[rohrpost] Die transmediale im Spiegelstadium
Matthias Weiß
miamiwhite at gmx.net
Fre Feb 25 08:07:52 CET 2005
Liebe Cornelia, moin Liste,
> mal davon aus, dass das eine oder andere doch ernst gemeint war;-)
selbstredend jedes Wort meiner Kritik.
> sicher bist du enttäuscht, dass ausser der antwort des "pong-schnösels"
Eigentlich nicht. Im übrigen gab's ja das eine oder andere Zitat von
Florian in Replik auf die Kunst-Nichtkunst-Debatte.
> für gerechtfertigt. frag ihn doch mal, was er von einer persönlichen
> auseinandersetzung hält!
Da ich ja keinen Hehl aus meiner polemischen Haltung bereits in der
Unterzeile gemacht habe, denke ich, daß es kein Problem sein sollte, in
dem Forum, das auch Nicht-TM-Besucher regelmäßig über die TM informiert,
in die Diskussion einzusteigen. Abschluß in eine Nichtöffentlichkeit ist
das übliche Verfahren und sollte vermieden werden. Ich bin im übrigen
auch nicht so pawlowsch gestrickt, daß ich unbedingt eine Reaktion auf
meinen Reiz erhalten müßte. Insofern juckt mich das gerade nicht. Ich
werde mich auch davor hüten, Andreas Schweigen überzubewerten.
Schließlich könnte man ja denken, daß es eher ein Zeichen der
Souveränität ist.
Überdies könnte mein Text aus einer gewissen Perspektive als Vatermord
interpretiert werden. Ich erinnere an die Ausstellung "Kontrollfelder.
Programmieren als künstlerische Praxis" bei hartware 2002, die von
Andreas und mir kuratiert wurde und einen Großteil der Künstler aus dem
transmediale-Fundus zeigte. Also Obacht! ;-)
> 1. dein text liest sich wie eine kampfrede, es ist eine kampfrede. man
Vielleicht genauer: Nein, ich bin keine Kämpfernatur. Ich habe nur keine
Lust auf noch mehr Dummheit.
> fragt sich, woher kommt denn nun plötzlich dieser kritische kritiker? so
Ist das wirklich so? Na, irgendwann muß man sich mal der ganzen
Situation der Medien-Computer-Netz-Kunst stellen. Und meine Arbeit
fokussiert immer stärker auf die Möglichkeiten zur Auslegung von
derartigen Artefakten. Das ist ein Lernprozeß, der nun zu diesem Text
geronnen ist.
> medienkunst so engagiert, sich kompetent und gleichzeitig so kritisch
> äußert... wo warst du bisher? sowohl medienkunst als auch transmediale
Lurken, sehen, staunen. Und ins Museum gehe ich auch noch häufiger ;-)
> thema, dein anliegen hätte eigentlich schon früher eingebracht werden
Mag sein, aber zu den anderen TMs stand Berichterstattung nicht auf dem
Plan. Ich gebe aber gern zu, daß mir die Struktur und "Inhaltlichkeit"
sowie das Labeling der von mir bislang besuchten Festivals immer schon
Bauchschmerzen bereitet haben.
> electronica hätte letztes jahr ein anlass können und müssen mal der
Ich frage mich, warum das noch keiner in der Rohrpost gemacht hat. Ich
kenne mittlerweile genügend Leute, denen die Festivallerei seit Jahren
auf die Nerven geht. Wo sind sie, die Schreibenden?
> "medienkunst" verbirgt. meines erachtens ist er eine behauptung, eine
Nun, aus einem bestimmten Blickwinkel ist ja jede Kunst zugeschrieben.
Es war ganz schön zu lesen, wie Elisa ihr Verhältnis zu Schriftlichkeit
und Bildlichkeit "ausschrieb". Das machte auch Differenzen der
Sprecherperspektiven sehr klar. S. Posting v. Mit Feb 16 16:05:14 CET 2005:
> es
> fällt mir eben wesentlich leichter, die bilder in
> bewegung zu bringen, als die worte. und das ist
> einer der gründe, warum ich oft zögere mit
> postings, weil dieser output schwerer von der
> hand geht als ein QTime zum beispiel.
das führt mich zum nächsten Satz:
> hierarchisierung, der geschichstschreibung, der qualitätsdefinition, der
> kritik, der präsentation und der verbreitung... eben allem, was eine
As time goes by, sage ich da nur. Und auch Leute wie Boltanski und Gerz
sind einmal in den 70ern unterwegs gewesen, um sich von diesen
Zwangsjacken der Kunstszene zu befreien. Oder was war mit den
Bamboccianti im Italien des Barock? Es sind die üblichen Bewegungen, die
man systemmäßig erfassen kann und sich daran abarbeiten kann. Meine
Polemik fällt ja auch nicht aus dem Himmel, auch wenn es für den
manchmal leicht begrenzt anmutenden Horizont unserer Rohrpost so
ausschauen mag.
