[rohrpost] Die transmediale im Spiegelstadium

cornelia sollfrank cornelia at snafu.de
Don Feb 24 12:59:05 CET 2005


sehr geehrter mw,

ich möchte deine "sorry"-mail nun endlich zum anlass nehmen, mich zu 
deiner transmediale-kritik zu äussern.
auch wenn du dich mit der "sorry"-mail versuchst, von allem zu 
distanzieren, was du so geschrieben hast in den letzten wochen, gehe 
ich mal davon aus,  dass das eine oder andere doch ernst gemeint war;-)

sicher bist du enttäuscht, dass ausser der antwort des "pong-schnösels" 
keine reaktionen auf deine bemühung um eine ernsthafte kritik kamen, 
aber das sollte kein grund sein, diese eine antwort so dermaßen 
herablassend und disqualifizierend in die ecke zu hauen. was sind denn 
das für umgangsformen?

und der rüffel in richtung andreas - was soll das? sein schweigen zeigt 
sicher NICHT, dass er sie nicht ernst genommen hat. das ist schlichtweg 
eine unterstellung (und vielleicht als provokation gemeint, doch noch 
was aus ihm rauszukitzeln?) das einzige, was sein schweigen zeigt, ist 
dass er deine kritik nicht hier auf der liste diskutieren will. und in 
anbetracht des nicht geringen umfangs deines textes halte ich das auch 
für gerechtfertigt. frag ihn doch mal, was er von einer persönlichen 
auseinandersetzung hält!

nichtsdestotrotz habe ich nun das bedürfnis, mich zu deiner kritik zu 
äussern. ich werde nicht im detail drauf eingehen - das würde das 
format der liste sprengen - sondern ein paar allgemeine überlegungen 
anstellen.

1. dein text liest sich wie eine kampfrede, es ist eine kampfrede. man 
fragt sich, woher kommt denn nun plötzlich dieser kritische kritiker? 
so was hat man ja noch nie gesehen/gehört, dass jemand sich für und 
über medienkunst so engagiert, sich kompetent und gleichzeitig so 
kritisch äußert... wo warst du bisher? sowohl medienkunst als auch 
transmediale sowie
zahlreiche andere festivals und institutionen gibt es schon länger. 
dein thema, dein anliegen hätte eigentlich schon früher eingebracht 
werden können/müssen.

2. dein anliegen: die forderung/frage nach künstlerischer qualität in 
der medienKUNST und qualitätvoller kritik. das 25jährige jubläum der 
ars electronica hätte letztes jahr ein anlass können und müssen mal der 
frage nachzugehen, was sich denn eigentlich hinter diesem begriff 
"medienkunst" verbirgt. meines erachtens ist er eine behauptung, eine 
setzung, mit der versucht wurde (ganz vehement in den 90er jahren) sich 
abzusetzen von der traditionellen kunstszene, um einen freiraum zu 
schaffen, in dem man unabhängig ist von überkommenen formen von 
hierarchisierung, der geschichstschreibung, der qualitätsdefinition, 
der kritik, der präsentation und der verbreitung... eben allem, was 
eine "institution" im klassischen sinn ausmacht, der institution kunst 
in diesem fall.

inzwischen haben wir* es geschafft unsere eigene institution, nämlich 
die der "medienkunst" zu fabrizieren. sicher ist sie noch nicht so groß 
und mächtig wie die "kunst" — was sicher einer der gründe ist, warum 
man sich bisher sehr solidarisch und unkritisch verhalten hat. es gibt 
ausreichend kritik von der falschen seite, mit den falschen argumenten.
aber was fangen wir jetzt an mit unserer kleinen institution? richten 
wir uns in ihr ein? ist es das, was wir wollten? kritisieren wir sie, 
um sie besser zu machen? oder gehen wir wieder hinaus, um was anderes 
und besseres zu suchen?
[* mit wir meine ich eine diffuse gemeinschaft von leuten, die sich 
aufgrund gemeinsamer interessen und gegenseitigen sympathien in den 
letzten 10-20 jahren zusammengefunden hat. ich denke die sog. 
"medienkunst-szene" ist etwa deckungsgleich]

