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Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Sun Mar 23 13:04:26 CET 2003


Am Freitag, 21. März 2003 um 21:51:32 Uhr (+0100) schrieb Stefan Merten:
>
> >> - Offene Standards
> >> 1dok.org, OpenOffice,
> 
> BTW: Ein *erstklassiges* Format. Endlich habe ich eine Möglichkeit,
> diese verf*ckten `.doc's, `.ppt's, etc. in ein Format zu wandeln, das
> ich mit XSLT angehen und ein gescheites, ASCII-nahes Format draus
> machen kann. Zu dem, was ich kürzlich entwickelt habe, brauchte ich
> keinerlei Dokumentation. Die DTDs und die Tag-/Attribut-Namen haben
> *völlig* ausgereicht. *Das* nenne ich einen Freien und offenen
> Standard.

Und daran zeigt sich auch der Unterschied von freier Software und
offenen Standards: Es steht auch jedem Hersteller proprietärer Software
frei, das OpenOffice-XML und 1dok als Dateiformate zu unterstützen.
StarOffice als proprietäres OpenOffice-Derivat ist ein erstes Beispiel,
aber selbst ein Ärgernis wie Microsoft Word wäre aushaltbar und
sozialverträglich, wenn es solche offenen Formate ohne Abstriche und
ohne schmutzige Tricks lesen und schreiben könnte.

Mit anderen Worten: Offene Standards sind nicht deckungsgleich mit
freier Software. Wir können z.B. auf dieser Mailingliste schmerzlos
kommunizieren und unsere Daten selbst dann ohne Kompatiblitätsprobleme
und Informationsverlust austauschen, wenn einige Leute hier mit
proprietärer E-Mail-Software arbeiten, solange diese sich sauber an die
RFC-Standards hält.

> > 3. Ist Freie Software als Volks-Software auf dem Desktop
> > gescheitert.
> 
> Ja. Ungefähr so, wie Windows 1.0 als Volks-Software auf dem Desktop
> gescheitert ist. Ein Drama...

Richtig, und welche Konsequenzen hat Microsoft daraus gezogen? Man hat
dort gelernt, daß ein Desktop-OS für die Massen nicht funktioniert, wenn
es bloß eine graphische Shell oberhalb eines nichtgraphischen OS ist,
die nur eine kleine Untermenge des Systems abbildet und steuerbar macht,
sondern daß man das ganze Betriebssystem von der Desktop-Benutzung
her konzipieren und auf ein einheitliches Bedienschema umstellen
muß. Diese Vereinheitlichung ist aber nur über Top-Down-Zentralisierung
zu haben und widerspricht der Kultur und dem Entwicklungsprinzip Freier
Software. Auch Apple verfährt nach dem Zentralisierungs-Prinzip, wenn es
ein freies Basis-System so standardisiert, daß bestimmte Wahlfreiheiten
- wie etwa der zwischen verschiedenen MTAs - wegfallen, und wenn es dem
ganzen ein proprietäres Einheits-GUI verpaßt.

[Nicht, daß ich ein solches GUI-Betriebssystem für mich selbst
haben will, im Gegenteil ist mir selbst fvwm zu fett und
fensterlastig, und ich arbeite mit einem "Anti-Desktop", wie er in
<http://palm.freshmeat.net/articles/view/581/> beschrieben wird.]

Niemand kann *BSD oder GNU/Linux ernsthaft und sicher ohne
Unix-Administrationskenntnisse benutzen; wer es nicht tut, ähnelt einem
Piloten, der ein Flugzeug nur per Autopilot fliegen kann. Solange dies
der Fall ist, ist Freie Software auf Privat-PCs nicht mehrheitsfähig und
auf dem Desktop in wohldefinierten Anwendungssszenarien für Firmen und
Behörden interessant, in denen qualifizierte Unix-Administratoren sich
im Hintergrund um Konfiguration und Pflege der Installationen kümmern.

Die Frage ist, ob etwas anderes überhaupt wünschenswert ist. Alle
Unix-artigen Betriebssysteme sind per Design nicht sicherer als
heutige Windows-Versionen und laufen nur deshalb besser, weil die
Entwickler von Anwendungs- und Treibersoftware sorgfältiger arbeiten,
die Distributoren sicherere (dadurch aber auch kompliziertere)
Grundkonfigurationen einstellen und die Anwender mehr technisches
Wissen besitzen und ihre Installationen besser pflegen. Ein Volks-Linux
wäre aller Wahrscheinlichkeit nach ein Alptraum mit Rechnern, deren
Besitzer aus Bequemlichkeit nur als "root" arbeiten (so, wie es unter
"Lindows" bereits geschieht), die per DSL-Flatrate im Netz stehen,
ohne daß seit Monaten bekannte Sicherheitslöcher gestopft wären, dazu
noch mit Billig-Hardware von Saturn und Mediamarkt, deren beigelegten
selbstinstallierenden Linux-Treiber-CDs das System mit unsauber
programmierten Kernelmodulen und Systembibliotheken verseucht haben.


> > (Nur ein arbiträres Beispiel: Das Freier Software und Unix
> > traditionell zuneigte Rechenzentrum der FU Berlin stellt jetzt
> > seine letzten Linux/X-Terminal-basierten Arbeitsplatzrechner auf
> > Windows um, weil die Nutzer mit nur geringfügig anderen Systemen
> > nicht mehr klarkommen und außerdem - womit wir beim Thema wären -
> > ihre proprietären Office-Dokumente ausdrucken und weiterbearbeiten
> > möchten.)
>
> Letzteres ist keine Frage des Desktops und die Antwort heißt ohnehin
> OpenOffice.

Nicht im Ernst.

> > Über den Unterschied von Freier Software und offenen Standards ist
> > noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, und es wäre gut, wenn die
> > "Wizards of OS" wieder als Avantgarde vorangehen würden!
>
> Was wäre denn für dich ein offener Standard? Habe ich aus deinen
> Ausführungen nicht wirklich entnehmen können.

Ein offener Standard spezifiziert ein Dateiformat, ein Netzwerkprotokoll
oder eine Programmierschnittstelle (bzw. ein API). Klassische
Beispiele sind die RFCs der Internet Engineering Taskforce (IETF), die
HTML- und XML-Spezifikationen des W3C, die jpeg-Spezifikation, die
POSIX-Spezifikation, Protokolle wie TCP/IP und http, um nur einige zu
nennen.

Im Gegensatz zu Freier Software ist ein offener Standard keine
Implementation (also keine Software, die den Standard umsetzt),
sondern eine Industrienorm - auch wenn in einzelnen Fällen die
Standardisierungsgremien selbst Software als Referenzimplementierungen
entwickeln können, wie es z.B. das W3C mit dem Amaya-Browser getan
hat. Die Nutzung offener Standards unterliegt keinen Einschränkungen,
sie sind Public Domain und unterliegen daher auch keinen Copylefts.
(Jeanette, bitte korrigieren, falls der letztere Punkt nicht stimmt.)

-F


-- 
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/
http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html
GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger cantsin at mail.zedat.fu-berlin.de


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