> sie besser zu machen? oder gehen wir wieder hinaus, um was anderes und
> besseres zu suchen?
Die Szene ist eines, die Betrachtung und Reflexion ein anderes. Ich habe
offen gestanden Probleme, mich zu in den Kontext der "Medienkunst"
lozieren. Eine Rolle wie Greenberg sie gegenüber den Colorfield-Paintern
spielte, kann ich mir absolut nicht vorstellen. Das ist bekanntermaßen
korrupt, auch wenn der große Kritiker in seiner Weise großes geschrieben
hat. Aber Größe, na ja, ich bitte Dich... Ich halte es auch nicht für
eine rutenbewehrte Erziehungsmaßnahme, wenn ich poltere. Ich halte nur
vielen Quatsch nicht mehr aus. Entschuldige, wenn das zu persönlich
klingen sollte.
Wenn ich dann noch unentgeltlich arbeite und als Journalist eine
Institution per 15 Euro mitfinanziere, werde ich aus meiner
theoretischen Neutralität zum fiskalischen Erfüllungsgehilfen des Ladens
und damit korrumpierbar. Über den Kontrakt des Eintrittsgeld-Transfers
diskreditiere ich mich leider. Dagegen unternehmen kann ich gar nichts.
Denn dann werde ich nichts sehen können. Und da hört für mich der Spaß
auf. Was das dann mit der Szene zu tun hat, ist mir auch ehrlich gesagt
vollkommen gleichgültig. Ich sehe, denke, schreibe. Meine Verantwortung
als Kritiker versuche ich wahrzunehmen, so es mir gelingt. Es geht doch
nicht primär um eine Durchsetzung von Reinheitsgeboten oder hehren
Wahrheiten. Ich denke nur, daß Ausstellungen in Öffentlichkeiten eben
*Themen* sind. Das ist eine stupide kleine Journalistenweisheit: die
relative Zeitgeschichtlichkeit. Und das öffentliche Interesse ist eben
da, also wird berichtet. Wer mit dem Kram etwas anzufangen weiß: umso
besser.
> er eben auch einen schutzraum nach innen, einen raum, in dem man
> bestenfalls frei experimentieren kann. )
Ok, aber eine Ausstellung, ein Festival, Preise etc. sind öffentlich. Da
ist es mit dem Schutz, dem Gehege eine Sache.
> ja, was machen wir jetzt? che fare? ich denke kritik ist auf jeden fall
> gut, die medienkunst kann und muss das inzwischen aushalten. wo kann
Yep.
> eine kritik stattfinden, und wo kann sie ansetzen? deinen ansatz, lieber
Das sollte man dann mal fundierter angehen. Vielleicht mittels
konservativer Strukturen, die sich *gegen* allen Bologna-Wahnsinn noch
über andere Mechanismen herstellen lassen. Dann bringt man ein wenig in
Bewegung und setzt sich aus, vielleicht mit seinen Texten, Vorträgen etc.
> orientierung an einem doch sehr bürgerlich geprägten kunstbegriff nicht
So bürgerlich ist das ganze gar nicht. Auch Lukacs und eigentlich alle
Theorien, die als Horizonte für Methoden und Analyseverfahren nutzen
kann, suchen nach bestimmten Formationen von Sinn und/oder Bedeutung
bzw. Struktur in den Arbeiten von Künstlern. Irgendwo muß man mit der
Betrachtung und Beschreibung beginnen. Ob am Ende dann eine
psychologischer Deutung oder soziologische, marxistische, (...)
Interpretation steht, ist offen und Geschmackssache oder Prägung oder
was immer. Wenn allerdings, wie Iser erkennt "Theorien als
Interpretationsverfahren verstanden werden, geschieht eine Reduktion des
Kunstphänomens zum Belegmaterial für die Richtigkeit der gemachten
Annahme." (Wolfgang Iser, Interpretationsperspektiven moderner
Kunsttheorie, in: Henrich, Iser, Theorien der Kunst, Fkf/M 1992 (stw
1012), S. 37), kann ich dies nur mit bestem Gewissen unterschreiben. Da
weiß ich gerade nicht, ob die Wertung als *Bürgerlich* zu sehr eingrenzt.