(zum begriff institution möchte ich auch noch anmerken, dass ich ihn 
nicht ausschliesslich negativ interpretiere. zwar gehört eine 
abgrenzung nach aussen zwangsläufig dazu (ausgrenzung) doch 
gleichzeitig eröffnet er eben auch einen schutzraum nach innen, einen 
raum, in dem man bestenfalls frei experimentieren kann. )

ja, was machen wir jetzt? che fare? ich denke kritik ist auf jeden fall 
gut, die medienkunst kann und muss das inzwischen aushalten. wo kann 
eine kritik stattfinden, und wo kann sie ansetzen? deinen ansatz, 
lieber mw, die medienkunst mal mit werkzeugen der kunst zu befragen, 
halte ich legitim und auch interessant. ein gewisser bezug lässt sich 
schon aufgrund der begrifflichkeit nicht leugnen.  aber bedeutet die 
orientierung an einem doch sehr bürgerlich geprägten kunstbegriff nicht 
auch eine rück-orientierung? die frage ist doch, inwiefern dieser 
kunstbegriff in einer neoliberalen globalisierten gesellschaft, in der
es langsam keine bürger mehr gibt und die, die es noch gibt, dann doch 
lieber in die oper als zur tm gehen, überhaupt noch gelten kann. die 
kunst selbst ist gerade dabei abgeschafft zu werden - zumindest die, 
die nicht unmittelbar unterhaltsamen (event), profitabel (kunstmarkt) 
und/oder erkennbar zweckgebunden ist (dienstleistung).

mir ist kein zeitgenössisches konzept von kulturpolitik bekannt, das 
begründen würde oder könnte, warum man kunst braucht und was es 
rechtfertigen würde, dieses sich permanent entziehende, weitestgehend 
sinnfreie tun in einer gesellschaft am leben zu halten. viele 
kulturschaffende selbst lehnen den begriff "kunst" und "künstler sein" 
ab und ergehen sich in irgend welchen "praktiken", "praxen", 
"aktivitäten", "aktionen", oder machen einfach ihre "projekte". sie 
stehen selbst auf kriegsfuß mit eben dieser bürgerlichen kunst - wegen 
ihrer bürgerlichkeit. (dass sie sich dennoch gern aus den töpfen der 
kunst und kultur bedienen und dann meist kein problem damit haben ihre 
"freie praxis" schon mal auf einer documenta auszustellen, um die alte 
institution nicht ganz absterben zu lassen - ist ein anderer schnack.) 
aber mit der alten kunst sind auch die begehrten töpfe dabei 
abgeschafft zu werden. ein problem.

wie also könnte eine nach vorne orientierte und trotzdem sich ihrer 
eigenen herkunft bewusste kritik aussehen?

3. noch kurz zur tm: wenn man im spiegelstadium ist, nimmt man sich 
selbst zum erstenmal von außen wahr. aber ich habe das gefühl, die tm 
kann es NOCH nicht. sie ist noch zu sehr beschäftigt mit der freude 
über ihre eigene existenz, die bange über ihre zukunft,  und sie weiß 
noch gar nicht so recht, was sie eigentlich sein will, ausser dass sie 
viele widersprüchliche interessen bedienen muss, will sie existieren. 
sie ist im stadium einer neuen institution, die, wenn sie schlau ist 
von ernsthafter kritik nur profitieren kann. an andreas' stelle würde 
ich mir einen think tank o.ä. leisten, der gewährleisten würde, dass 
meine institution eine gute institution wird.

fazit:
man muss die diskussion führen und eine neu-definition inklusive 
gesellschaftlicher (kulturpolitischer) rechtfertigung formulieren, die 
sich aus der tradition und der kunstwissenschaft und -theorie ableitet, 
aber unter einbeziehung neuer gesellschaftlicher verhältnisse. das 
dürfte schwierig werden. ich bin diesbezüglich eher pessimistisch... 
wer soll es denn machen?

im übrigen fühle ich mich, lieber mw,  weder durch deine existenz noch 
durch deine anwesenheit hier auf der liste bedroht noch gestört. ich 
schätze deinen input sehr. wenn es insgesamt etwas weniger polemisch 
und mehr sachlich zugehen würde, würde ich das sehr begrüßen. (ihr 
alten hitzköpfe und platzhirsche;-)

freundlichst, c.s.