geschickt hat, an ihm so sehr zum Lachen findet, denn der Satz
> bringt die Wirklichkeit auf den Punkt. Von allen Institutionen, die
> systematisch künstliche Informationsverknappung betreiben, gehören
> Kunstmuseen heute zu den reaktionärsten. Nicht weil sie bewahrende
> Institutionen sind, sondern weil sie ihren öffentlichen Auftrag mit den
> Füßen treten. Über den juristischen Trick einer Kombination von
> Hausrecht und Urheberrecht sichern sie sich ein Monopol an
> Reproduktionsrechten von Werken, deren urheberrechtlicher Schutz längst
> abgelaufen ist - und versilbern diese Exklusivrechte oft an Firmen wie
> die von Bill Gates betriebene kommerzielle Bildagentur Corbis.
>
> Jedes anständige Museum beschäftigt Restauratoren, die praktisch
> perfekte Reproduktionen von Kunstwerken anfertigen können. Als die
> Berliner Gemäldegalerie vor Jahrzehnten eine Interpol-Warnung erhielt,
> daß ein Raub des "Manns mit dem goldenen Helm" bevorstünde, wurde dort
> heimlich eine Replik des Gemäldes angefertigt und eine zeitlang
> an die Stelle des Originals gehängt, ohne daß nur einem Besucher der
> Unterschied aufgefallen wäre. Liefen nicht ökonomische Interessen
> zuwider, könnte jedes Museum der Welt nach Belieben jedes historische
> Kunstwerk mit geringem Geldaufwand replizieren und ausstellen.
>
> > >Kunst ist nicht mehr in der Lage, gesellschaftliche oder politische
> Fragen
> > >aufzufangen, da die internen Differenzen des Feldes keinen öffentlichen
> > >Widerhall finden.
>
> Das gilt zumindest für jene Art von pseudokritischer
> Ausstellungskunst, wie sie z.B. in "October" und "Texte zur Kunst"
> verhandelt wird. Und nichts belegt Stefans o.g. These besser als die
> gegenwärtige rot-grün subventionierte Gespensterdebatte über eine
> "Repolitisierung der Kunst".
>
> > >Seit das Museum im Einklang mit dem Markt im 19. Jahrhundert
> > >reproduzierbare
> > >technische Medien ausgeschlossen hat, ist zwischen Kulturindustrie und
> > >Kunst
> > >eine Kluft entstanden, die Kunst nurmehr um den Preis der Selbstaufgabe
> > >überbrücken kann.
>
> ...wie es auf der letzten Documenta mit ihrer naiven
> Dokumentarvideoästhetik im Stil eines globalisierungskritischen
> Künstler-CNN so schön zu sehen war.
>
> Allerdings wäre ich vorsichtiger mit quasi-hegelianischen Schlagwörtern
> wie jenem von der Selbstaufgabe der Kunst. Man muß hier differenzieren
> zwischen dem Diskurs und den Institutionen der Kunst einerseits, sowie
> der Kunst, die außerhalb des institutionellen Betriebs praktiziert und
> als solche wahrgenommen wird. Daß institutionelle Kunst in der Krise
> steckt, ist evident, aber nicht neu. Vor hundert Jahren befand sich
> das, was gemeinhin als "die Kunst" verstanden wurde, in einer
> vergleichbaren Sackgasse totgelaufener Akademismen. Die Kunst, die als
> moderne Kunst schlechthin gilt, fand damals außerhalb des offiziellen
> Kunstbetriebs und seines Wahrnehmungshorizonts statt. Auch die
> Herausforderung durch Technik und Kulturindustrie existierte bereits
> in Gestalt des Kinos, der Fotographie, der Zeitungen und des Radios.
> Für die Kunstavantgarden war es kein Widerspruch, auf sie einerseits zu
> reagieren und sie andererseits zu beeinflussen.
>
> > >Die Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts könnte sich das marginale
> Feld
> > >der Kunst ohne weitere Verluste sparen. Neue ästhetische Formen
> entstehen
> > >in
> > >den Nischen der kommerziellen Kultur (Club-Musik, Film, Internet...).
>
> Das sind zugegebenermaßen schlechte Beispiele in einer ansonsten
> treffenden Analyse. Was wäre elektronische Club-Musik ohne Stockhausen,
> Hiller, Boulez, Pousseur, allesamt Repräsentanten einer
> nichtkommerziellen, staatlich subventionierten, akademischen Hochkultur?
> Club-Musik erreicht selbst in ihren experimentellsten Ablegern kaum die
> Komplexität und Subtilität der Musiksprachen akademisch
> ausgebildeter Komponisten. Und auch das Internet ist eine
> staatlich-akademische Entwicklung, die zu begreifen der Kommerz ein
> Vierteljahrhundert lang brauchte und, als es so weit war, erst glaubte,
> sie mit proprietären Onlinediensten wie AOL, Compuserve und T-Online
> kontern zu können. In Literatur und Dichtung hat Kommerz- und Popkultur
> bis heute nicht einen einzigen guten Schriftsteller hervorgebracht,
> höchstens gute Drehbuchautoren.
>
> - So sollte man unterscheiden zwischen den Künsten im allgemeinen und
> "Kunst" im engeren Sinne einer von Kunsthändlern, Kuratoren, Kritikern
> und Sammlern veranstalteten Kunstbetriebs-Kunst. Die Gründe ihrer Krise
> hatte schon Walter Benjamin benannt. Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh
> daraus. Daß ihr Betrieb in einer Periode von ca. 1965 bis ca. 1985
> zeitgenössische künstlerische Tendenzen halbwegs zu rezipieren und
> integrieren vermochte, ist das eigentliche Wunder.
>
> -F
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> --
> http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/
>
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