> es langsam keine bürger mehr gibt und die, die es noch gibt, dann doch
> lieber in die oper als zur tm gehen, überhaupt noch gelten kann. die
Ich behaupte folgendes: Die neue Bourgoisie setzt sich aus den Massen an
Dienstleistern zusammen, sie heißen Designer und sind Handlanger der
global operierenden Kryptooligarchen (Ackermänner und Co.). Sie
beflashen das Netz mit macromedialem Schrott etc in Guten wie in
schlechten Zeiten. Die Pop-Kultur spielt da ihr Spielchen auch in der
Kunst mit (Florian hat ja deren Haltung pointiert in einem der letzten
Mails als Antwort auf Pits Mail beschrieben). Und bevor mich jemand als
Paranoiker bezeichnet, ich glaube, daß ein Gutteil des Transepublikums
in Feierlaune aber auch mit echtem Bildungsbürgerinteresse eben genau
die bürgerlichen Annehmlichkeiten annimmt und aufnimmt. Und man kann ja
noch mal weiter schauen, vor die Zeit des Bürgertums. Da finden sich
erstaunliche Parallelen: Denn auch die Medien fallen nicht vom Himmel.
Hatte der Papst lange direkten und indiskreten Einfluß auf die Art und
Weise, wie Farbe angerührt wurde (s. Haskell, Patrons and Painters), so
sind es heute die stillschweigenden Allianzen zwischen den Machern und
Nutzern von Hard- und Software-Produkten. Das kann für mich nur heißen:
Entegegen aller Kunstbwehauptungsstrategien möchte ich wissen, was mir
Medienkünstler auf ihre je spezifische Weise zu zeigen haben. Und da
sind sie oft bürgerlicher, als sie sich wünschen (s. Pongmechanics (auf
das Posting vom Macher folgt noch gesondert eine Antwort).
> nicht unmittelbar unterhaltsamen (event), profitabel (kunstmarkt)
> und/oder erkennbar zweckgebunden ist (dienstleistung).
Genau, und das liegt daran, daß die Kritik es versäumt, den ganzen
Rehberger-Bock-Meese-Scheiß beim Wort zu nehmen und lieber (s. Iser)
Theorie-Verquasung unternimmt, als mal easy Kunst zu schauen. Ohne Auge
keine Kritik.
> mir ist kein zeitgenössisches konzept von kulturpolitik bekannt, das
Muß das denn?
> begründen würde oder könnte, warum man kunst braucht und was es
Utilitaristische Letztbegründungen von Kulturerzeugnissen sind sehr
problematisch. Es gibt da aber die normative Kraft des Faktischen, die
sich dann in Arbeiten, ob gut ob scheiße, wie der von Marie-Jo
Lafontaine manifestiert, die sagt: "Wir haben die Kunst, damit wir nicht
an der Wahrheit zugrunde gehen" oder so ähnlich. Aber damit betreten wir
den Bereich der Ersatzreligionen.
> rechtfertigen würde, dieses sich permanent entziehende, weitestgehend
Sie war/ist aber da. Ob man das Bildnerische nun Kunst oder Harpsch nennt.
> ab und ergehen sich in irgend welchen "praktiken", "praxen",
Paßt zu den Kuratoren, wenn man sie rückführt auf curare.
> wie also könnte eine nach vorne orientierte und trotzdem sich ihrer
> eigenen herkunft bewusste kritik aussehen?
Sehr gute Frage. Wir sollten dies als Aufruf verstehen. Vielleicht ist
es sogar ein Dissertationsthema. Aber im mindesten sitzt ein Symposium
dran. Das meine ich absolut ernst.
> ihre eigene existenz, die bange über ihre zukunft, und sie weiß noch
Glaube ich nicht. Mutti Völckers hat's geschafft. Die Trennung ist
vollzogen. Das Begehren beginnt sich zu artikulieren.
> ernsthafter kritik nur profitieren kann. an andreas' stelle würde ich
> mir einen think tank o.ä. leisten, der gewährleisten würde, dass meine
Das hieße, sich aus Glamour und Co. in die Hieronymus-Einkehr zu versenken.
> institution eine gute institution wird.
Ich sehe es nicht so dramatisch. Der apokalyptische Ton vieler
Übertreibungen zB von mir, sagt nichts über die Achtung, die zB ich der
Sache selbst gegenüber erbringe. Vielleicht sollte nur an der einen oder
anderen Stelle eine Kurskorrektur anders formuliert und anders gedacht
werden als: "Wir wollen Maler und Fotografen, wir sind Politik..."
> soll es denn machen?
Wir. Wer, wenn nicht wir hier?
Liebe Grüße
Matthias