[rohrpost] tell.net // Andreas Broeckmann: Fuer eine neue Maschinen-Kunst

Andreas Broeckmann abroeck at transmediale.de
Die Apr 4 09:18:59 CEST 2006


>At 00:51 01.04.2006, you wrote:
>>-----------------------------------------------------------
>>tell.net - Veranstaltungsreihe zur Netzkultur
>>http://www.stuttgart.de/stadtbuecherei/tell_net/
>>-----------------------------------------------------------
>>
>>Andreas Broeckmann
>>Fuer eine neue Maschinen-Kunst. Ein Versuch
>>
>>Mittwoch, 05. April 06
>>19h30 im Moerike-Kabinett
>>
>>Stadtbuecherei Stuttgart
>>Wilhelmspalais
>>Konrad-Adenauerstr. 2
>>
>>
>>Der Einsatz elektronischer Medien und digitaler Technologien ist im 
>>Laufe des letzten Jahrzehnts für weite Teile der Gegenwartskunst 
>>selbstverständlich geworden. Video-Installationen sind aus den 
>>Biennalen und Kunstgalerien heute ebenso wenig weg zu denken wie 
>>interaktive Medieninstallationen aus dem öffentlichen Raum.
>
>Habe ich da in den letzten anderthalb Jahren, in denen ich nicht in 
>Deutschland war, was verpasst? Als ich das letzte Mal geguckt habe, 
>gab es eine klare Trennung zwischen "Medienkunst" und der richtigen, 
>echten Kunstmarkt-Kunst. Und meiner Beobachtung nach auf beiden 
>Seiten auch wenig Wunsch, das zu ändern.

Tilman, ich weiss nicht, ob du was verpasst hast; ich glaube, dass 
das eine frage der wahrnehmung ist, ob man bestimmte einzelphaenomene 
verketten will, oder nicht. ich tendiere inzwischen dazu, diese 
sachen nicht mehr als isolierte einzelmomente zu sehen, sondern als 
zusammenhaengende bewegung.

hier mal eine nicht recherchierte reihe von sachen, die mir spontan 
einfallen. ueber die kuenstlerische qualitaet mag man sich im 
einzelnen streiten, aber ich gehe mal davon aus, dass es sich um 
kuenstlerInnen handelt, die du als 'medienkuenstlerInnen' bezeichnen 
wuerdest.

In 5 deutschen Museen (Muenchen, Duesseldorf, Bremen, Leipzig laeuft 
gerade die Ausstellung '40 Jahre Medienkunst'.

Im Musee de l'Art Moderne in Paris sind 50 Tapes von Douglas Gordon 
als Teil der staendigen Sammlung zu sehen.

Bitforms in New York und DAM in Berlin sind nur zwei der Galerien, 
die staendig aktuelle und historische Computergrafik zeigen und 
verkaufen.

In Berlin waren im Winter auf der SPOTS-Fassade am Potsdamer Platz 
u.a. Arbeiten von Jim Campbell und interaktive Arbeiten von Rafael 
Lozano-Hemmer und Carsten Nicolai zu sehen.

Die interaktive Installation 'Taken' von David Rokeby war u.a. in 
Toronto und in Berlin an oeffentlichen Orten zu sehen.

Carsten Nicolai hatte 2005 eine Einzelausstellung in der Schirn in Frankfurt.

Lozano-Hemmer hat schon vor zwei Jahren auf der Art Basel interaktive 
Arbeiten nicht nur gezeigt, sondern auch verkauft. Er hat einige der 
groessten und spektakulaersten interaktiven Installationen im 
oeffentlichen Raum realisieren koennen.

Die Ausstellungsreihe 'Aufloesung' der Berliner NGBK macht keinen 
strengen Unterschied zwischen 'Medienkunst' und 'anderer Kunst'. Das 
gleiche gilt mE fuer die Ausstellungsprogramme von Hartware in 
Dortmund oder vom Edith Russ Haus in Oldenburg, obwohl beide dem 
Namen nach 'Medienkunst'-Haeuser sind. Die Kuratorin Soeke Dinkla 
platziert seit ueber zehn Jahren 'Medienkunst' in vielbeachteten 
Ausstellungen in Duisburg und Umgebung.

Antoni Muntadas gewinnt 2006 den spanischen Nationalpreis, die 
hoechste nationale Auszeichnung fuer bildende Kuenstler.

Der 'Maschinenkuenstler' Herwig Weiser hat eine Galerie in Wien, die 
seine neue Arbeit u.a. zur Art Basel Miami und zur ARCO gebracht hat.

Auf der letzten ARCO waren ganze Ausstellungen von Weibel (Postmedia 
Condition, mit vielen oesterreichischen 'MedienkunstlerInnen') und 
von der ars electronica zu sehen.


>Ich verstehe nicht, wem solche hoch gehängten und leicht zu 
>widerlegenden Behauptungen helfen sollen. Der "Medienkunst"?

Und ich kann nur darueber spekulieren, wem es nuetzt, diese 
kuenstliche Mauer aufrecht zu erhalten zwischen dem haesslichen 
Entlein 'Medienkunst' und einer 'Galerie-Kunst', die extrem hybrid 
ist.

KuenstlerInnen wie Pipilotti Rist, Pierre Huyghe, Philippe Parreno, 
Olafur Eliasson, Jenny Holzer, Katharina Sieverding u.a. sind 
vielleicht nur deshalb keine 'Medienkuenstler', weil sie auf dem 
Kunstmarkt (der ja auch ein weites Feld ist, von Sammlern, Galerien, 
Museen, Messen, Biennalen etc. ...) erfolgreich sind? Und warum 
sollte der kuenstlerische Anspruch, der an ihre Arbeiten gestellt 
wird, nicht ebenso auf 'medienkuenstlerische' Arbeiten angewendet 
werden?

Ich versuche, wie Andreas Lange das schon angedeutet hat, darueber 
nachzudenken, was waere, wenn es diese von Tilman noch einmal betonte 
Grenze des 'Digitalen' als kuenstlerisches (kunsthistorisches?) 
Kriterium nicht gaebe. Was waere, wenn das, womit wir da zu tun 
haben, einfach alles 'Kunst' waere? Selbstverstaendlich bleibt da 
eine grosse Zurueckhaltung von GaleristInnen gegenueber 
KuenstlerInnen, die mit digitalen Apparaten arbeiten, aber seit diese 
Galeristen alle ihre zweite Generation Video-Beamer gekauft haben, 
und seit Netz- und Software-Konfigurationen einen weitgehend stabilen 
Lauf der Rechner ermoeglichen, ist es wohl vor allem die 
(berechtigte?) Zurueckhaltung der KaeuferInnen und SammlerInnen, die 
diese Entwicklung bremst. Aber auch da zeigt fuer mich der Erfolg der 
Eliassons, der Huyghes und der Violas, dass es moeglich ist, auch 
ephemere Arbeiten erfolgreich zu platzieren. Und was dann bleiben 
wuerde, waere die Notwendigkeit, einen kunstwissenschaftlichen 
Diskurs aus zu spinnen, der es moeglich macht, in diesem ganzen Feld 
nachvollziehbare Qualitaetskriterien fuer kuenstlerisches Arbeiten zu 
entwickeln, die sich bewusst (auch) auf eine von digitalen 
Technologien gepraegte Gegenwartskultur beziehen.

Cybernated art is very important, but art for cybernated life is more 
important, and the latter need not be cybernated. (Nam June Paik, 
1966)

Gruss,
-ab