[rohrpost] Re: kunst
sascha brossmann
brsma at gmx.net
Mit Feb 16 10:54:38 CET 2005
Am 15.02.2005 um 08:38 schrieb mercedes bunz:
> nur eben: per se war kunst nie politisch, zumindest nicht mehr als
> alle anderen felder auch.
wenn ich davon ausgehe, dass künstlerische arbeiten erst aufgrund der
rezeption zu ebensolchen werden (d.h. es gibt keine kunst an und für
sich) und weiterhin, dass diese rezeption i.d.r. in einer form von
öffentlichkeit stattfindet, stimmt das so nicht ganz.
> alle möglichen strukturen, in denen sich hierarchische verhältnisse
> festschreiben können.
findest du das nicht eine arg *enge* (und gleichzeitig auch ziemlich
beliebige) interpretation von "politisch"? ist z.b. das hierarchische
dateiablagesystem auf meinem rechner demnach politisch?(1) das
ordnungsschema der bücher in meinen regalen? die pyhsikalische
organisation der welt? abgesehen von der tatsache, dass vieles, was als
hierarchisch interpretiert wird oder wurde, das gar nicht unbedingt
sein muss (z.b. ameisenhaufen).
____
1) vielleicht ein schlechtes beispiel: ich meine durchaus, dass
interfaces, so auch das genannte, durch die art und weise, wie sie auf
das denken der benutzer einwirken, ein gewisses politisches moment
besitzen.
> nicht mehr als das private zum beispiel.
das private ist in meinen augen exakt nur dort politisch, wo es
*aufhört*, privat zu sein. bevorzugt dann, wenn menschen anfangen, die
privatheit anderer zu missachten. die grenze zwischen privat und
politisch, das ausmass der privatheit ist insofern durchaus politisch,
das private selbst *kann* es aber nicht sein. alles andere ist
bestenfalls ein etymologischer kalauer.
> allerdings konnte in der kunst politisches verhandelt werden.
ich bin mir nicht ganz sicher, ob ein symbolischer akt (da mag
vielleicht ein antonin artaud anderer ansicht gewesen sein, aber das
theater der grausamkeit ist nochmal eine *ganz* andere baustelle), ob
eine (dazu stark individualisierte) thematisierung an und für sich
schon eine verhandlung darstellt. in den fällen wo in der vergangenheit
tatsächlich etwas verhandelt wurde, geschah das ja in der regel auch
vor *gericht* und nicht in der kunst, da wechselt dann ziemlich schnell
die ebene. fast immer zum nachteil der betroffenen, ob sie nun brus
oder neuerdings kurtz oder sonstwie heissen. :-(
aber um es soweit kommen zu lassen, braucht es schon ein paar
qualitäten, die sich leider nicht *so* häufig finden. das widerlichste
an einem guten teil der ganzen "politischen" kunst ist für mich die
unglaubliche risikofreiheit ihrer ganzen atelierfurzerakteure, die
billige bequemlichkeit der vorgeblich kritischen haltungen, deren
*plattheit*. dann lieber noch gar nicht erst so tun, als ob. (und ja,
es gibt zum glück hervorragende ausnahmen.)
was die kommunikation politischer inhalte im engeren sinn angeht, halte
ich im übrigen *design* für erheblich konkreter, effektiver und näher
an denen die es betrifft. dafür aber um klassen uneitler.
> heil dich doch selbst, die flickausstellung wird geschlossen ist hier
> ein prominentes beispiel,
ich oute mich hiermit als jemand, der just davon nichts mitbekommen
hat. nun bin ich vielleicht ein desinteressierter ignorant und ggf.
auch höchst vergesslich. möglicherweise ist das aber auch ein hinweis
auf die arge beschränkung hinsichtlich wirksamkeit, reichweite, etc. --
kurz: biotopcharakter.
> das politische moment der kunst besteht nicht mehr in ihrer autonomie.
> nicht mehr in irgendeinem spiegelhaften verhältnis. sondern in ihrer
> involvierung.
was meinst du mit "involvierung"?
> (...) dass heutzutage eine autonomie der kunst keiner mehr braucht.
hm, das könnte glatt von lenin und nachfolgern sein. ;-)
wie gesagt: ich halte die idee von der autonomie der kunst im grunde
für eine illusion, die sehr stark an die klassischen bürgerlichen
gesellschaftskonzepte geknüpft ist. die idee einer indienstnahme für
primär (tages-)politische agendae jagt mir allerdings ganz erhebliche
schauder über den rücken.
ich verstehe kunst eher als eine art primär synthetisch und sehr
subjektiv arbeitender erkenntnisapparat, dem arbeitsfelder und -mittel
(nicht zuletzt auch affektive) offenstehen, über die wissenschaft nicht
verfügen kann. und vielleicht auch als herrlichen spielplatz (aber
gerade ein spielplatz ist nicht nur ein lust- sondern auch ein
erkenntnisapparat). dazu noch die konstruktion kultureller identitäten
usw. -- alles ganz im wortsinn auch politisch, immer gewesen, aber eben
nur "auch". und imho glücklicherweise *weit* entfernt von dem, was
gängigerweise mit dem begriff bezeichnet wird, zumindest in den
*besseren* fällen.
> vielleicht muss man also die kunst gegen diese politiker verteidigen.
vielleicht muss man gemeinhin als künstlerisch bezeichnete aktivitäten
ja an und für sich gegen ihre rezipienten und deren umarmungen
verteidigen, und zwar samt und sonders. das publikum -- mein innigster
feind.
herzlichst
sascha
--
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